Rossinis letzte Oper

Apfel mit Schuss

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Es ist das berühmteste Motiv aus Wilhem Tell: Sohn Walter mit Apfel auf dem Kopf. © picture alliance / ZB
Von Bernhard Doppler · 28.06.2014
Der Schauspielregisseur Antú Romero Nunes führt zum ersten Mal Regie mit Opernsängern - und verpasst Rossinis Grand Opera einen eigenen Stempel. Seine Interpretation der Freiheitskämpfergeschichte um Wilhelm Tell ist eine ironische, aber durchaus originelle Deutung.
Kündigt der Mann, der zu Beginn der Vorstellung auf die Bühne tritt, eine Indisposition an? Nein, er ist Figur der Inszenierung. Noch ehe die Musik in Rossinis Oper einsetzt und der Vorhang aufgeht, wird dieser Mann von einem anderen getötet: ein Attentat gegen die Unterdrücker im Befreiungskampf der Schweiz als Auslöser der Handlung.
Der Freiheitsheld und Titelheld von Rossinis Oper Wilhelm Tell wird allerdings ziemlich allein stehen, wenn er das friedfertige Volk der Schweizer weiter politisieren will; ja Tell ist es selbst, der den alten Schweizer Mechthal erschlägt, um so das lahme Volk endlich zum Aufstand gegen die Unterdrücker zu empören, vor allem den jungen Arnold Melchthal, der mit seiner Liebe zur Prinzessin Mathilde zwischen den Fronten steht.
Blutiger Befreiungskampf
Es geht nicht gut aus: Im Finale der Oper wird schließlich zwar die Freiheit der Schweiz besungen werden, aber statt ländlicher Hochzeitsgesänge ist die Bevölkerung nun in einen blutigen Befreiungskampf verwickelt: So also die Lesart von Rossinis letzter Oper in der Inszenierung der Bayrischen Staatsoper München. Der erfolgreiche Schauspielregisseur Antú Romero Nunes führt zum ersten Mal Regie mit Opernsängern und ist dabei natürlich in seinen bei ihm beim Schauspiel üblichen Mitteln (Ironie, Spielwitz, Improvisation, Publikumsanimation) begrenzt. Die Schweizer lässt er in spießiger 1960er-Jahre Mode (Kostüme: Anabelle Witt) auftreten, wobei der Scharfschütze Tell, ein missmutiger Brillenträger im Pollunder, ganz wie sein Sohn auf politischen Krawall aus ist. Das ist alles eine zwar ironische, doch durchaus mögliche originelle Deutung der grand opera. Auf eine konkrete Darstellung der einzelnen Szenen wird weitgehend verzichtet; das Bühnenbild von Florian Lösche sind 50 silbergraue Röhren,die im dreieinhalb Stunden langen Abend ständig in Licht und Gegenlicht auf und ab fahren, manchmal auch wagrecht oder quer gezogen werden: Wald, Säulen, freies Feld.
Problematisch: die musikalische Interpretation
Der nicht so recht befriedigende Eindruck der Aufführung liegt aber wenig an der - mit in der Münchner Staatsoper ja gewohnten Buhs bedachten - Inszenierung, sondern mehr an der musikalischen Interpretation. Möglicherweise sind inzwischen auch die Ansprüche beim Publikum gewachsen, denn die Rossini-Festivals in Pesaro, aber auch im kleinen Schwarzwaldfestspiel in Wildbad (in beiden Festivals wurde 2013 "Guillaume Tell" eindrucksvoll musiziert) haben Maßstäbe in der Interpretation auch des späten Rossini gesetzt, hinter die man nicht wie in München zurückfallen sollte. Gerade das, was den Reiz Rossinis ausmacht - der Aufbau längerer Tableauxs, die Zuspitzung durch Celerandos bis zur geradezu existentiellen Verwirrung - vermisst man, stattdessen unter Dirigent Dan Ettinger ein ständig expressiver Ton oder langweilige ländlichen Szenen; Rossini wie ein mittelmäßiger Verdi gespielt.
Sicherlich füllt Michale Volle die übrigens gar nicht so große Titelrolle kräftig aus und schafft Bryan Hymel als Arnold auch die ungemein schwierige Kampfarie am Schluss mühelos, sicherlich beeindruckt auch Martina Rebeka als Mathilde - aber eben nur in den leiseren Passagen, Vieles wirkt auch bei den Sängern immer wieder angestrengt expressiv, am mühelosesten und klarsten allerdings Evgeniya Sutnikova als Jemmy. Die Anteilnahme an Rossinis Mammutwerk hielt sich in München also in Grenzen.