Roman über Werner Heisenberg

Die Poesie der Unschärfe

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Werner Heisenberg - er entwickelte die Heisenbergsche Unschärferelation und erhielt 1932 den Nobelpreis für Physik. © picture alliance / Georg Goebel
Von Ruthard Stäblein · 16.03.2015
Der Autor Jérôme Ferrari erhielt 2012 den Prix Goncourt für "Predigt auf den Untergang Roms". In seinem neuen Buch "Das Prinzip" geht es um den Physiker Werner Heisenberg, ein philosophischer Roman über die extreme Beschleunigung der Welt.
Im Prinzip spinnt Jérôme Ferrari das Motiv der Dekadenz weiter. Aber er ortet den Zerfall nicht mehr in Frankreich, sondern in der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Als Philosophielehrer muss sich Ferrari ständig mit der deutschen Ideengeschichte herumschlagen. Darum wohl wählt er die Biografie des Physikers und Philosophen Werner Heisenberg aus.
Für Werner Heisenberg musste erst das traditionelle Weltbild der Physik zusammen fallen, bevor er seine eigene Theorie bilden konnte. Die Gesetze der Mechanik, die Newton aufgestellt hat, gelten nicht mehr für den Bereich der Elementarteilchen, die Heisenberg untersucht. Heisenberg kommt auf die Idee, dass die Mess- Apparate die Ergebnisse beeinflussen. Er nennt es das Prinzip der "Unschärferelation". Philosophisch gedacht heißt das: Es gibt nicht mehr das Ding an sich, sondern nur die Beziehung, die Relation zwischen dem Apparat und dem Ding. Die Dinge besitzen keinen Grund mehr. Alles zerfällt und zerbröselt. Ferrari leitet daraus sein Erzählprinzip ab. Es gibt nur noch Subjektivität. In die Erkenntnislücke tritt der Dichter mit seiner Phantasie und seinen Metaphern.
Erkenntnisgewinn aber auch Verunsicherung
Zunächst schafft er das durch die Erzählhaltung. Sein Ich-Erzähler braucht Abstand. Wegen Heisenberg ist er in einer Prüfung durchgefallen. Er lässt ihn nicht in Ruhe, als er eine Krise auf Korsika durchlebt. Soll er ihn als großen Wissenschaftler bewundern, oder soll er ihn verurteilen, weil er am Atomprogramm von Hitler mitgewirkt hat. Der Erzähler bleibt da unscharf, hält sein Objekt durch die Anrede mit Sie auf Distanz. Dann bezaubert Ferrari durch seine bildhafte Sprache. Vor allem zeigt er sich als ein Meister der Verdichtung. Auf knappen 130 Seiten erzählt er das wechselreiche Leben von Heisenberg, die frühe Entdeckung, die Zwänge unter Hitler, die späten Zweifel.
Der französische Schriftsteller Jérôme Ferrari zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Der französische Schriftsteller Jérôme Ferrari zu Gast bei Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Margarete Hucht
Dafür baut Ferrari komplexe Sätze. Sie entsprechen der Unmöglichkeit, die Wahrheit objektiv zu erfassen, Heisenberg zu verurteilen oder zu retten. Sie bilden die Unschärferelation ab, wie Ferrari sie auffasst. Die Sätze sind das Geheimnis von Ferrari. Er beschleunigt und verlangsamt den Rhythmus; bringt im selben Satz Beobachtung und Reflexion unter, baut so Spannungsbögen auf, die den Leser in Atem halten, aber auch Konzentration erfordern. Bestimmte Sätze sind so schön, dass man sie mit Genuss mehrmals liest. Das ist auch den deutschen Übersetzern zu verdanken.
"Das Prinzip" ist wieder ein philosophischer Roman. Er verschafft Erkenntnisgewinn aber auch Verunsicherung. Ob die Fortschritte der Technik wirklich auch Fortschritte für die Menschheit sind, ist mehr als ungewiss. Ferrari beschreibt aus eigener Anschauung das erschreckende Beispiel von Abu Dhabi, wo er als Philosophielehrer tätig war. In 40 Jahren entstanden rein aus dem Nichts, im Wüstensand, die höchsten Häuser der Welt. Eine extreme Beschleunigung der Welt, eine Folge der Atomphysik. Aber ihr Einsturz ist gewiss, glaubt Ferrari. Alles ist unsicher, wenigstens der Untergang ist absehbar.

Jérôme Ferrari: "Das Prinzip"
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Paul Sourzac
Verlag Secession, Zürich 2015
133 Seiten, 19,95 Euro

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