Ruhrfestspiele

Das Schweinchen leuchtet

Szene aus "Von Affen und Engeln" mit Alfred Kirchner, Anna Eger, Angelika Sautter, Florian Feigl bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen
Szene aus "Von Affen und Engeln" mit Alfred Kirchner, Anna Eger, Angelika Sautter, Florian Feigl © Foto: Joachim Dette / Ruhrfestspiele
Von Stefan Keim · 13.05.2015
Einzelkämpfer und verkrachte Existenzen auf einem Weihnachtsmarkt: Christoph Nußbaumeders Stück "Von Affen und Engeln" zeigt kalte Seelen im heißlaufenden Kapitalismus. Die Uraufführung bei den Ruhrfestspielen lud die Zuschauer auch zu einer Sektenperformance.
Alle sollen sich an den Händen fassen. Manche Zuschauer tun es, die Schauspieler auf der Bühne sowieso. "Freie Energie" entsteht, ein rosa Spielzeugschweinchen auf der Bühne beginnt zu leuchten. So will der Wissenschaftler Maschu nicht nur die Stromprobleme dieser Welt lösen, sondern gleich überhaupt alle Konflikte. Ein Zeitalter der Brüderlichkeit könnte anbrechen. Auch in seinem neuen Stück "Von Affen und Engeln" beschäftigt sich Christoph Nußbaumeder mit den Problemen unserer Zeit, den kalten Seelen und dem heiß laufenden Kapitalismus.
Spielort ist ein Berliner Weihnachtsmarkt. Die Schausteller sind Einzelkämpfer, verkrachte Existenzen, die sich mit dem Verkauf von Würstchen, Glasaffen, Schmuck und Drogen über Wasser halten. Die Leiterin des Marktes will ihren Anteil am Umsatz haben und schickt getarnte Kontrolleure, die möglichst jeden Kunden aufschreiben. Für fünf Euro mehr die Stunde ist auch der gerade angeheuerte Volkmar dazu bereit. Sonst gibt der Amateurmime die historische Figur des "Hauptmanns von Köpenick" auf dem Weihnachtsmarkt. Die Diskrepanz hat natürlich ihren Reiz: Der Darsteller eines gegen die Obrigkeit aufbegehrenden Handwerkers ist heimlich der Agent der Chefin.
Fundiertes Menschentheater
Alle acht Figuren sind Hauptrollen mit Hintergründen und Rätseln. Nußbaumeder schreibt Menschentheater, psychologisch fundiert, Charaktere, in die man sich einfühlen kann, die aber auch ihre Kanten behalten. Bei der Uraufführung in der Regie von Bernarda Horres gelingt das nur zum Teil. Anna Eger spielt wunderbar Stella, eine Frau mit Engelsflügeln, die auf ihren Rollerblades über den Markt schwebt und Bosheit und Zerstörung einfach nicht in ihrem Lebensrepertoire hat. Eine Einsame auf der Suche nach Liebe und Wärme, bei der man gleich an ähnliche Figuren von Horváth oder Fassbinder denkt.
Leider rutscht gerade der Visionär in die Karikatur. Florian Feigl zeigt einen Nerd mit Wollmütze, großer Brille und linkischen Gesten. Zwar zeigt er soziales Gewissen, aber die psychopathischen Züge sind unübersehbar. Das hat zwar historischen Bezug, denn dieser Maschu führt Ideen Nikola Teslas weiter, der am Ende des 19. Jahrhunderts die "freie Energie" öffentlich vorführte. Doch die Zuschauer rätselten, ob es sich um Zaubertricks handelte oder um eine echte Entdeckung. Auch Maschu steht nun auf der Kippe zwischen Scharlatan und Genie, die Frauen projizieren erotische Sehnsüchte auf ihn. Doch spätestens bei der ziemlich lächerlichen Mitmachaktion, die den Charakter einer bekloppten Sektenperformance hat, fehlt jede Ernsthaftigkeit. So tut es auch nicht weh, dass die Vision zerplatzt. Und damit fehlt der Aufführung am Ende die emotionale Basis.
Sympathischer Geist einer Off-Produktion
Christoph Nussbaumeder hat das Stück nicht nur geschrieben, sondern auch produziert. Er hat das Ensemble engagiert, Partner und Geldgeber gesucht. Ein interessanter Schritt, die Aufführung transportiert auch den sympathischen Geist einer Off-Produktion mit wenig Ausstattung und auch außerhalb ihrer Szenen auf der Bühne präsenten Schauspielern. Es stehen auch ungewöhnliche Typen auf der Bühne: Gabriele Gysi zum Beispiel, Regisseurin, zeitweise Chefdramaturgin bei Castorf an der Volksbühne, verkörpert eine Ex-Schauspielerin, die nun Tinnef verkauft. Ihren Ex- und Bald-wieder-Lover spielt Alfred Kirchner, der mal einen "Ring" in Bayreuth und bedeutende Aufführungen im Team von Claus Peymann in Bochum und Wien inszeniert hat. Doch beide wirken eher wie Zitate ihrer selbst, behaupten mehr Poesie als dass sie sich einstellt.
Die zweieinviertel Stunden lange Aufführung gerät oft zäh, es fehlt vor allem die Charaktertiefe in den Rollen. Die Möglichkeiten des Stücks sind noch lange nicht ausgereizt. Die Grundidee, einen Weihnachtsmarkt als Metapher für den Spätkapitalismus zu formulieren und die Möglichkeit eines Wunders zuzulassen, ist ausgezeichnet.
Informationen der Ruhrfestspiele zu "Von Affen und Engeln"
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