Roman

Mehr Glück ist nicht

Der finnische Schriftsteller Frans Eemil Sillanpää liest im September 1958 in seinem Zuhause in Helsinki in einem seiner Bücher.
Der finnische Schriftsteller Frans Eemil Sillanpää liest im September 1958 in seinem Zuhause in Helsinki in einem seiner Bücher. © picture alliance / dpa / Lehtikuva Oy
Von Gabriele von Arnim · 16.08.2014
So filigran wie erbarmungslos realistisch porträtiert Frans Eemil Sillanpää - der einzige Literaturnobelpreisträger Finnlands - einen Kleinbauern im Finnland um 1900. Sillanpää, selber aus armen, bäuerlichen Verhältnissen stammend, zeigt sich hier als politischer und menschenkluger Erzähler.
Erst ein einziges Mal in seiner über hundertjährigen Geschichte ging der Nobelpreis für Literatur nach Finnland. 1939 wurde Frans Eemil Sillanpää für die geistige Tiefe und die Kunst ausgezeichnet, mit der er das Leben der finnischen Bauern dargestellt habe.
In dreißig Sprachen wurde Sillinpää damals übersetzt – und außerhalb Finnlands alsbald vergessen. Das könnte sich bei uns jetzt ändern.
Da Finnland in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse ist, hatte der kleine Guggolz Verlag die gute Idee, einen der wichtigsten Romane Sillinpääs auszugraben und neu übersetzen zu lassen.
Frommes Elend heißt er und ist ein so filigran wie erbarmungslos realistisch gezeichnetes Porträt eines Kleinbauern, der vor den finnischen Hungerjahren Mitte des 19. Jahrhunderts geboren und während des dreimonatigen Bürgerkriegs 1918 erschossen wird.
Ein wahrhaft elendes Leben. Gezeichnet von harter Arbeit und Armut, schamloser Ausbeutung durch Hof- und Waldbesitzer und manchmal auch vom Suff.
Die Eltern sterben früh
Jussi heißt unser knopfäugiger und krummbeiniger Held mit dem mageren Verstand, der von Geburt dem Stand der Hofbesitzer angehörte. Doch sein Vater vertrinkt alsbald Gut und Leben. Auch die Mutter stirbt früh und lässt Jussi bei reichen Verwandten zurück, wo er als ungeliebter Außenseiter und billiger Knecht aufwächst.
Er wird für Jahre ein holzfällender Wanderarbeiter, heißt mal Jussi mal anders, je nachdem, auf welchem Hof er sich später gerade als Knecht verdingt oder als Kleinpächter niedergelassen hat. Sein Name ist nicht wichtig. Sein Schicksal ist es, mit dem der Autor das Leben einer ganzen Klasse aufzeigt. Sillanpää stammte selber aus armen, bäuerlichen Verhältnissen und wusste, wie fast undenkbar es war, einer solchen Herkunft zu entrinnen.
Das System war festgefügt. Gottgewollt. Jedenfalls aus Sicht der Habenden. Und die Habenichtse hatten anderes zu tun, als über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten nachzudenken. Sie mussten ihre verfallenden Katen heizen, die Bälger ernähren, ins Bett fallen nach sechzehnstündigen Arbeitstagen.
Auslaugende Tage
Sillanpää beschreibt haarfein und sorgfältig genau diese auslaugenden Tage, aus denen schnell Jahre und Jahrzehnte werden. Unser Held verheiratet sich mit einer Magd und bekommt viele Kinder, von denen nur wenige überleben. Seine Frau ist faul -und doch wächst hier eine kleine Lebensfreude, wärmt ihn eine Vertrautheit, ein Geborgensein. Jussi, der jetzt gerade Janne heißt, merkt schnell, dass er nur noch zu Hause im Bett neben seiner Frau einschlafen kann -seine Hand an ihrem Hals oder ihr die Schulter tätschelnd.
Mehr Glück ist nicht.
Nur einmal noch, am Ende seines Lebens, fühlt sich Jussi wohl und freiwillig eingebunden. Als die Roten den Aufstand proben, und er hineingerät in ihre Truppe. Sie ihn wahrnehmen und ihm Aufträge erteilen. Da fühlt er sich sicher. Da sind immer Männer, Wärme, Essen und Kaffee.
Sillanpää ist ein politischer wie menschenkluger Erzähler. Der uns das zerrissene Land und die in ihrer Dürftigkeit so dramatische Figur des Jussi darin mit Bedacht und Wucht erzählt.
Frans Eemil Sillanpää: Frommes Elend
Aus dem Finnischen von Reetta Karjaleinen und Anu Katariina Lindemann
Guggolz Verlag, Berlin 2014
286 Seiten, 24,00 Euro