Roman

Lichte Momente in all der Düsternis

Sonnenstrahlen am Ende des Tages
Sonnenuntergang © picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr
Von Gerrit Bartels · 03.09.2015
Die Menschen im Grenzgebiet von Deutschland und Österreich sind tot, alles ist zerstört: In "Eigentlich müssten wir tanzen" von Heinz Helle gibt es für die fünf Männer nicht mehr viel zu tun, als sich an ihre Vergangenheit zu erinnern und festzustellen: Sie haben nur noch sich.
Es ist ein zunächst seltsamer Roman, den der 1978 in München geborene Heinz Helle mit "Eigentlich müssten wir tanzen" geschrieben hat. Seltsam düster, dann aber auch voller lichter Momente, seltsam reich und dicht, obwohl er keine 200 Seiten hat und mehr aus einer Aneinanderreihung von knapp 70 kurzen Szenen besteht als dass er eine stringente Geschichte erzählt.
Natürlich kann man dieses Buch ganz leicht dem Genre des postapokalyptischen, dystopischen Romans zurechnen: Fünf Männer, Drygalski, Golde, Gruber, Fürst und der namenlose Ich-Erzähler, laufen durch eine Gegend, in der alles zerstört ist und die Menschen tot sind, im Grenzgebiet von Deutschland und Österreich, zwischen Bayern und den Tiroler Bergen. Sie treffen auf Überlebende: eine Frau, die sie vergewaltigen, ein Kind, dessen Eltern nicht weit davon mit eingeschlagenem Schädel liegen, einen Mann in einer Hütte, dem sie, da sind sie nur noch zu zweit, selbst erschlagen.
Was passiert ist, erzählt Helle klugerweise nicht, das verstärkt die Beunruhigung, die von dem Ganzen ausgeht – so wie seinerzeit Thomas Glavinic in seinem postapokalyptischen Roman "Die Arbeit der Nacht", an den "Eigentlich müssten wir tanzen" zuweilen erinnert (nur dass Glavinic seinen Erzähler allein auf der Welt zurückließ). Aber auch die fünf Männer sind ganz auf sich selbst, auf ihr Überleben und auch auf ihre Erinnerungen zurückgeworfen.
Der Erzähler weiß noch, wie sie sich zu fünft in ein Auto geklemmt haben und über die Autobahn Richtung Süden gebraust sind, schon in dem Wissen, "so lustig wie früher würde es eh nicht mehr werden"; wie sie im Jugendzentrum den Feuerlöscher geklaut haben. Oder sie sich zu fünft in einer Berghütte eingemietet haben und es dabei auch um die "Möglichkeit von Nähe an einem sicheren Ort" ging. Und er stellt sich seine Freunde an ihren alten Arbeitsplätzen vor, der eine im Labor vor Versuchsreihen mit Mäusen, der andere, der Versicherungen verkauft, ein dritter, der in einem Lager dafür zuständig ist, riesige Mengen von in Kartons verpackten Männerunterhosen an ihre Bestimmungsorte kommen zu lassen.
Sie wollen leben
Alles vorbei. Nun durchstreifen sie die ihnen so wohlbekannte, aber verwüstete Gegend, fragen sich, was sie hier noch sollen, erinnern sich ihrer alter Leben, diskutieren über Glück und Unglück oder gesellschaftliche Fehlentwicklungen – und sind weiterhin froh um die Nähe, die sie zueinander verspüren, die ihnen einen Grund zum Weiterleben gibt. Denn sie wollen leben. Nach und nach jedoch verunglücken sie alle, bis auf den Erzähler. Helle gelingen in einer oft karg anmutenden Sprache immer wieder sehr eindringliche, auch rührende Szenen.
Seine Helden fertigen ein riesengroßes "Peace"-Zeichen auf einem Feld an, auf dass vielleicht doch irgendjemand eines Tages auf sie aufmerksam und sie retten wird – das dann aber wie ein Mercedes-Stern aussieht. Oder sie werden sich in der Berghütte von damals, die sie wieder aufsuchen, plötzlich der Schönheit der Landschaft bewusst; einer Landschaft, die da ewig sein wird, Apokalypse hin oder her, und bei deren Anblick sie eine "physische Angst vor dem Tod" verspüren: "Also tanzten wir. Fünf Männer tanzten. Wir tanzten im dunklen Speisesaal, wir sahen unsere Gesichter nicht, wir hörten uns staunend schnaufen, hecheln..."
Das kann man schon poetisch nennen, das sind die lichten Momente in all der Düsternis, auch der überall herrschenden Brutalität. Und bei aller klug-gezielten Seltsamkeit: Helle hat mit "Eigentlich müssten wir tanzten" auch einen Roman über Männerfreundschaft geschrieben, einen über das Vergehen der Zeit, einen andeutungsweise philosophischen Roman, der Natur und Zivilisation (und Zivilisationsmüdigkeit) gegenüberstellt. Und der zudem, eingebettet in sein postapokalyptisches Setting, viel über unsere Gegenwart erzählt.