Ernest van der Kwast

Die Liebe ihres Lebens

Ein Herz im Himmel
"Eine Liebe, die kurz vor Toresschluss sich noch erfüllt." © imago/Xinhua
Von Manuela Reichart  · 30.03.2015
Lieber spät als nie denkt sich Giovanna. Als junges Ding schlug sie zwei Heiratsanträge von Ezio aus und ging lieber im Mittelmeer schwimmen. Nun, älter und reifer geworden, schreibt sie ihm endlich einen Brief. "Fünf Viertelstunden bis zum Meer" ist ein Buch zum Träumen.
Die Geschichte beginnt heiter: Mit der sich ankündigenden Geburt von Zwillingen. Die Frau des Postboten ruft an, er wirft die Posttasche über eine Gartenmauer, springt in sein Auto und schafft es rechtzeitig ins Krankenhaus. "Aber das ist eine andere Geschichte." Zum Glück hatte er nämlich kurz vor dem Telefonat noch den einen wichtigen Brief durch den Schlitz gesteckt und damit all das in Bewegung gesetzt, von dem dieses heiter-melancholische Buch des jungen niederländischen Autors erzählt, der in Südtirol lebt.
In Südtirol wohnt auch der betagte Empfänger des lebensverändernden Briefs. Nach Jahrzehnten, nach dem Verlust von männlicher Kraft, lange nach dem Rentenbeginn schreibt ihm die wichtigste, seine erste Geliebte, er möge rasch zurück in seine Heimat nach Süditalien, zu ihr kommen, denn er sei die Liebe ihres Lebens. Es bleibe ihnen nicht mehr viel Zeit, "dieser Brief hat ein Frauenleben gebraucht, um Dich zu erreichen".
Dramaturgisch geschickt
Ernest van der Kwast erzählt berührend von einer Liebe, die kurz vor Toresschluss sich noch erfüllt. Er springt dramaturgisch geschickt zwischen den Zeitebenen und Handlungsorten. Ein ganzes Leben beruht auf einem Missverständnis, auf mangelndem Mut. Wäre er damals nicht in den Zug gestiegen, wäre alles anders gekommen. Erste Liebe, erste erotische Erfüllung, erste Enttäuschungen: Ein junger Mann und ein junges Mädchen begegnen sich in Süditalien am Meer. Er will sie heiraten, sie will ihre Freiheit behalten, sich nicht binden.
Sinnlich und empfindsam, sich seiner sprachlichen Mittel in jeder Zeile bewusst, beschreibt der Autor körperliche Annäherung und Erregung. Er umspannt auf wenigen Seiten zwei Existenzen, streift unwichtige Beziehungen und lebensverändernde Begegnungen, Familiendramen und Familienkontinuitäten. Er erzählt leichthändig von den Kämpfen in und um Südtirol – und nicht zuletzt von der Erfindung des Bikinis, der mit der Liebe der beiden Protagonisten – jedenfalls aus der Sicht der Nachgeborenen – durchaus zu tun hat.
Eine schöne kleine Geschichte ist das, die in heiterer Melancholie mahnt, die wichtigen Liebes-Gelegenheiten nicht zu verpassen.
Ernest van der Kwast: "Fünf Viertelstunden bis zum Meer"
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Mare Verlag, Hamburg
2015, 96 Seite, 18,00 Euro