Ruhrfestspiele Recklinghausen

Traurige Endstation Altersheim

Das Theater in Marl, aufgenommen im Juni 2003
Bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen hatte im Theater Marl die französische Komödie "Wind in den Pappeln" Deutschlandpremiere. © picture-alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Alexander Kohlmann · 19.05.2015
Drei alte Herren warten auf den Tod. Im Theater Marl hatte bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen die Komödie "Wind in den Pappeln" des französischen Dramatikers Gérald Sibleyras Premiere: in einer skurrilen Inszenierung des Moskauer Vakhtangov-Staatstheaters.
Eine französische Komödie in einer Inszenierung des Moskauer Vakhtangov-Staatstheater bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen - auf Russisch mit deutschen Übertiteln. Es ist tatsächlich ein multikultureller Abend, der mit "Wind in den Pappeln" von Gérald Sibleyras im Theater der kleinen Stadt Marl Premiere hatte. Und ein Abend, der trotz seiner beachtlichen, fast drei Stunden Länge beeindruckend gut funktioniert.
Denn die Inszenierung von Rimas Tuminas setzt gerade nicht darauf, den Realismus der französischen Vorlage, inklusive der detaillierten Bühnenbildanweisungen eins zu eins für das Moskauer Publikum nachzubauen, sondern verwandelt die Terrasse eines Altenheims in eine Endstation Sehnsucht - einen Warteraum auf den Tod. Hier stehen reihenweise leere Notenständer eines Orchesters, das nie kommt, aber stets mit melancholischen Streicher-Klängen zu hören ist. Ein riesiger steinerner Hund wackelt manchmal mit dem Kopf. Und am Horizont ist ein schmaler Streifen blau zu erkennen.
Ausharren wie in einem Beckett-Stück
Wie in einem Beckett-Stück harren die drei Helden an diesem Zwischenort aus. Maxim Sukhanov, Vladimir Vdovichenkov und Vladimir Simonov sind drei in Würde ergraute Herren in schwarzen Anzügen - allesamt russische Schauspielstars, die auf den ersten Blick nicht allzu gebrechlich erscheinen. Immer wieder fabulieren sie von einer tyrannischen Oberschwester, die lediglich als aus dem Schürboden herabgelassenes, verblasstes schwarz-weiß Bild existiert. Und träumen vom benachbarten Mädchenpensionat, das einer der drei angeblich entdeckt haben will. Wahrscheinlich sind auch die jungen Frauen nur eine Altersphantasie. So wie auch das letzte Ausrücken der einstigen Kriegshelden. Gelockt vom Wind in den benachbarten Pappeln wollen die drei Kerle noch einmal etwas reißen, kommen aber nicht weit. Ein paar Notenständer kippen um, das war's.
Es ist ein skurriler, humorvoller und sehr trauriger Abend, den die Ruhrfestspiele da eingeladen haben. Aber wenn man die Augen schließt und sich vorstellt man sei in Moskau, dann muss man auch feststellen, dass dort diese Geschichte über die Kriegshelden von gestern mit Sicherheit nirgendwo anecken. Im Gegenteil: In Angesicht dieser harmlosen Kunst zur Zerstreuung wünscht man sich manchmal doch das deutsche Diskurstheater zurück, das aneckt und die Gegenwart verhandelt - und die Helden von gestern in Frieden ruhen lässt.

Wind in den Pappeln
Komödie von Gérald Sibleyras
Regie: Rimas Tuminas, Vakhtangov-Staatstheater Moskau
Ruhrfestspiele Recklinghausen im Theater Marl

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