Roth-Behrendt fordert mehr Frauen auf einflussreichen EU-Posten

19.11.2009
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Dagmar Roth-Behrendt (SPD), fordert einen höheren Frauenanteil bei einflussreichen EU-Posten. Ein Anteil von einem knappen Drittel sei viel zu wenig. In der EU-Kommission und im Parlament regiere noch immer der Männer-Klüngel.
Christopher Ricke: Ich spreche jetzt mit Dagmar Roth-Behrendt von der SPD, sie ist die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes. Guten Morgen, Frau Roth-Behrendt!

Dagmar Roth-Behrendt: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Hat Diana Wallis recht, waren die Frauen bislang zu nachlässig oder nachsichtig, wie meinen Sie es?

Roth-Behrendt: Wir waren weder nachlässig noch nachsichtig. Wir haben schon immer gesagt: Eine Europäische Kommission, die repräsentiert, die auch die Staaten widerspiegelt, muss auch das Verhältnis Frauen-Männer widerspiegeln. Aber letztendlich entscheiden es die Regierungschefs oder Regierungschefinnen und die schicken trotzdem immer noch lieber Männer offensichtlich als Frauen, wenn wir uns bereits jetzt das Verhältnis in der Europäischen Union angucken, in der Kommission.

Ricke: Woran liegt das? Ist das ein Männerklüngel, der die Jobs untereinander aufteilt?

Roth-Behrendt: Ja, ich glaube schon, das hat was mit Männerklüngel zu tun, aber es ist auch auffällig, dass gerade die großen, sagen wir mal, vielleicht auch einflussreichen Länder – wie Deutschland, wie Frankreich, wie Italien – immer nur Männer schicken. Die kommen offensichtlich gar nicht auf die Idee, eine Frau zu schicken. Frankreich hat das früher, zu sozialdemokratischen Zeiten, getan. Das ist lange vorbei, und das ist schon ein Männerklüngel. Und jetzt kommen die kleinen Länder, die sind ja schlau und sagen, ah, wenn Barroso, wenn also die Kommission in der Not ist und sagt, oh, wir brauchen aber Frauen, und wer eine Frau schickt, der bekommt auch ein einflussreicheres Portfolio, also ein einflussreicheres Ressort, dann sagen die, na, dann schicken wir doch eine Frau. Jetzt sagen die Holländer: Schicken wir doch unsere bisherige Kommissarin, wenn wir dafür was Wichtiges bekommen. Ist eigentlich ziemlich schlau, könnten andere Mitgliedsländer vielleicht auch tun.

Ricke: Aber das ist ja eine Geschäftemacherei mit dem Geschlecht, mit der Quote und mit dem Proporz. Es geht doch darum, die besten Köpfe in Europa zu haben.

Roth-Behrendt: Na, theoretisch geht es überall immer um die besten Köpfe, wie wir wissen, aber das heißt ja nicht, dass bei einer Quote zum Beispiel auch mehr Frauen in Führungspositionen, in Aufsichtsräten, in anderen Positionen, dass es deshalb an der Qualität mangelt. Also, ich kann Ihnen sofort aus dem Stand in der jetzigen Kommission sehr viele mittelmäßig bis schlechte Männer nennen, daran fehlt es nicht, das hat damit nichts zu tun. Aber na klar ist es insgesamt, ob Mann oder Frau, wie immer bei der Besetzung solcher Posten auch ein bisschen Kungelei dabei, das ist überall so. Das ist wahrscheinlich sogar in jedem Verein so.

Ricke: Jetzt ist es natürlich sinnvoll, in Gremien auch ein bisschen ein Abbild der Gesellschaft wirklich darzustellen und ich habe ja schon gelernt, dass Frauen die Hälfte der Gesellschaft bilden. Jetzt geht es ihnen ja nicht so schlecht, in der Kommission zum Beispiel stellen sie doch schon ein Drittel, das entspricht auch dem Anteil im Parlament. Gut, es ist nicht der Anteil in der Gesellschaft, aber es geht doch voran.

Roth-Behrendt: Ein knappes Drittel stellen wir im Moment in der Europäischen Kommission zurzeit. Ja, das stimmt, es geht voran, aber es ist nicht selbstverständlich, dass es jetzt bei der nächsten Europäischen Kommission genauso ist. Die bisherigen, festen Nominierungen für Frauen, von Frauen aus Mitgliedsländern sind zwischen drei und fünf. Wir können vielleicht auch auf sieben hoffen, wenn wir jetzt ein bisschen Druck machen, mit acht. Aber dann sind wir genauso weit wie jetzt im Moment. Von 27 ist das kein Ruhmesblatt und es spiegelt klar nicht die Gesellschaft wider.

Und wenn Sie sich die sogenannten Spitzenjobs angucken: Kommissionspräsident: Mann, Parlamentspräsident: Mann, potenzieller Außenminister, zukünftiger: vermutlich Mann, Ratspräsident: vermutlich Mann, Generalsekretär des Rates würde ich mal vermuten, war es jahrzehntelang Mann, wird vermutlich auch wieder ein Mann sein. Das könnte ich mir noch vorstellen, dass sie sich da auf eine Frau einigen, weil sie meinen, das sei noch der unwichtigere Job, wenn es einen Ratspräsidenten gibt. Aber das ist natürlich keine Widerspiegelung der Gesellschaft.

Ricke: Worum geht es denn jetzt? Muss man Frauen fördern oder muss man Männer bremsen?

Roth-Behrendt: Hm, ich glaube einfach, dass die Mitgliedsländer ein bisschen selbstbewusster sein sollten und einfach rumgucken: Was sind ihre besten Leute? Deutschland geht da nicht mit dem besten Beispiel voran. Nichts gegen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, aber auch da, denke ich, hätten wir wahrscheinlich noch was anderes finden können in Deutschland, mit einer besseren europäischen Vergangenheit und mit einem besseren Racket und vielleicht mit einem anderen Geschlecht, wäre also durchaus möglich gewesen. Männer muss man wahrscheinlich nicht bremsen, wir müssen Frauen selbstbewusster machen, aber wir müssen vor allen Dingen den Mitgliedsländern ein Bein stellen. Vermutlich muss man wirklich sagen: Wenn ihr keine Frau schickt, solange wir nicht zwei Drittel oder ein Drittel oder die Hälfte Frauen besetzt haben, dann stellt ihr euch hinten an bei der Ressortverteilung.

Dann ist es eben nicht selbstverständlich für Deutschland, in Anführungszeichen, oder für Frankreich, dass sie Binnenmarkt bekommen. Da meint Herr Sarkozy, das ist ja schon gesetzt für Herrn Barnier, da denkt der schon, der geht damit nach Hause. Es ist nicht selbstverständlich für einen Oettinger, dass er Wirtschaft und Währung oder Industriepolitik bekommt, sondern vielleicht nimmt er Fischerei oder vielleicht nimmt er Kultur, wenn wir keine Frau schicken. Das ist wahrscheinlich die richtige Methode, also sozusagen name und shame, drohen und belohnen, wenn ihr was macht, was wir wollen von euch, dann belohnen wir euch und wenn nicht, stellt ihr euch hinten an.

Ricke: Jetzt könnten die Frauen im Europäischen Parlament ja rein theoretisch den Männern einen Strich durch die Rechnung machen, wenn sie schwesterlich, solidarisch und kampfbereit das Thema Frauenproporz ganz nach vorne treiben.

Roth-Behrendt: Ja.

Ricke: Vielleicht fehlt es ja auch ein bisschen an der Frauensolidarität und an der Kampfbereitschaft?

Roth-Behrendt: Aber na klar tut es das, wenn sie sich jetzt auch die Frauen angucken, auch meine Kolleginnen und Kollegen, was ich sehr schätze, dass sie jetzt mal den Mund aufmachen, die kommen alle aus Parteien, die keine Quoten haben. Da bin ich entspannt. Die deutsche SPD hat eine Frauenquote. Gucken Sie sich mal an, wie die anderen Parteien aus anderen Mitgliedsländern, wie viele Frauen sie ins Europäische Parlament entsenden oder wie sie insgesamt auch in ihren Regierungen Positionen vergeben. Also, da ist das alles noch so eine Sache. Und dann mit der Kampfbereitschaft, das haben wir ja gesehen bei Herrn Barroso: Letztendlich, at the end of the day, am Ende des Tages entscheiden dann doch wahrscheinlich auch viele Frauen danach, oh, ich komme aus einem Mitgliedsland, mein Regierungschef gehört meiner Partei an, der hat einen Mann vorgeschlagen. Ich möchte mal die Spanierinnen sehen, ob sie gegen ihren Regierungschef – meine Spanierinnen, in Anführungszeichen – Herrn Zapatero, dagegen stimmen, wenn der Herrn Almunia vorschlägt, und ich möchte mal die ... meine Kollegin von der EVP, meine griechische Kollegin, auch Vizepräsidentin, Frau Kratsa, sehen, die auch sehr vehement protestiert zurzeit, wie das ist, wenn es dann einen Griechen gibt, obwohl es von den Sozialdemokraten vorgeschlagen wird. Meine portugiesischen Sozialdemokraten haben gesagt: Wir müssen Herr Barroso unterstützen, er ist Portugiese. Also, da gibt es noch eine Menge zu tun.

Ricke: Frau Roth-Behrendt, dann sind Sie selber schuld, oder?

Roth-Behrendt: Wir sind zum Teil selber schuld, ja. Aber da müssen wir auch schimpfen, das tun wir auch immer wieder, und wir müssen uns auch selber ehrlich sagen: Sind es Lippenbekenntnisse, was wir machen, ist es ein bisschen public show oder meinen wir es ernst? Und wenn wir es ernst meinen, dann müssen wir auch konsequent uns so verhalten und müssen sagen, nein, dann lehnen wir diese Kommission ab, wenn nicht genügend Frauen drin sind, und dann wollen wir bei der namentlichen Abstimmung sehen: Welche Frauen halten sich dran?

Ricke: Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dagmar Roth-Behrendt. Vielen Dank, Frau Roth-Behrendt!

Roth-Behrendt: Sehr gerne, Herr Ricke!
Mehr zum Thema