Rossini-Oper

Kunstfiguren werden zu realen Menschen

Zeitgenössische Darstellung des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792-1868)
Zeitgenössische Darstellung des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792-1868) © dpa / picture alliance
Von Dieter David Scholz · 20.01.2015
Als fulminanter Wachtraum in einer Kunstgalerie wird Rossinis Oper "Il Viaggio a Reims" in Amsterdam gezeigt. Dieses "Stück aus dem Tollhaus" ist eine Sternstunde und ein vielversprechender Auftakt der neuen Führungsriege an der Niederländischen Nationaloper.
Rossinis Oper "Il Viaggio a Reims" wurde 1825 für die Krönung König Karls X. von Frankreich geschrieben. Die Handlung spielt denn auch auf der Reise zur Königskrönung in Reims. Eine illustre Gesellschaft von Bonvivants findet sich im Luxushotel zur "Goldenen Lilie" des lothringischen Badeortes Plombières ein. Sie will am nächsten Tag zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Reims weiterfahren. Doch da keine Pferde aufzutreiben sind, wird daraus nichts und man beschließt kurzerhand, auf seine Weise in der "Goldenen Lilie" zu Ehren des Königs zu feiern, mit Festbankett und Gesang.
Mit der Neuproduktion dieser erst seit den 80er-Jahren wiederentdeckten und -aufgeführten Oper, stellt die Niederländische Nationaloper Amsterdam ihr neues Leitungsteam vor: den Dirigenten Stefano Montanari und den Regisseur Damiano Michieletto, der sich in Italien bereits einen Namen gemacht hat. Michieletto hat dieses "Stück aus dem Tollhaus", wie es einmal genannt wurde, vom Hotel in die gleichnamige Kunstgalerie "Zur goldenen Lilie" verlegt. Man sieht neben Plastiken und Kleinkunst allerhand berühmte Gemälde von Velázquez bis Magritte. Plötzlich treten die Abgebildeten in Natura auf, kunsthistorisch präzise kostümiert von Carla Teti. Immer mehr Kunstfiguren werden zu realen Menschen, die sich auf unterschiedlichste Weise der Besucher der Galerie bemächtigen.
Die Künstlichkeit von Kunst
Statt Oper sieht man eine dreistündige Kunst-Performance. Sie wird zum Wachtraum, in dem die Grenzen zwischen Artifiziellem und Realem verschwimmen. Bilder und Bildfiguren werden lebendig. Lebende Menschen werden künstlich. Die Inszenierung ist eine Metapher der Künstlichkeit von Kunst, wenn man so will, im übertragenen Sinne aber auch Oper. In dieser Parabel wird der Zusammenhang zwischen Bildender Kunst wie Oper (deren Bewegungsrepertoire und deren Kostümfundus verschwenderisch prachtvoll wie ironisch vorgeführt wird) und Leben. Das Eine inspiriert das Andere.
Doch die mitreißende Inszenierung ist auch eine Hommage an die vielfältige europäische Kultur, der Rossini in dieser Oper das Wort redet, indem er nicht zuletzt auf den Einfall kam, am Ende alle Gäste im Stile ihrer Heimat (inklusive zitierter Nationalhymnen) einen Toast auf den König ausbringen zu lassen. Was das Inszenierungsteam zu dem finalen Einfall führte, hinter einer weißen Leinwand eines gigantischen Rahmens, die im "Gran Pezzo Concertato" von 14 Sängern aufgebrochen wird, das berühmte Gemälde der Krönung Karls X. von François Gérard als lebendes Bild nachzustellen. Mit Witz, Ironie und tieferer Bedeutung.
Europäische Delegation des Belcanto
Bewundernswert, was Damiano Michieletto und seinem Ausstatter Paolo Fantin an Bild- und Inszenierungsideen, an technische Wundern und theatralischen Zaubereien gelungen ist. Aber damit nicht genug. Auch mit der Sängerbesetzung konnte man trumpfen in Amsterdam. Es sind ja nicht weniger als 18 Partien, davon 10 Hauptpartien in diesem Dramma giocoso zu besetzen. In Amsterdam ist das Kunststück gelungen, eine in jeder Partie überzeugende, sozusagen europäische Delegation des Belcanto zu präsentieren, wie man sie beim Rossini-Festival in Pesaro auch nicht hätte besser hören könnte. Herausragend waren Eleonora Buratto als Corinna, Anna Goryachova als Marchesa Melibea, Carmen Giannattasio als Madama Cortese, Michael Spyres als Conte di Libenskopf, Juan Francisco Gatelli als Cavaliere Belfiore und Nicola Ulivieri als Don Profondo, der in seiner großen, unwiderstehlichen Arie als Auktionator auftritt, der Mueales unter den Hammer bringt. Sogar der Dirigent ersteigert eine Pickelhaube.
Es darf gelacht werden und gestaunt. Denn die Aufführung darf nicht nur als Sängerfest bezeichnet werden. Auch das, was das niederländische Philharmonische Orchester und die niederländische Kammerphilharmonie zu Gehör brachten, war fulminant. Der neue Musikchef des Hauses, Stefano Montanari , der vom Hammerklavier aus dirigiert, er kommt ja aus der Alten Musik, hat mit unglaublicher Verve, mit großer Sensibilität für instrumentale Details, mit gestalterischer Intelligenz, mit handwerklicher Souveränität und historisch informierter Herangehensweise beglaubigt, dass Rossini in dieser seiner letzten italienischen Oper (einer Oper über die Oper mit viel ironischer Musik über Musik), die zum Startschuss seiner Pariser Karriere wurde, noch einmal alle Register seines kompositorischen Könnens zog.
Das Orchester der nun wirklich nicht eben auf Belcanto-Oper spezialisierten Amsterdamer Oper spielt brillant. Montanari lässt einen Champagnerkorken nach dem anderen knallen, schießt eine Leuchtrakete nach der anderen in den großen Opernhimmel der Niederländischen Nationaloper. Er brennt ein Rossini-Feuerwerk der Extraklasse ab. Eine Sternstunde, diese Produktion, musikalisch, sängerisch und inszenatorisch. Ein vielversprechender Auftakt der neuen Führungsriege an der Amsterdamer Oper.