Rumänien und CIA-Folter

Verbündeter ohne Fragen

Der Flughafen Băneasa vor dem rumänischen Bukarest
Der Flughafen Băneasa: Kamen hier die berüchtigten "Foltertaxis" der CIA an? © Imago / Volker Preußer
Von Keno Verseck  · 10.09.2015
Haben die USA auf rumänischem Boden gefoltert? Dieser Verdacht steht seit Jahren im Raum. Und wussten die rumänischen Behörden davon? Bislang gab es immer nur Dementis, doch nun scheint die Mauer des Schweigens zu bröckeln.
Der Flughafen Băneasa am Rande der rumänischen Hauptstadt Bukarest. In den Jahren 2002 bis 2006 landeten und starteten hier ganze besondere Flugzeuge: die "Foltertaxis" der CIA, wie sie in US-Medien sarkastisch genannt wurden. Sie transportierten so genannte "hochwertige" Gefangene der CIA, die nach den Anschlägen vom 11. September gefasst worden waren, und verteilten sie auf Geheimgefängnisse in Asien, Afrika und Europa. Gefängnisse, in denen sie gefoltert wurden. Auch in Rumänien soll es eines dieser Geheimgefängnisse gegeben haben. Offiziell bestritten rumänische Behörden das bisher. Doch Maria Andreescu, die Leiterin der rumänischen Menschenrechtsorganisation APADOR – Helsinki-Komitee, glaubt den Dementis nicht.
"Es ist sehr plausibel, dass in Rumänien solche Gefängnisse existiert haben. Wenn man die Informationen verschiedener Berichte zusammenfügt, dann ergibt sich ein plausibles Bild. Vielleicht ist nicht alles wahr, aber gerade deshalb muss es eine ernsthafte Untersuchung geben. Wir sind der Auffassung, dass die rumänischen Behörden glaubwürdige Vorwürfe, die erhoben wurden, bisher nicht untersucht haben."
Ortswechsel. Washington am 9. Dezember 2014. Im US-Senat wird über den den CIA-Folterbericht debattiert – 6.300 Seiten, die detailliert beschreiben, wie grausam die 9/11-Gefangenen der CIA misshandelt wurden. Der Bericht listet verklausuliert auch die einst über die ganze Welt verteilten Geheimgefängnisse der CIA auf – mit verschiedenen Farben. Auch Rumänien ist dabei, als "black site", "Standort schwarz".
"Kein Kommentar"
Allerdings ist unklar, wo dieser Standort war. Als gesichert gilt, dass dort zwischen 2002 und 2006 unter anderem der 9/11-Chefplaner Khalid Scheich Mohammed festgehalten und gefoltert wurde. Ein anderer CIA-Gefangener, Abd al-Rahim al-Nashiri, der im Oktober 2000 im Jemen den Anschlag auf den Zerstörer U.S.S. "Cole" geplant haben soll, wurde offenbar ebenfalls zwischen 2003 und 2006 in Rumänien festgehalten und gefoltert. Al-Nashiri reichte im Mai 2012 Klage gegen den rumänischen Staat ein. Die Ermittlungen der rumänischen Staatsanwaltschaft dazu sind geheim, eine Entscheidung steht noch aus.
Zurück in Bukarest. Der CIA-Folterbericht hat – wie weltweit – auch hier für Aufregung gesorgt. Die Frage, ob es in Rumänien CIA-Gefängnisse gegeben hat, beantwortet der scheidende Staatspräsident Traian Băsescu im vergangenen Dezember so:
"Ich mache zu diesem Thema keinerlei Kommentare."
Seit fast einem Jahrzehnt hört es sich so oder so ähnlich an, wenn rumänische Offizielle auf die Frage nach CIA-Gefängnissen antworten - eine unüberwindbare Mauer des Schweigens. Anderswo ist sie gefallen: Der ehemalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski beispielsweise hat die Existenz von CIA-Geheimgefängnissen in seinem Land zugegeben. Doch in Rumänien hat die Mauer des Schweigens zumindest Risse bekommen.
13. Dezember 2014, wenige Tage nach der Veröffentlichung des CIA-Folterberichtes. Anruf bei Ioan Talpeș, der von 2000 bis 2004 Leiter der rumänischen Präsidialverwaltung und zugleich der Chef der Präsidialabteilung für nationale Sicherheit war. Talpeș hat zuvor den Auslandsgeheimdienst SIE geleitet, für den Staatspräsidenten Ion Iliescu koordiniert er nun die Sicherheitspolitik. Talpeș hat die Existenz von CIA-Gefängnissen stets bestritten. Aber jetzt macht er ein indirektes Eingeständnis:
"Der CIA wurden Standorte zur Verfügung gestellt. Ich wusste nicht, dass es Haftzentren waren. Verstehen Sie? Die Worte Gefängnis oder Haftzentrum haben ja eine bestimmte Bedeutung. Ich würde eher von Standorten sprechen, an denen Leute festgehalten wurden. Haft bedeutet ja, dass man bereits einen bestimmten juristischen Status hat. Aber diese Leute hatten keinen Status, nicht wahr? Welche Aktivitäten die CIA an diesen Standorten unternahm, weiß ich nicht. Es gab eine ganz klare Abmachung: Alles, was sie dort machen, ist ihre Sache, alles geschieht, ohne dass die rumänische Seite in irgendeiner Weise eingreift. An diesen Standorten operierten Personen und dort gab es Aktionen, die allein Sache der CIA waren."
"Uns zu erkundigen wäre unfreundlich gewesen"
Wie kommt es, dass ein Staat auf sein heiligstes Vorrecht – das Gewaltmonopol – verzichtet und den Geheimdienst eines anderen Staates auf seinem Territorium machen lässt, was er will?
"Ich war vom damaligen Staatspräsidenten Ion Iliescu beauftragt, die Kontakte zu knüpfen und zu koordinieren, die es brauchte, damit Rumänien NATO-Mitglied wird. Vertreter der USA besprachen mit mir damals die ersten Schritte einer tiefergehenden Zusammenarbeit mit der CIA und anderen US-amerikanischen Strukturen. Das war ein Diskussionsprozess in den Jahren 2003/2004, und damals haben wir beschlossen, dass wir der CIA Zentren oder Standorte zur Verfügung stellen. Das war Teil einer Herangehensweise, die beweisen sollte, dass wir zu einer Zusammenarbeit fähig sind. Selbstverständlich haben wir uns nicht dafür interessiert, was die CIA an diesen Standorten macht. Es war ihre Sache. Jede Geste, uns zu erkundigen, was sie dort machen, wäre als unfreundlich bewertet worden."
Ioan Talpeș ist mit diesen Aussagen nach einem Jahrzehnt der Dementis der erste rumänische Offizielle, der die Existenz von CIA-Gefängnissen in Rumänien indirekt einräumt. Ist dem ehemaligen Spionagechef und Sicherheitsberater des Präsidenten das bewusst? Und was ist sein Motiv?
"Ja, mir ist das bewusst. Mehr noch: Mir ist auch bewusst, dass ich daran schuld bin, dass andere Offizielle bisher immer alles abgestritten haben. Jedes Mal, wenn ich bisher dazu befragt wurde, habe ich gesagt: Die USA und mit ihr die CIA als Institution sind Verbündete Rumäniens, und ich kann nichts über eine Angelegenheit eines Verbündeten sagen, solange sich dieser nicht selbst äußert."
Das Eingeständnis von Ioan Talpeș ist eine Sensation. Doch obwohl in rumänischen Medien prominent veröffentlicht, haben die Aussagen keinerlei juristische oder politische Konsequenzen, etwa eine ernsthafte Untersuchung, wie sie Maria Andreescu von der Menschenrechtsorganisation APADOR – Helsinki-Komitee fordert.
Einige Tage nach dem Gespräch mit Ioan Talpeș: Anruf bei der liberalen Europarlamentarierin Norica Nicolai – sie leitete von 2006 bis 2008 im rumänischen Parlament einen Untersuchungsausschuss zu CIA-Gefängnissen. Dessen Fazit: Es gab sie in Rumänien nicht. Hat Norica Nicolai ihre Meinung infolge von Talpeș´ Aussagen aus dem Dezember 2014 geändert? Sie antwortet per Kurzmitteilung:
"Es gibt weiterhin keinen Beweis für ein CIA-Gefängnis in Rumänien. Standort bedeutet nicht automatisch, dass sich dort auch ein Haftzentrum befand."
Lange Reihe hochrangiger Leugner
Damit reiht sich die Europa-Parlamentarierin in die lange Reihe hochrangiger Verleugner ein. Traian Băsescu, ehemaliger Staatschef; Adrian Năstase, ehemaliger Regierungschef; Ioan Mircea Pașcu, ehemaliger Verteidigungsminister. Keiner antwortet auf Anrufe. Auf Nachfrage schicken jedoch einige Kurzmitteilungen:
Kurzmitteilung des ehemaligen Regierungschefs Adrian Năstase:
"Sehr geehrter Herr Verseck, ich gebe derzeit keine Interviews. Hochachtungsvoll, Adrian Năstase"
Kurzmitteilung des ehemaligen Verteidigungsministers Ioan Mircea Pașcu:
"Herr Verseck, ich bedauere, ich kann nichts für Sie tun. Auf Wiedersehen und weiterhin viel Erfolg."
Die Recherche gestaltet sich schwierig, den Verantwortlichen von damals ist das Thema unangenehm. Doch dann sagt plötzlich der ehemalige rumänische Staatschef Ion Iliescu ein Interview zu. Iliescu amtierte zuletzt von 2000 bis 2004. Damals begann die intensive militärische Zusammenarbeit mit den USA, damals organisierte Sicherheitsberater Ioan Talpeș so genannte "Standorte" für die CIA. Der Erfolg zeigte sich im März 2004: Rumänien trat der Nato bei.
Bukarest, 14. April 2015, Audienz bei Ion Iliescu. Der Ex-Staatschef ist 85 Jahre alt und arbeitet dennoch weiterhin jeden Tag in seinem Büro. Die Frage nach CIA-Gefängnissen möchte Iliescu nicht direkt beantworten – er sagt, er habe der Aussage seines früheren Sicherheitsberaters Talpeș vom Dezember des Vorjahres nichts hinzuzufügen. Doch an eine Anfrage der CIA erinnert er sich:
"Mich als Staatspräsidenten hat diese Angelegenheit damals nicht sehr beschäftigt. Es ging um unsere Verbündeten. Sie haben um einen Standort gebeten. Das war keine Sache, über die wir ernsthaft und grundlegend diskutiert hätten. Mir als Staatschef erschien es eine untergeordnete Angelegenheit. Wir waren Verbündete, wir sind in Afghanistan und im Nahen Osten zusammen in den Kampf gezogen, und unser Verbündeter fragte an, ob man ihm einen bestimmten Standort in Rumänien zur Verfügung stellen könne, da bin ich nicht ins Detail gegangen."
Einst Zögling des Diktators
Iliescu war einst Zögling des Diktators Ceaușescu, dann fiel er in Ungnade und wandelte sich zu einem – wie er es darstellt – humanistischen, linken Sozialdemokraten. Findet er als solcher, dass Rumänien als Verbündeter der USA Anteil an der Missachtung von Menschenrechten hat? Iliescu schweigt, er wirkt bedrückt. Dann sagt er:
"Nicht nur Rumänien war in dieser Situation, sondern auch andere Länder. Alle, vor allem die USA müssen die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Angelegenheit ziehen. Damals stellte sich in keiner Weise die Frage, ob wir unsere Verbündeten in irgendeiner Weise kontrollieren. Natürlich sind alle durch die damalige Erfahrung aufmerksamer geworden. Und natürlich würde ich heute anders entscheiden. Damals hatten wir diese Erfahrung nicht, und deshalb sage ich, wir müssen heute gewissenhafter und aufmerksamer sein, sowohl die Amerikaner als auch wir. Ich denke, alle Seiten haben die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen."
Das rumänische Medienecho zu Iliescus Aussage ist gewaltig – so gewaltig, dass der ehemalige Staatschef auf seiner Blogseite eine Stellungnahme zu dem Interview verfasst. Doch die verwirrt noch mehr, als sie klären soll:
"Ich habe die Existenz eines illegalen Gefängnisses auf dem Territorium Rumäniens, in dem illegale Verhörtechniken wie Folter angewendet wurden, in keiner Weise bestätigt. Ich habe zugleich sehr klar gesagt, dass ich eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn ich gewusst hätte, welchen Zweck die von der amerikanischen Seite erbetene Einrichtung hat. Ich habe eine Niederlassung für eine CIA-Vertretung in Rumänien genehmigt. Das Wissen darum rechtfertigt den Umstand, dass ich in all den Jahren die Existenz eines CIA-Gefängnisses auf rumänischem Territorium bestritten habe."
Nie eine Antwort auf die Anfrage erhalten
Es ist ein weiteres indirektes Eingeständnis in Form eines Dementis. Doch wie schon zuvor im Fall von Iliescus ehemaligem Sicherheitsberater Ioan Talpeș haben auch die Aussagen von Ion Iliescu keinerlei Konsequenzen auf juristischer oder politischer Ebene. Maria Andreescu, die Leiterin der rumänischen Menschenrechtsorganisation APADOR – Helsinki-Komitee, forderte nach der Veröffentlichung der Aussagen von Ioan Talpeș und Ion Iliescu, dass die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung einleiten müsse. Eine Antwort auf eine entsprechende Anfrage erhielt sie nicht.
"Das ist auch eine Strategie – man tut so, als ob man nichts weiß, um sich nicht dem Vorwurf der Mittäterschaft auszusetzen. Ich bezweifle, dass man nicht wenigstens teilweise wusste, was vor sich ging. Sowohl die Qualität der Arbeit des rumänischen Inlands- als auch des Auslandsgeheimdienstes ist weithin anerkannt. Deshalb kann ich einfach nicht glauben, dass man in Rumänien damals nicht wusste, was ablief."
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