"Rosa Revolution"

Indien verspeist seine Heiligen Kühe

Eine Piste in Piste in Kgautswane auf der Kühe stehen.
Heilig oder doch eher lecker? Eigentlich verbietet es die Religion in Indien, Kühe zu schlachten. © Deutschlandradio / Wassily Nemitz
Von Udo Pollmer · 26.09.2014
Von wegen Vegetarier! Der Rindfleisch-Export aus Indien ist rasant gestiegen, die Inder haben sogar den bisherigen Spitzenreiter Brasilien überholt. Im Land selbst wird auch zunehmend Fleisch konsumiert - und die Heiligen Kühe mit allerlei Tricks doch zur Schlachtbank geführt.
Endlich gibt es wieder eine erfreuliche Nachricht in Sachen Ernährung: Indien ist Export-Weltmeister - beim Rindfleisch. Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Subkontinent ein Symbol für den "Welthunger". Damals empfahlen deutsche Stammtische den Indern, ihre Heiligen Kühe zu schlachten, um satt zu werden. Die Ironie der Geschichte will es, dass heute genau diese Situation eingetreten ist: Indien hat den bisherigen Rindfleisch-Export-Weltmeister Brasilien überholt.
Noch glauben Viele, in Indien dürften keine Rinder geschlachtet oder gegessen werden. Das ist natürlich Unsinn, denn dort leben nicht nur Hindus, sondern auch viele Moslems. Letztere dürfen Rinder schlachten und Steaks essen, bei ihnen sind dafür Schweinswürstel tabu. Da die muslimischen Metzger halal schlachten, also entsprechend ihren religiösen Vorschriften, sind die arabischen Staaten ein wichtiger Exportmarkt für Indien. Dazu kommt, dass in Indien die Vorstellungen, was eine Heilige Kuh ist, sich von Region zu Region unterscheiden. So gelten Wasserbüffel seltsamerweise nicht als Rinder und selbst bei den Heiligen Kühen gibt es Unterschiede in der Heiligkeit. Die Tiere werden einfach in jene Bundesstaaten gefahren, in denen eine Schlachtung erlaubt ist oder geduldet wird.
Wo bleiben die sprichwörtlichen indischen Vegetarier?
Die Produktion liegt derzeit offiziell bei 3,5 Millionen Tonnen Rindfleisch, davon werden etwa 1,5 Millionen Tonnen im eigenen Land verzehrt. Zählt man die umfänglichen Schwarzschlachtungen dazu, dann sind Produktion und Konsum im eigenen Land viel höher als die amtlichen Statistiken erahnen lassen. Zum Rinderbraten kommen natürlich noch reichlich Hühner-, Ziegen- und Schweinefleisch. Doch! Wo bleiben die sprichwörtlichen indischen Vegetarier? Das wollte auch die Tageszeitung The Hindu wissen und startete eine Umfrage. Ergebnis: 60 Prozent aßen nach eigenen Angaben Fleisch. Das kommt ziemlich überraschend, da die Befragten damit ein gesellschaftliches Tabu verletzt haben: Man darf Fleisch essen, aber niemals darüber reden. Die reale Zahl der Fleischesser dürfte in Indien also weit über den genannten 60 Prozent liegen.
Was würde dazu wohl Mahatma Gandhi sagen, der große alte Mann der vegetarischen Bewegung und bis heute ein Vorbild von großer moralischer Ausstrahlung? Gandhi trug wesentlich zum Ansehen des Vegetarismus im Westen bei. Doch die meisten haben Gandhi wohl missverstanden. Er war ja kein armer vegetarischer Hindu, sondern stammte aus der reichen Oberschicht. Gandhi wurde erst bei einem Besuch in Europa zum Vegetarier. Zurück in Indien wollte er durch vegetarische Kost die Bevölkerungsexplosion bremsen. Andere Methoden zur Empfängnisverhütung lehnte er – so wie bei uns die Päpste - kategorisch ab.
Gandhi hatte eine Höllenangst, der Sinnlichkeit zu verfallen
Gandhi forderte deshalb von seinen Anhängern ein Gelübde der Enthaltsamkeit, selbst das Eheleben sei "von allem sinnlichen Begehren frei zu halten." Er war überzeugt, Fleisch würde nur das fleischliche Verlangen in der Bevölkerung schüren. "Die Kontrolle des Gaumens ist das erste, was bei der Wahrung des Gelübdes wesentlich ist." Eine mäßige, einfache, gewürzlose, ungekochte und selbstverständlich fleischlose Kost sei am besten geeignet, die Sinne zu dämpfen. Gandhi hatte im wörtlichen Sinne eine Höllenangst, der Sinnlichkeit zu verfallen. Sobald jemand beim Essen Genuss empfinde, würde der Körper "zur Brutstätte des Lasters".
Vielen jungen Indern ist das heuchlerische religiöse Geschwätz der Alten zuwider. In den Metropolen bieten die Restaurants Hamburger oder Rindsfilets so selbstverständlich an wie bei uns Reisgerichte. Indien ist eine aufstrebende Nation. Sie befreit sich von überholten religiösen Tabus und genießt es, nicht nur satt zu werden, sondern sich auch nahrhafte Kost leisten zu können. Heute spricht Indien nicht mehr von der "Grünen Revolution", die den Hunger stillte, jetzt macht das Schlagwort von der "Rosa Revolution" die Runde. Diese vom Volk freudig begrüßte kulinarische "Befreiungsbewegung" verspricht preiswertes Fleisch für jedermann. Mahlzeit!
Quellen
Anon: Beef exporter confidence returns in India. The Times of India vom 30. July 2014
Anon: India beef export growing. Stock Journal vom 23. June 2014
Yadav Y, Kumar S: The Food habits of a nation. The Hindu vom 14.8.2006
Gandhi MK: Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit (1929), Hinder & Deelmann, Gladenbach 1995
Franz A: Der eitle Asket. Die Zeit Nr. 9 vom 24. Februar 2005
Koestler A: Mahatma Gandhi – der Yogi und der Kommissar. Eine Neubewertung (1969). In: Koestler A: Die Armut der Psychologie. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1989
Gandhi MK: Wege und Mittel (1909). Elster, Zürich 1999
Gandhi MK: Wegweiser zur Gesundheit (1925). Diederichs, München 1992
Paul C: UPA's pink revolution makes India world's biggest beef exporter. The Indian New Express vom 9.2.2014
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