Romeo und Julia in der DDR

Von Vanja Budde · 13.09.2010
Ost-Berlin, 1980: Ein Volkspolizist und eine Dissidententochter lieben sich. Die Familien und Vater Staat versuchen, die Verbindung nach allen Regeln der Kunst zu boykottieren. "Weissensee" heißt die neue sechsteilige ARD-Serie über den Osten, die von "Wessis" geschrieben und produziert wurde.
Katrin Saß als Sängerin Dunja Hausmann beim Konzert, im Publikum hockt die Stasi, die Hausmann kündigt den nächsten Titel an:

"Ansprache an die Funktionäre! Ob es ihnen allerdings gefällt, das kann man natürlich mit Sicherheit nie genau sagen…"

Nein, das Lied gefällt den mitschreibenden Spitzeln nicht. Würde Hans Kupfer, Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit, nicht seit Jahren eine schützende Hand über seine große Jugendliebe halten, wäre die streitbare Dunja Hausmann längst kalt gestellt. Zumal ihre Tochter Julia ihrem West-Freund nach "Drüben" folgen will. Dunja Hausmann sagt zu ihrer Tochter:

"Julchen! Das hier ist doch deine Heimat, dein Leben! Wenn dir irgendetwas nicht passt, dann mach doch den Mund auf! Tu was! Du kannst doch nicht abhauen."

Kurz vor der geplanten Republikflucht lernt die sprunghafte Julia aber Martin Kupfer kennen, einfacher Volkspolizist, weil er nicht in die Partei eintreten mag. Sein älterer Bruder Falk, ein eisiger Stasi-Apparatschick, ehrgeizig und skrupellos, ist wild entschlossen, die Romanze seines Bruders zu beenden.

Falk: "Ne Dissidententochter in der Familie: Da können wir doch einpacken, können wir da! Wir wären raus aus dem MFS, wir wären raus aus der Partei, raus aus diesem Haus. Wir werden geächtet! Martin, diese Frau, diese Frau ist unser Feind!"

Martin: "Julia unser Feind – das ist wirklich…"

Hans Kupfer: "Was hast du denn erwartet?"

Martin: ""Verständnis."

Die Liebesgeschichte als Vehikel funktioniert: Die packend inszenierte Serie schlägt den Zuschauer in den Bann, auch Dank des intensiven Spiels der hochkarätigen Darsteller. Florian Lukas spielt Martin Kupfer, Hannah Herzsprung ist seine Julia. Und Katrin Saß spielt sich als Dunja Hausmann die Seele aus dem Leib. Sie kommentiert:

"Da konnte ich wirklich alles noch mal rein legen, weil genau dass war es, was ich damals gern gemacht hätte. Heute würde ich es wahrscheinlich machen. Aber Gott sei Dank haben wir es heute nicht mehr nötig."

Eine "griechische Tragödie in der DDR", wollte Drehbuchautorin Annette Hess schreiben, "Dallas im Osten" mit Cliffhanger und Tempo, aber gedreht an Originalschauplätzen wie dem ehemaligen Gefängnis Hohenschönhausen und der einstigen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, heute Gedenkstätten. Ein Wagnis für sie als Wessi? Die Autorin sieht es so:

"Meine Antwort auf diese Frage, ist, warum bitte schön machen's denn dann nicht die Ossis? Die haben ja die Möglichkeit zu erzählen aus ihrem Alltag. warum macht das keiner? Als ob die Ostautoren keine Lust haben, sich wieder da rein zu begeben oder es ihnen zu banal vorkommt. Ich weiß nicht, was das für Gründe hat, aber sie machen's eben nicht. Und dann hab's ich jetzt halt gemacht."

Wie schon für ihr quotenstarkes Erfolgsprojekt "Die Frau vom Checkpoint Charlie" hat Hess intensiv recherchiert, jahrelang alles Erreichbare gelesen, alte Defa-Filme und Serien geguckt noch und noch. Mit Erfolg, sagt Katrin Saß:

"Was die da geschrieben hat! Also – das hat mich echt umgehauen. Weil ich stand wirklich da und dachte, ich bin in der Zone, ich bin wieder angekommen. War auch tatsächlich so das Gefühl."

Die Frage, ob man den Opfern der Stasi zu nahe tritt, weil man Hans und Falk Kupfer zu menschlich darstellt, wurde im Team viel diskutiert. Autorin Hess teilt diese Sorge nicht:

"Also ich finde sogar, dass die Brutalität stärker wirkt, wenn man sieht, dass ein Falk nach Hause geht und seinen Sohn küsst. Dann finde ich ihn noch grausamer, noch unfassbarer, wie er mit den Festgenommenen im Verhör umgeht. Und auch ganz brutale Foltermethoden anwendet. Und dann bringt er ein nettes Erdbeereis mit. Das finde ich beklemmender, unheimlicher und eindringlicher, als ihn nicht als Menschen zu schildern, der verschiedene Seiten hat."

Alle ihre Figuren sind reich an Facetten: Julia wandelt sich zur politisch Denkenden und Martin, gespielt von Florian Lukas, muss sich von seiner Stasi-Familie abnabeln. Lukas zu seiner Rolle:

"Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich so extrem gegen alles zu stellen. Also den Mut zu haben, sich so offen gegen den Staat zu stellen, mit all seinen Konsequenzen, die es für das Privatleben dann hatte, eventuell auch für die Familie, das ist schwer vorstellbar."

1973 in Ost-Berlin geboren fühlte Lukas sich Dank authentischer Requisiten beim Dreh in seine Kindheit zurück versetzt. Erwartet er, dass "Weissensee" eine Debatte anstößt?

"Ich hoffe nicht, dass Sie die Serie als die wahre Serie über die DDR wahrnehmen, sondern als Denkanstoß oder vielleicht mit Leuten über die Zeit zu reden, die aus der DDR kommen. Erinnerungen auszutauschen, oder einfach auch zu erkennen oder nachzuvollziehen, wie schwierig es war, aufrecht zu bleiben in solchen Verhältnissen und wie stark die politische Einflussnahme auch auf das Privatleben sein konnte."
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