Ruandas junge Kunstszene

Leuchtende Landschaften und viel Therapie

Performers pray in commemoration during an event to commemorate the 20th anniversary of the Rwandan genocide at Amahoro stadium in the capital Kigali, Rwanda, 07 April 2014.
Gedenkveranstaltung mit Gebeten und Performances zum 20. Jahrestag des Genozids in Kigali, April 2014 © picture alliance / dpa / EPA
Von Cornelius Wüllenkemper · 15.09.2014
Zwanzig Jahre nach dem Völkermord scheint Ruandes es geschafft zu haben. Doch trotz der glitzernden Wolkenkratzer in Kigali, der gepflegte Straßen und Parks, gärt der alte Konflikt - ein Zwiespalt, den die junge Kunst- und Kulturszene aufgreift.
"Ok, gut. Lass uns eine Tour über das Gelände machen! Am besten wir fangen oben an, da hängt mehr Kunst ..."
Jean Bosco Bakunzi ist ein freundlicher junger Mann, untersetzt und rundlich, mit einem charmanten Lächeln. Wer zu ihm gelangen will, muss sich erst einmal in den namenlosen und verwinkelten Straßen von Kimihurura, im Norden von Ruandas Hauptstadt Kigali zurechtfinden. Nur wenige hundert Meter unterhalb des Präsidentenpalastes verrät dann ein buntes Metalltor in einer von Gemälden übersäten Steinmauer, dass das Ziel erreicht ist.
"Wir sind hier seit vier Jahren, seit März 2010. Unser Ziel war es, Ruandas Kunst nach vorne zu bringen. Das wäre nur zwei Jahre früher undenkbar gewesen! Es war schwer, Leute zu finden, die sich künstlerisch ausdrücken wollten."
In den letzten Jahren konnte man allerdings zugucken, wie sich die Kunst in Kigali ihren Platz erobert.
"Das hier ist unser Ausstellungsraum. Gerade stellen wir hier elf Künstler aus. Morgen kommen zum ersten Mal auch Frauen dazu, mit denen wir einen Workshop machen."
Mittlerweile gehören Jean Bosco und seine Mitstreiter zu den wenigen Künstlern in Ruandas Hauptstadt, die mehr oder minder von ihrer Arbeit leben können.
"Die Kunst entwickelt sich gerade erst in Ruanda. Wenn ich auf die Zeit vor und direkt nach dem Genozid zurückblicke, würde ich sagen: Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem die Menschen hier wieder an Kunst glauben. Früher gab es vielleicht einen einzigen Treffpunkt für Künstler. Heute sind es schon fünf! Das ist eine gute Sache. Denn Kunst kann die Menschen heilen. Kunst verbirgt etwas Geheimnisvolles. Die Leute entdecken dahinter Liebe und Schönheit."
"Kunst ist wie eine Droge"
Auf einem der zahllosen Motorradtaxis, die in halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Hügel der Hauptstadt Ruandas rasen, geht es weiter zu einem der jungen Maler, die sich an der künstlerischen Aufarbeitung der Vergangenheit abarbeiten. Vor 20 Jahren hinterließ der Völkermord an den Tutsis nicht nur hunderttausende tote Ruander, sondern auch eine Nation in emotionaler Schockstarre.
Hi, you're welcome! Let's take that way ..."
Patrick Ruganintwali lebt in einem Haus mit Blick auf Kigalis Zentrum. Seine Mutter lebt nicht mehr, fünf weitere Geschwister sind bereits außer Haus. Den Völkermord vor 20 Jahren hat Patrick miterlebt. Sprechen möchte er darüber nicht.
Durch die dunklen Gänge des einfachen Lehmziegelbaus dringt er vor bis zu einem winzigen Raum. Patricks Atelier – es quillt über von Leinwänden, Pinseln, Farbtuben, diversen Malutensilien und Materialen.
"Hier ist eines meiner neuen Werke ..."
Etwas verlegen zeigt er eine naturalistische Tierszene.
"Malen, das ist mein Beruf, auch wenn das nicht einfach ist. Das ist wie eine Droge für mich. Ich male nicht für Geld, sondern aus Leidenschaft. Und selbst wenn ich einen Tages mein Geld woanders verdiene, werde ich nie mit der Kunst aufhören."
Der ausgebildete Tourismusmanager hat bisher nie in seinem Beruf gearbeitet.
Aus einer Ecke seines Ateliers kramt er dunkle Figuren hervor, die zweigespaltene kleine Masken von Frauengesichtern tragen.
"Wenn du einmal bis zum Grund des Abgrunds gekommen bist, bis dorthin, wo es tiefer nicht mehr geht, dann muss es wieder aufwärts gehen. Davon handeln meine zerbrochenen Gesichter. Da ist Düsteres, aber im Hintergrund sieht man ein Licht."
Auf dem Atelierboden verteilt: hunderte geschnitzte kleine Holzgesichter, keines gleicht dem anderen. Geheimnisvolle Frauenmasken, die mit Patricks Vergangenheit zu tun haben, mit dem Tod seiner Mutter. Seine Kunst, meint er, sei wie eine Therapie für ihn, aber auch für sein Land.
"Ja, Kunst spielt eine Rolle. Auch wenn manche Leute noch nicht wissen, was Kunst ist. Aber wir sind dabei zu begreifen, dass Kunst nicht nur dafür da ist, Wohnraum zu dekorieren. Man muss auch die Botschaft dahinter verstehen."
Künstler können kaum von ihrer Arbeit leben
Ambitionierte Künstler wie Patrick haben es schwer in Ruanda. Für seine Malutensilien muss er ins Nachbarland Uganda reisen, nur seine Leinwände und billige Farbpigmente aus China bekommt er auf dem Markt in Kigali. Künstler müssen in Ruanda improvisieren, mit Behelfsmitteln auskommen, Geduld und Leidenschaft haben.
Sophie Nzayisenga gilt als nationale Koryphäe des Inanga-Spiels. Das Instrument besteht aus einem gewölbtem Holz, über das sechs Saiten gespannt sind. Seit Jahrhunderten werden zu seinem Klang Gedichte und Geschichten aus Ruanda rezitiert. Nzayisenga ist die einzige Frau des Landes, die sich in dieser musikalischen Männer-Domäne großes Ansehen erspielt hat.
Dabei können junge Musiker, die ruandische Musik-Traditionen wiederbeleben wollen, kaum von ihrer Kunst leben. Ihre stärkste Konkurrenz ist der US-amerikanische Gangster-Rapp. Aufnahmestudios sind Mangelware in Kigali und zudem äußerst schlecht ausgerüstet. Wenn es doch mal ein traditioneller Song ins Radio schafft, sieht der Musiker von seinen Tantiemen oft genug gar nichts.
"Die Besonderheiten der ruandischen Musik liegen in der Melodieführung und im Rhythmus. Wir haben nicht nur 4er und 6er Rhythmen, sondern auch 3er, 5er und 7er. Das kann ganz schön komplex sein. Ich gebe mal ein Beispiel: Voilà, das ist ein Rhythmus, den ich komponiert habe."
Ben Ngabo erklärt die Feinheiten der traditionellen Musik. Vor vier Monaten hat in Nyundo im Westen Ruandas die erste "School of Arts and Music" eröffnet. Der Mitvierziger Ngabo leitet die Klasse für traditionellen Gesang und Instrumente.
Früher wurde diese Musik im Königspalast gespielt, erzählt er. Bereits in der belgischen Kolonialzeit wurde die traditionelle Kultur dann in den Hintergrund gedrängt. Heute, 20 Jahre nach Ruandas Stunde null, besinnen sich immer mehr junge Musiker ihrer Wurzeln.
"Wir haben festgestellt, dass das in unserer Gesellschaft fehlt. Die Kultur ist ein Pfeiler des sozialen Zusammenhalts. Musik und Kultur sind eine Art Zement, der die Menschen zusammenhält. Das hat auch die Regierung verstanden und beginnt jetzt uns zu unterstützen."
Auf dem Festival Kigali UP, das in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindet, geht es auch um neue Strömungen – Mischungen aus klassischen Rhythmen und Gesang, mit Rhythm'n Blues, Gospel, Rap und Folk-Musik aus den Vereinigten Staaten. Junge Leute würden Musik oft genug nur auf Youtube kennenlernen, meint Ben Ngabo. Da habe es die traditionelle ruandische Kultur schwer.
Der emotionale Schock über den Genozid in einem Land, in dessen Sprache Kinyarwanda Begriffe wie "Ethnie" oder "Rasse" nicht einmal existieren, sitzt tief. Erst die belgischen Kolonialherren hatten die soziale Abgrenzung zwischen den Bevölkerungsgruppen als ethnische Kategorie eingeführt und damit den Boden für den blutigen Ausbruch des schwelenden Konflikts bereitet.
"Über das Radio wurde Propaganda gegen die Tutsis verbreitet. Damals war sich niemand bewusst, was passierte und wieso. Damit sich so etwas nie wiederholen kann, müssen wir die Menschen dazu bringen, selbstständig zu denken. Lesekultur und Bildung sind sehr wichtig, um eine Gesellschaft eigenständiger Individuen zu entwickeln."
Internet im Highspeed, wenig Arbeitslose und wachsende Bauwirtschaft
Ruandas erste öffentliche Bibliothek, die Kigali Public Library.
Vor dem modernen Glasbau, der vor eineinhalb Jahren direkt gegenüber der US-Botschaft eröffnet wurde, ist der Stolz der Benutzer auf ihre Bibliothek zu spüren – Studenten, Wissenschaftler, Schüler.
"Die Bücher, die wir nicht in der Schule bekommen, lese ich hier. Ich hab es weit bis nach Hause, aber der Weg lohnt sich. Hier kann ich kostenlos lesen. Für Ausleihen und Computernutzung wird dagegen eine Gebühr erhoben.
Ich bin im Prinzip jeden Tag hier - von acht Uhr Morgens bis vier Uhr Nachmittags. Ich arbeite an einer Studie über Hotel-Reservierungs-Systeme. Die schnelle Internetverbindung hilft mir dabei natürlich. So kann ich meine Arbeit besser machen."
50.000 Bücher stehen im Magazin, Literatur und wissenschaftliche Werke, aber auch Comics. Außerdem gibt es E-Books im Netzwerk mit anderen Bibliotheken.
Die Public Library ist ein Symbol für Ruandas äußert ehrgeiziges – und erfolgreiches – Aufbauprogramm, das dem Land nicht nur Glasfaserkabel für Highspeed-Internet, eine enorm wachsende Bauwirtschaft sondern auch Afrikas niedrigste Arbeitslosenrate beschert. Nur langsam unterstützt die Regierung auch die Kultur als einen wichtigen Baustein zur Zukunft des Landes.
Eric Kabera ist einer der ersten, der nach dem Völkermord die Bedeutung der kulturellen Selbstfindung für die Zukunft des Landes erkannt hat. Der ehemalige Fernsehkorrespondent gründete damals im Hinterhof seines Wohnhauses das erste ruandische Filmfestival. Was als Kleinst-Event begann, ist im zehnten Jahr zum wichtigsten Treffpunkt der aufstrebenden Filmbranche des Landes geworden.
"Es geht nicht nur um Wirtschaftswachstum mit Hochhäusern und anderen schönen Dingen. Wir wollen der Welt zeigen, dass wir eine lebendige Kultur haben, ungeachtet unserer tragischen Vergangenheit. Filme können eine therapeutische Wirkung haben, denn sie bringen Menschen dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen."
Genozid-Gedenkstätte Gisozi nahe Kigali in Ruanda, aufgenommen 2008
Genozid-Gedenkstätte Gisozi nahe Kigali in Ruanda© picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Im Café des 2011 erbauten "Kwetu Film Institute" sind Kaberas Verdienste um das neue Kino in Ruanda mit den Händen zu greifen.
Nur wenige Kilometer vom Filminstitut entfernt liegt die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords. Das jährliche Filmfestival zeigt hier aktuelle Produktionen junger ruandischer Filmemacher. Der 22-jährige Samuel Karemangingo erzählt in seinem halbstündigen Film "Crossing Lines" vom Leiden der Überlebenden, derjenigen, die ihre Angehörigen verloren haben, aber auch derjenigen, die heute mit der Erinnerung an ihre eigenen Gräueltaten leben.
"Ich bin ein Überlebender des Genozids. In meiner Familie sitzt der Schock über die Vergangenheit sehr tief, aber die Erinnerung daran wird nicht wirklich zugelassen. Das berührt mich sehr, denn es ist Teil der Gesellschaft, in der ich lebe. Das ist das Thema, das mich in meinen Filmen interessiert. Denn auch wenn die schreckliche Vergangenheit 20 Jahre zurückliegt, ist sie so präsent, als sei sie gestern gewesen."
"An die Vergangenheit denkt hier jeder"
Seinen Job als Journalist hat Samuel hingeworfen. Er will versuchen, mit seinen Filmen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der ruandische Film-Markt ist bisher wenig entwickelt. Die etwa 30 Filmproduktionen setzen auf einfache Telenovelas, Herz-Schmerz-Filme und Komödien. Ein Fernsehprogramm ist noch im Aufbau.
Rwamagana, eine Kleinstadt in der Ost-Provinz, etwa eine Stunde von Kigali entfernt. Das Rwanda Film Festival präsentiert sich nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch auf dem Lande, dort wo viele Menschen noch ohne Strom und in großer Armut leben.
Als das Festivalteam auf dem örtlichen Fußballplatz eine zehn Meter hohe aufblasbare Kinoleinwand installiert, ist das Gedränge groß.
Bis spät in die Nacht verfolgen die Menschen gebannt einfache Filme über das Alltagsleben oder Romanzen über totgeglaubte Kämpfer des Bürgerkriegs, die in ihr Heimatdorf zurückkehren.
"An die Vergangenheit denkt hier sowieso jeder. Geschichten über uns und unsere Gegenwart, Filme über unsere Kinder sind einfacher für uns, damit verbinden wir mehr Gefühl."
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