Romantik mit ernstem Hintergrund

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 10.01.2011
Fred und Anita sind seit Jahrzehnten glücklich verheiratet, haben erwachsene Kinder, das Abitur der Enkelin steht kurz bevor. Ihr Haus wirkt wie eine Bollwerk großbürgerlich kultivierter Behaglichkeit und ihrem Leben scheint es an nichts zu fehlen. Aber Fred ist in den Ruhestand getreten und findet außerhalb des gewohnten Arbeitsrhythmus keine Selbstbestätigung mehr. Und er ist krank, seine Frau weiß es, die Kinder noch nicht:
Filmszene:
"Was ist los mit Euch?"
"Ach, wir hatte heute keinen guten Tag miteinander"
"Dein Vater will sich von mir trennen, er kann zu Hause nicht mehr nachdenken."
"Jetzt reicht's! Was erwartest du von einem alten kranken Mann?"
"Ach was! Du hast Prostatakrebs, davon stirbt man nicht gleich!"
"Seit wann wisst ihr das?"

Sie hatten sich geschworen, sich nie zu trennen. Aber jetzt will Fred offensichtlich den Weg in den Tod alleine gehen.

Filmszene:
"Hast du dir vorgestellt, das wir eines schönen Nachmittags zusammen in unserem Garten sitzen und dann einer zum anderen sagt: Jetzt ist der Moment gekommen, um zu gehen?"
"Ja!"
"Nein, ich nicht!"

Fast scheint es, als würde die Ehe an den Spannungen zerbrechen, aber Fred und Anita können sich nicht trennen:

Sophie Heldman: "Man könnte eigentlich sagen, in gewisser Weise sind sie ein idealisiertes Paar von einer romantischen Vorstellung, die aber eine Vorstellung ist, soziologisch gesprochen, die ja angestrebt wurde und jetzt im Zuge von Krise vermehrt wieder angestrebt wird und ich finde darüber kann man sich durchaus Gedanken machen und auch streiten."

Die 37-jährige Regisseurin Sophie Heldman wurde zu ihrem Kinodebüt durch einen Doppelselbstmord in der Nachbarschaft ihrer Familie angeregt. Für sie ist ihr Film auch ein Porträt der Generation ihrer Eltern, der Generation des Wirtschaftswunders und besonders wichtig sind ihr kleinen Gesten und Verhaltensweisen, die immer wieder überraschen und Stereotypen überwinden:

Sophie Heldman: "Ich wollte eigentlich ganz nah an etwas ran und das mit einem soziologischen Blick erzählen, deshalb kommt ja die Lakonie und die Art zu sprechen, das hat natürlich alles etwas damit zu tun, was ich beobachtet habe, in meinem direkten Umfeld."

Der Film lebt besonders von dem brillanten Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller Senta Berger und Bruno Ganz und ihrer Fähigkeit, über ganz kleine Gesten und Bewegungen die Protagonisten genau zu definieren: Anitas verzweifelte Ordnungswut, wenn sie die Scherben der vom Gewitter zerschmetterte Blumentöpfe zusammenklauben will, ihre dezente, aber sehr energische Eigenwilligkeit oder Freds Weigerung, über seine Krankheit zu reden, sein verlorener Blick am Abend, wenn er sich als erster von der Familie zurückzieht um dann später wieder aufzutauchen, mal charmant, mal traurig.

Dabei sind die satten Farben niemals extrem, die Gespräche in der Familie, die Annäherungen und Entfremdungen bleiben in einem zivilisierten Rahmen, in dem auch die Leidenschaften fast subtil wirken, und Wut und Verzweiflung sich der guten Erziehung unterordnen:

Sophie Heldman: "Man kann das auch anschauen und von einer ganz anderen Ecke kommen und sagen, es ist die Geschichte einer verpassten Emanzipation von einer Frau, es ist die Geschichte von extremen Hedonisten. Man kann das alles sagen und ich würde da das immer verstehen als Diskussionsbeitrag, um für sich eine Position zu finden, mit einer existierenden gesellschaftlichen Frage umzugehen."

Hauptdarstellerin Senta Berger faszinierte besonders die subtile und auch ambivalente Grundstruktur des Drehbuchs:

"Es war eigentlich so wie ein Musikstück, das man spielen konnte, das hat mich sehr überzeugt. Und ich fand diese sehr zurückhaltende Art, das ist ein sehr feiner Film, ein sehr zarter Film, der Bedienungen jeder Art, Anbiederungen jeder Art vermeidet, dass das das einzige Mittel überhaupt ist, um erwachsen über so ein Thema diskutieren zu können, und darum habe ich den Film sehr gerne akzeptiert."

Dabei wirft der Film über eine fast romantische Liebesgeschichte grundsätzliche ethische Fragen auf: nach dem Recht auf einen würdigen Tod, nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Altern und Sterben. Hauptdarsteller Bruno Ganz:

"Die Frau hat ein Bündnis gemacht mit diesem Mann, dass sie mit ihm zusammen sterben will, der Mann muss sowieso sterben, weil er sterbenskrank ist, für die Frau ist das eine etwas andere Situation. Und die Fragen, die sie sich sozusagen erhoffen in diesem Umkreis, das entspringt eigentlich erst dem Ende, wenn es darum geht 'Was ist mit Sterbehilfe?' "

"Satte Farben vor Schwarz" ist aber kein Thesenfilm, kein Film über Sterbehilfe. Selbst vor dem drohenden Hintergrund überwiegt die Lebenslust: wenn Anita und Fred sich wieder versöhnen, auf der Abitursfeier der Enkelin tanzen und dann wie zwei frisch Verliebte im Hotel absteigen. Die Verzweiflung, die Angst vor dem Tod, die dunklen Seiten des Films bleiben im Hintergrund, und deswegen wirkt das eigentliche Ende des Films fast wie aus dem Kontext gerissen. Der selbstbestimmte Tod verstört und ist nicht mehr nachvollziehbar, hinterlässt eine seltsame Leere.

Deutschland / Schweiz 2009. Regie: Sophie Heldman. Darsteller: Bruno Ganz, Senta Berger, Barnaby Metschurat, Carina Wiese, Leonie Benesch u.a. Länge: 85 Minuten

Filmhomepage "Satte Farben vor Schwarz"