Rückwirkende Zensur, vorbeugende Unterdrückung

Von Ulrich Breitbach · 10.12.2010
Deutschland, Land der Dichter und Denker, wie es früher gern genannt wurde, war lange auch ein Land, in dem Journalisten und Schriftsteller verfolgt wurden, wenn ihr freies Wort den Herrschenden nicht passte. Vor 175 Jahren traf es die Schriften des "Jungen Deutschland", einer Gruppe von Autoren, der auch Heinrich Heine zugerechnet wurde.
"Nachdem sich unter der Benennung ‘das junge Deutschland’ eine literarische Schule gebildet hat, deren Bemühungen unverhohlen dahin gehen, die christliche Religion auf die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören, so hat die deutsche Bundesversammlung sich zu nachstehenden Bestimmungen vereinigt ... "

So leiteten die regierenden Fürsten Deutschlands das Verbot ein, das sie am 10. Dezember 1835 unter anderem gegen die Schriften Heinrich Heines, Karls Gutzkows, Heinrich Laubes und Ludolf Wienbargs verhängten. Es galt nicht nur den Werken, die diese Autoren bereits veröffentlicht hatten. Vorbeugend unterdrückt wurde auch alles, was sie – ganz unabhängig vom Inhalt – jemals in Zukunft schreiben würden. Das kam einem selbst für damalige Verhältnisse unerhörten Berufsverbot gleich.

Im Zeitalter der Restauration nach den Napoleonischen Kriegen fürchtete die Obrigkeit nichts mehr als eine Volksbewegung gegen die Adelsherrschaft. Was nur entfernt an Meinungsfreiheit und Demokratie erinnerte, war verdächtig und wurde unterdrückt. Seit 1819 durften Zeitungen und Bücher unter 320 Druckseiten ohne vorherige amtliche Zensur nicht erscheinen.

Verdächtig gemacht hatten sich nicht zuletzt die Schriftsteller des Jungen Deutschland, einer lockeren Gruppierung junger Literaten, deren Name Wienbarg in einer seiner Schriften geprägt hatte. So hatte zum Beispiel Heinrich Heine den Sturz des französischen Königs im Juli 1830 lauthals begrüßt und auch für Deutschland eine revolutionäre Vision formuliert.

"Ich bin der Sohn der Revolution. Und Deutschland? Werden wir endlich von unseren Eichenwäldern den rechten Gebrauch machen, nämlich zu Barrikaden für die Befreiung der Welt? Werden wir die Lehre von den Rechten der Menschheit begreifen, proklamieren und in Erfüllung bringen?"

Anlass für das Verbot der Schriften des Jungen Deutschland war der Roman "Wally die Zweiflerin" von Karl Gutzkow. Da er etwas mehr als 320 Seiten lang war, hatte er die Zensur umgehen können. In ihm übte Gutzkow vernichtende Kritik an Christentum und Kirche.

"Religion ist Verzweiflung am Weltzweck. Wüsste die Menschheit, wohin ihre Leiden und Freuden tendieren, sie würde an keinen Gott glauben."

Wenige Monate zuvor hatte er sogar die "freie Liebe" propagiert.

"Schämt Euch der Leidenschaft nicht und nehmt das Sittliche nicht wie eine Institution des Staates. Der einzige Priester, der die Herzen traut, sei ein entzückender Augenblick. Ja, Ihr Pfaffen, es ist nicht alles Theologie, was in der Welt ist."

Es war der Literaturkritiker Wolfgang Menzel, der den Wally-Roman, seinen Autor und die anderen jungdeutschen Schriftsteller bei den Behörden anschwärzte. Nach dem Verbot stellte er zufrieden fest:

"Der Plan, die ganze deutsche Jugend zu verführen, ist gescheitert. Die Religion, die Sittlichkeit, die Ehe sind vor den ferneren Angriffen dieser Partei sichergestellt."

Wirklich praktiziert worden ist das Berufsverbot nicht. Den meisten deutschen Regenten ging der Beschluss dann doch zu weit. Stattdessen verhängten sie eine besonders strenge Zensur über die Autoren des Jungen Deutschland und ließen manche die volle Härte ihrer Gesetze spüren. So wurde Gutzkow wegen "Verletzung der Sittlichkeit" zu einem Monat Gefängnis, Laube wegen "Anstiftung zur Unzufriedenheit" mit den politischen Verhältnissen gar zu sieben Jahren verurteilt. Unter diesem Druck distanzierten sich Gutzkow und andere von ihren Überzeugungen.

Nur Heinrich Heine, der freilich in Paris vor Nachstellungen sicher war, machte sich voller Ironie über die Fürsten und über diensteifrige Zöllner auf der Suche nach gefährlicher Literatur lustig:

Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
auch nach verbotenen Büchern.

Ihr Toren, die Ihr im Koffer sucht!
Hier werdet Ihr nichts entdecken!
Die Contrebande, die mit mir reist
Die hab ich im Kopfe stecken.

Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es Euch versichern,
mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest,
Von konfiszierlichen Büchern.

Glaubt mir, in Satans Bibliothek,
Kann es nicht schlimmere geben.


Noch Jahrzehnte nach dem Verbot der Schriften des Jungen Deutschland haben Zensoren das freie Wort unterdrückt. Offiziell abgeschafft worden ist die Zensur erst 1874. Aber auch danach blieb die Meinungs- und Pressefreiheit durch Gesetze etwa gegen Majestätsbeleidigung bedroht.