Rot und Weiß im Straßenverkehr

Die Absturzsicherung als serielles Tafelbild

Ein Fahrzeug der Stadtwerke steht am 08.04.2014 in München an einer Baustelle.
Rot-weiße Absperrgitter sichern in München eine Baustelle. © picture alliance / dpa / Marc Müller
Von Simone Reber · 03.05.2016
Rot-weiße Absperrgitter: Im Frühjahr und Sommer beherrschen sie das Stadtbild, scheinen sich inflationär zu vermehren. Ihre wirkungsvolle optische Gestaltung und unübersehbare Positionierung lassen sie zur Kunst im öffentlichen Raum werden.
Ein rotes Quadrat, daneben ein weißes Quadrat, dann wieder ein rotes Quadrat. Die obere Leiste des Verkehrszeichens Nummer 600, der Absperrschranke, ist mit reflektierender Folie beklebt. Darunter blockiert der stämmige Körper mit weißen Stäben den Weg. Die Kunststoffgitter werden an den abgerundeten Eckpfosten mit Metallbügeln verbunden. Seit rund zehn Jahren ersetzt dieser rot-weiße Burgwall den filigranen Drahtzaun rund um die Baustelle.
"Die erste Reaktion von allen Kollegen und das hört man heute noch hier und da ist der Vergleich mit Legomodellen."
Ingo Huebner ist der Absperrexperte der Firma Zeppelin, einem der größten Unternehmen für Baustelleneinrichtungen bundesweit. Künstlerische Freiheiten sind seinem Team nicht erlaubt:
"Es gibt da behördlich angeordnete Verkehrszeichenpläne und danach wird aufgebaut."

Jeder Hersteller mit eigener Handschrift

Auf dem gut sortierten Materialhof in Berlin Siemensstadt sieht es aus wie in einem Museumsdepot für Pop Art. Mitte des 20. Jahrhunderts holten die amerikanischen Künstler die Trivialität des Alltags und der Straße ins Museum. Der Maler Allan d'Arcangelo etwa hielt in seinen Highway Bildern die Sinneseindrücke eines Autofahrers fest. Da versperren rot-weiße Schranken den Weg, stoppen die Augen in voller Fahrt. Wenn man dann allerdings in der Realität genau hinsieht, kann man doch die individuelle Handschrift jeder Firma erkennen. Anfangs wurden die Kunststoffelemente gern geklaut.
"Zeppelin deutschlandweit erkennt man daran, dass wir eigentlich relativ rot sind. Also von den Fußplatten, von unseren Logos, aber auch gerade bei dem Schrankenschutzgitter, wir verwenden die Gitter, die diese schrägen Stäbe haben und da ist ein Feld komplett geschlossen und da ist Zeppelin eingeprägt."
Ähnlich machten es schon die ersten Automobilclubs, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Warnschilder für ihre Mitglieder aufstellten. Während Eisenbahn und Schifffahrt sich bereits im 19. Jahrhundert auf verbindliche Zeichen und Signale verständigt hatten, mussten Farben und Formen für den Straßenverkehr erst festgelegt werden. So warnte ein Schachbrettmuster die Autofahrer vor gefährlichem Pflaster. Heute lenken sogenannte Baken die Fahrt. Während die Absturzsicherung als serielles Tafelbild die Stadt schmückt, säumt die Bake als Stele die Autobahn.
"Eine Bake steht natürlich hochkant und ist schraffiert entweder von rechts oben nach links unten oder andersherum, und zeigt dem Autofahrer, ob er rechts an der Baustelle vorbei fahren muss oder links an der Baustelle vorbei fahren muss. Das wissen die wenigsten Autofahrer, das lernt man aber normalerweise in der Fahrschule."

Warum nicht gleich farbiger Asphalt?

Als ästhetische Herausforderung hat der Verkehr schon früh die Künstler gereizt. Nach der Oktoberrevolution träumte der russische Konstruktivist El Lissitzky davon, die Autos durch farbige Straßen zu leiten. In Moskau scheiterte der kühne Versuch allerdings kläglich an der Qualität der Farbe. Am Ende war alles grau. In Deutschland entwickelte der Bauhaus Schüler Werner Graeff bereits 1923 ein optisches Vokabular für den Verkehr. Rot bremst, das Quadrat sperrt, ein rotes Quadrat bedeutet: Halt gesperrt. Natürlich leitet das Quadrat seinen Absolutheitsanspruch vom ersten Quadrat in der modernen Kunst ab, dem Schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch. Für Malewitsch löste die reduzierte Form die religiöse Ikone ab. "Verkehrszeichen sind allmächtig. Sie gebieten und verbieten", sagte Anfang der 60er-Jahre der Düsseldorfer Maler Winfred Gaul, als er die Pop Art aus Amerika mitbrachte. Seine ersten Fantasie-Verkehrszeichen, Experimente mit Schrankenmustern und Vorfahrtsschildern, stellte Gaul an der Autobahn Mailand Monza aus. Aber auch das echte Verkehrszeichen Nummer 600, die Absperrschranke, kann man unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachten.
"Letztendlich will ja jeder Auftraggeber, dass er eine tolle Baustelle hat. Das glaubt man nicht, aber auch Baufirmen achten darauf, dass sie eine tolle Baustelle eingerichtet haben. Und so ein Phänomen ist, wenn man mal wieder neues Material hinzufügt, kann es auch durchaus passieren, dass auch Firmen auf uns zu kommen, die sonst nicht unbedingt mit uns arbeiten, nur weil man eben halt eine tolle Baustelle haben will."

Kunst und Straße im kreativen Dialog

Was ist eine tolle Baustelle?
"Eine tolle Baustelle ist eine Baustelle, die sehr korrekt eingerichtet ist, mit sehr gutem Material, sehr sauber und wo man schon von Weitem erkennt, dass die Verkehrsführung super eingerichtet ist und der Verkehr toll läuft."
Mal hat die Kunst von der Straße geborgt, mal entlehnt die Straße von der Kunst. Rot-Weiß versperrt zwar den Weg, öffnet aber die Augen. Wer sich einmal auf die farbigen Muster einlässt, freut sich über jede tolle Baustelle.
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