Roman

Postapokalypse aus den USA

Eine US-Flagge an der Atlantikküste von Fernandina Beach (nahe Jacksonville), Nassau County, Florida
Eine US-Flagge am Strand © picture alliance / dpa / Foto: Soeren Stache
Von Marten Hahn · 06.11.2014
In "Die Verlassenen" verschwinden Millionen Menschen, ohne Ankündigung und Erklärung. Die Hinterbliebenen gehen zugrunde oder schließen sich Sekten an. Ein subtiles Porträt einer postapokalyptischen Gesellschaft des US-Autors Tom Perrotta.
Die Apokalypse kommt still und leise. Kein Knall, kein Feuer, keine Bombe, kein Virus – keine Erklärung. Millionen Menschen weltweit verschwinden einfach, von einer Sekunde auf die andere. Beim Autofahren, vor dem Fernseher, beim Sex. Ein Ereignis von gewaltloser Brutalität, das die Zurückgebliebenen "Plötzlicher Fortgang" nennen.
In seinem subtilen Endzeitroman "Die Verlassenen" erzählt Tom Perrotta nicht wirklich vom Ende der Welt, wie wir sie aus der Science-Fiction- und Fantasy-Literatur kennen. Perrottas Apokalypse hinterlässt keine zerstörten Städte, sondern psychische Ruinen: Er erzählt vom Scheitern aller Narrative, die Sinn stiften könnten, auch die Religion, die bisher zuverlässig Erklärungen für das Unerklärliche lieferte, versagt angesichts des "Plötzlichen Fortgangs". Die Auswahl der Verschwundenen scheint wahllos, scheint weder göttliche Belohnung noch Bestrafung zu sein.
Viele Varianten des Umgangs mit dem Trauma
Tom Perrotta, geboren 1961, wird von vielen als genauer Beobachter des US-amerikanischen Vorstadtlebens geschätzt. Und auch für das Untergangsszenario seines sechsten Romans wählte der Amerikaner ein suburbanes Setting. Aus der Perspektive verschiedener Bewohner des Vororts Mapleton porträtiert Perrotta eine traumatisierte Gesellschaft bei der Bewältigung ihres postapokalyptischen Alltags. Die einen gehen am Verlust des Partners oder ihrer Kinder zu Grunde. Die anderen versuchen, die Leerstellen in ihrem Leben zu füllen und beginnen halbherzige Romanzen.
Wieder andere schließen sich dem "Schuldigen Rest" an, einer Sekte, die an die Stelle der alten Kirchen getreten ist. Ihr Mitglieder, ganz in Weiß und immer mit einer Zigarette in der Hand, legen ein Schweigegelübde ab und terrorisieren die übrigen Bewohner Mapletons. Mit festem Glauben daran, dass das eigentliche Ende der Menschheit noch bevor steht, wollen die Fanatiker ihre Mitbürger davon abhalten, zum Alltag zurück zu kehren.
US-Fernsehsender macht den Stoff zur Serie
Neben Perrottas liebevoll gezeichneten Charakteren und unfehlbarem Stil, ist es sein Gespür für Nuancen der Dunkelheit und Bedrohung, das aus dem Buch mehr macht, als eine Geschichte über Liebe in Zeiten der Postapokalypse. So viel mehr, dass das Buch mittlerweile verfilmt wurde: Gemeinsam mit "Lost"-Produzent Damon Lindelof hat Perrota aus "The Leftovers" – so der Originaltitel – eine Serie für den US-TV-Sender HBO gemacht. Die Serie ist lose an das Buch angelehnt. Es wurden neue Charaktere hinzugefügt. Es gibt mehr Sex, mehr Gewalt, mehr von all dem, was US-TV-Serien derzeit so erfolgreich macht.
Die Serie, die seit Mitte 2014 auf HBO läuft, wird in Deutschland seit Oktober vom Pay-TV-Sender Sky Atlantic HD ausgestrahlt. "The Leftovers" wird damit den Radar der meisten deutschen Serien-Fans vermutlich unterfliegen. Doch Perrottas Serie wäre ja nicht die erste, die ihr begeistertes Publikum schlussendlich über illegale Downloads oder Streamingportale wie Netflix und Watchever erreicht. Oder – über den Umweg dieses Romans?

Tom Perrotta: Die Verlassenen
Aus dem Amerikanischen von Jan Schönherr
Heyne, München, 2014
448 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 14,99 Euro

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