Rudi Palla: "Valdivia"

Von Fangzahnfischen und Teufelsanglern

Ein "Fangzahn" ist in der Ausstellung "Tiefsee" im Japanischen Palais in Dresden ausgestellt, aufgenommen am 3. März 2011.
Auch einen "Fangzahn", hier im Rahmen einer Ausstellung in Dresden zu sehen, fingen die Forscher bei der Valdivia-Expedition. © picture alliance / dpa / Martin Förster
Von Günther Wessel · 17.05.2016
Mit einem knapp 100 Meter langen Dampfer, der Valdivia, brach der Zoologe Carl Chun 1898 zu einer Expedition in die Tiefsee auf. Die Geschichte dieser legendären Forschungsreise erzählt jetzt Rudi Palla in seinem wundervoll gestalteten Buch "Valdivia" nach.
"Die Tiefen der Ozeane haben seit alter Zeit mächtig die Phantasie der Menschen erregt. Bald dachte man sie sich unergründlich und des organischen Lebens bar, bald hielt man sie für das Abbild des Oberflächenreliefs unserer Erde und belebte sie mit phantastischen Gestalten", schrieb 1897 der Zoologe Carl Chun und warb damit erfolgreich für eine Expedition zur Erforschung der Tiefsee, die er dann 1898/99 auch leitete. Die Geschichte dieser Forschungsreise erzählt jetzt Rudi Palla in seinem neuen, wundervoll gestalteten Buch nach.
Chuns Reise mit der Valdivia, einem knapp 100 Meter langen Dampfer, führte von Hamburg zunächst in die Nordsee bis zu den Färöer-Inseln, dann nach Süden entlang der westafrikanischen Küste bis nach Kapstadt. Von dort ging es bis zur Packeisgrenze in den Südatlantik, dann ostwärts und schließlich nach Norden Richtung Sumatra.
Westwärts erreichte man über Sri Lanka, die Malediven und die Seychellen schließlich Dar-es-Salaam. Entlang der afrikanischen Küste ging es ins Rote Meer, durch den Suezkanal und das Mittelmeer zurück nach Hamburg. In neun Monaten legte die Expedition 59.234 Kilometer zurück. An 274 Stationen vermaß man die Wassertiefe und/oder führte Fangzüge mit Tiefseenetzen durch.

Kraftvolle Schilderungen von Carl Chun

Palla verlässt sich bei seiner Darstellung weitgehend auf Carl Chuns Expeditionsbericht. Das ist gut, denn Chuns Beschreibungen sind spannend und lebendig. Ihm merkt man die Neugier des Forschers und das Staunen über die unbekannte Lebenswelt der Tiefsee an – die Forscher fangen bizarre Kreaturen, wie den Vampirtintenfisch, der wie eine Fledermaus aussieht, den Gespensterfisch, der Teleskopaugen besitzt, Teufelsangler und Fangzahnfische.
Die Faszination dieser Wesen wird durch zahlreiche Abbildungen und Fotos der Expedition, von Zeichnungen und Bilder der Präparate noch unterstützt. Chun schreibt so anschaulich über die Haijagd, dass man das Blut zu riechen spürt. Und auch seiner bewundernd-vermenschlichend Beschreibung der Königspinguine, der "Philosophen des Unbewussten", kann man sich schwer entziehen.
Neben den kraftvollen Schilderungen des Forscher fällt Rudi Palla eine etwas undankbare Rolle zu: Er muss die Reiseroute zusammenfassen, die Biografie Chuns erzählen oder die technischen Details der Expedition berichten. Das macht er nicht ungeschickt, mitunter anschaulich, mitunter zu beschaulich.

Schutz des Ökosystems "Ozean"

Interessant wird es, wenn er wichtige Zusammenhänge ergänzt: So interpretiert er Chuns Expedition auch als Ausdruck deutschen Weltmachtstreben (Wilhelm II: "Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser") oder referiert über den Kolonialismus und welche Folgen der für bestimmten Punkten der Reiseroute hatte.
So war der Atoll Diego Garcia im Indischen Ozean lange britisches Überseegebiet und ist heute, nachdem die Bevölkerung Mitte der 1960er-Jahre umgesiedelt wurde, amerikanischer Luftwaffenstützpunkt.
Am Ende beklagt Palla, welche Konsequenzen die Eroberung der Ozeane auch hatte: die Verschmutzung, Überdüngung, radioaktive Verseuchung, Überfischung oder auch den Klimawandel. Carl Chun bereiste noch ein anderes Meer - die Erinnerung an seine Expedition ist deshalb auch ein Aufruf, das Ökosystem "Ozean" zu schützen.

Rudi Palla: "Valdivia. Die Geschichte der ersten deutschen Tiefsee-Expedition"
Galiani Verlag, Berlin 2016
224 Seiten mit 80 z. T. vierfarbigen Fotos und Abbildungen, 28 Euro

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