Ausstellung "Deconstructing the border"

"Eine Grenze hat Tyrannenmacht"

Südkoreanische Soldaten patrouillieren an der Grenze zu Nordkorea, am 26. August 2015.
Südkoreanische Soldaten patrouillieren an der Grenze zu Nordkorea, am 26 August 2015. © dpa / epa / YONHAP
Von Jochen Stöckmann · 26.08.2017
Ob zwischen den USA und Mexiko, Israel und Palästina oder am Rand der EU - Grenzen bestimmen unseren Alltag. In der Ausstellung "Deconstructing the border" in der "neuen Gesellschaft für bildende Kunst" in Berlin setzen sich Künstler mit der Bedeutung der Barrieren auseinander.
Wer Grenzen "dekonstruieren", also aufheben oder umfunktionieren will, der kommt nicht ohne Zäune, Mauern und Barrieren aus: Schon im Eingang zur Berliner nGbK steht ein drei Meter hoher Zaun, eine Art Metallspalier für junge Baumtriebe.
"Mein Zaun ist auch ein Industriegerüst mit diesen Schösslingen, Birken- und Pappelschösslinge, mit Kabelbinder. Das ist so ein Raster, das dieses Baugerüst überzieht", sagt die US-Künstlerin Liz Bachhuber. Sie zwingt der Natur ein abstrakt geometrisches Raster auf. Nichts anderes bewirkt jede Grenzziehung.

USA und Mexiko Rücken an Rücken

Bachhuber zeigt aber auch zwei ganz unterschiedliche Seiten: sauber geputzte Fliesenornamente und Berge von Kleidungsstücken, die durch den Maschendraht geflochten sind. So geraten die USA und Mexiko, wie siamesische Zwillinge Rücken an Rücken, gemeinsam in den Blick – durch eine Kunstinstallation.
"Diese Verbindung zwischen Natur und Kultur, auch Recycling und der Wert von Material ist mein Hauptanliegen. Und in Tijuana und in San Diego habe ich bemerkt, wie unterschiedlich die gleichen Materialien auf beiden Seiten der Grenze sind."
Dass ein Austausch über Grenzen hinweg seine Tücken hat, zeigt ein Video von Sofia Dona: Mexikanische Handwerker liefern eine Tischlerarbeit an den US-Hausbesitzer – der Feet und Meter verwechselt hat.
Die Tür zum möglicherweise gastfreundlichen Heim ist über sechs Meter hoch – ein veritables Sperrelement. Das ist mehr als eine Anekdote. Symbole, Metaphern, visuelle Zuspitzungen – nur damit ist das zunehmend unsichtbare Phänomen der Grenzen, der elektronischen Überwachung oder einer übers Land gelegten "Schleierfahndung" noch zu fassen.

Ein Tunnel als Verbindung - und Barriere

Für Jan Lemitz ist es kein Zufall, dass das Flüchtlingscamp bei Calais "Dschungel" genannt wird. "Letzen Endes entsteht ein Dschungel aus Geschichten und Bildmaterial. Dschungel insofern, als es keine klaren Begriffe mehr gibt und keine klaren Räumlichkeiten mehr, die klar definiert sind. So dass dementsprechend auch die eine Grenze, um die es geht, verschwimmt."
Der Fotograf ist der Geschichte der Grenzlandschaft zwischen Frankreich und England, also von Ärmelkanal und Eurotunnel nachgegangen. Jener Ärmelkanal, der einst im Mittelpunkt stand von heroischen Überquerungs-Sagas mit den ersten Flugzeugen oder durch wagemutige Schwimmer. "Das Paradoxe ist, dass der Tunnel diese Beweglichkeit über den Ärmelkanal hinweg auf die Spitze treibt", sagt Lemitz. Aber gleichzeitig werde er zum Mittel der Barriere.
Alles hat zwei Seiten, wenn es um Grenzen geht. Auch Frontex, die EU-Grenzschutzbehörde, in deren Operationszentrale Seenotrettungen ebenso koordiniert werden wie die lückenlose, militärisch organisierte Überwachung.

Grenz-, Orientierungs- und Treffpunkt

Das hat Hillary Mushkin in Zeichnungen festgehalten – Fotografieren war nicht erlaubt. Genau dieses Verbot aber initiierte umso eindringlichere Bilder. Eine groteske Dialektik, die in dieser Ausstellung augenfällig wird. Auch mit einer Palme, die Yann Colonna hereinbringt: Dies sei ein "sehr beliebtes Dekorationsobjekt in kleinen Cafés, in Shisha-Bars oder in Kasinos, für Messen, für Firmenevents von Startups. Für alles Mögliche werden diese Palmen gebucht. Und wir hoffen, über diese Palme so ein bisschen die sozialen Grenzen aufzubrechen."

Die Palme, quer durch Berlin getragen, soll als Orientierungspunkt dienen. Und soziokulturelle Abgrenzungen, die Grenzziehung zwischen den unterschiedlichen "Milieus" aufbrechen. "Wenn man die Art und Weise, wie wir uns im Stadtraum orientieren darüber versteht: Wir benennen die Sachen und das sind die Bojen, an denen wir uns entlangnavigieren – dann ist so eine Grenze eigentlich auch ein Treffpunkt", sagt Colonna.

Gute Zäune, gute Nachbarn

Das erinnert an Robert Frost, den US-Dichter: Good fences make good neighbors – gute Zäune, gute Nachbarn. Wenn sie denn über den Zaun, die Mauer, das Gitter schauen würden.
Margarita Certeza Garcia führt dies vor, mithilfe von reflektierenden Metallfolien am Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko: Mehrere Dutzend Menschen sitzen an einer langen Tafel, die quer durch das Absperrgitter ragt – zu ragen scheint. Das ist weit mehr als nur ein Spiegeleffekt, denn bei dieser über Jahre hinweg gemeinsam entwickelten Ausstellung geht es darum, Strategien zu entwickeln "für das Überleben als Künstler genauso wie für das menschliche Überleben", sagt Garcia. Die hätten wir bitter nötig. "Denn die Politik und andere Instanzen verfolgen sehr strikte und durchaus nicht hilfreiche Absichten. Dagegen hoffen wir Fragen zu eröffnen – und zwar mehr als wir beantworten können."
Am Ende ist es wie beim Judo: Blindlings gegen Absperrungen anrennen ist aussichtslos. Nur wer ihre aggressive Kraft nutzt, sie umkehrt, wird die Grenzen überwinden.
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