Roman

Starke Herzen, verletzte Seelen

Von Carsten Hueck · 24.02.2014
Der Roman "Iman" handelt vom Leben voller Entbehrung und Erniedrigung in einem afrikanischen Land ohne Namen. Schonungslos erzählt Ryad Assani-Razaki, wie seine fünf Helden versuchen, ihre Würde zu behaupten.
Eine ehemalige französische Kolonie in Westafrika, eingezwängt zwischen Togo und Nigeria: Das ist Benin. Es gibt dort viel Savanne und Wälder, landwirtschaftlich genutzt werden 15 Prozent des Landes - und davon müssen 90 Prozent seiner Einwohner leben. Mehr als die Hälfte von ihnen kann nicht lesen und schreiben, im ganzen Land gibt es eine einzige Universität.
Ryad Assani-Razaki, 1981 geboren, wanderte mit Anfang 20 von Benin nach Kanada aus. Er studierte Informatik und veröffentlichte einen Band mit Kurzgeschichten. Sein erster Roman, 2011 in Montreal erschienen, liegt nun in deutscher Übersetzung vor.
Fünf Perspektiven, eine Stimme
Schauplatz der Handlung ist ein armes afrikanisches Land ohne Namen. Es könnte Benin heißen. Fünf Hauptfiguren schildern in elf Kapiteln alternierend Kindheit und Jugend in diesem Land – fünf Perspektiven, eine Stimme. Sie schwillt an zu einem Aufschrei, der wohlstandsverwöhnte Europäer zu erschüttern vermag. Schonungslos wird eine Geschichte von Armut und Überlebenswillen, postkolonialer Hoffnungslosigkeit, Verhängnis und alltäglicher Gewalt erzählt.
Toumani heißt der erste Protagonist. Im Alter von sechs Jahren wird er für 23 Euro von seinem Vater, einem Landarbeiter, verkauft. In der Stadt vermittelt eine Menschenhändlerin ihn weiter an einen gewalttätigen Alkoholiker. Als dieser eines Tages mutmaßt, dass Toumani Kontakt zu Mitarbeitern von Terre des hommes sucht, schlägt er ihn bewusstlos und entsorgt ihn in einem Kanalschacht. Dort wird er schwerverletzt von einer Kinderbande gefunden. Ihr Anführer ist Iman, die Titelfigur des Romans. Ein gutaussehender, kräftiger Junge mit heller Haut, der, von seiner Mutter verstoßen, bei der muslimischen Großmutter untergekommen ist.
Drei Generationen, ein Schicksal
Iman, seine Mutter Zainab und seine Großmutter Hadscha: Drei Generationen, ein Schicksal. Alle drei führen, jeder für sich, ein Leben geprägt von Entbehrung und Erniedrigung. Ihre Herzen sind stark, ihre Seelen aber tief verletzt. Sie versuchen zwischen Wut und Resignation ihre Würde zu behaupten.
"Meist ist das Schicksal bloß die Spitze eines Speers, den jemand mehrere Generationen zuvor abgeworfen hat", sagt Hadscha, Imans verwitwete Großmutter.
Ihre rebellische Tochter Zainab lässt sich mit 16 von einem weißen Ausländer schwängern. Als dieser nach Europa zurückkehrt, erzieht sie Iman erst allein, heiratet dann aber einen Armeeoffizier, wird zum zweiten Mal Mutter und wirft den erstgeborenen Sohn aus dem Haus, um ihre neue Sicherheit nicht zu gefährden.
Alle Geschehnisse des Romans sind geprägt vom verzweifelten Bemühen der Figuren, ihr Leben trotz aller Widrigkeiten zu meistern. Doch ebenso von der Unfähigkeit, mit seinem Erbe, der eigenen Schwäche und der der anderen umzugehen. Es gibt Momente, die Glück versprechen: die Freundschaft zwischen Iman, Toumani und dessen großer Liebe Alissa. Am Ende aber - trotz bester Absichten - steht wieder das Scheitern: Iman verlässt seine Heimat. Er will nach Europa. Und das ist das große Verdienst dieses Romans: Auf einmal erkennt der Leser in der Masse der Bootsflüchtlinge vor Lampedusa ein Gesicht und eine Biografie.

Ryad Assani-Razaki: "Iman"
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Wagenbach Verlag, Berlin 2014
315 Seiten, 22,90 Euro

Mehr zum Thema