Roman

Leben als Reise

Ein Mädchen tanzt in bauchfreien T-Shirts und kurzen Hosen
Leben bedeutet in Cornalia Schleimes Geschichten auch immer wieder das Abenteuer des eigenen Körpers. © picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Gabriele von Arnim · 29.08.2014
Die Malerin und Filmemacherin Cornelia Schleime hat einen ersten Erzählband veröffentlicht. Die zwölf bebilderten Geschichten sind berührend und unterhaltend. Und sie zeugen von einer unstillbaren Lust auf Leben.
Cornelia Schleime, 1953 in Ostberlin geboren, preisgekrönte Vertreterin der zeitgenössischen figurativen Kunst, lässt sich nicht einsperren in normierte Schubladen. Sie malt, fotografiert, filmt, baut Objekte – und sie schreibt.
Darunter einst einen Roman über den Verrat ihres ehemaligen Freundes Sascha Anderson, der als IM für die Stasi enttarnt wurde. Dann Gedichte, Notate, Beobachtungen. "In der Liebe und in der Kunst weiß ich genau, was ich nicht will" heißt ein sehr persönliches Buch mit zahlreichen Abbildungen ihrer Werke und eigenen Texten.
Und nun hat sie Storys geschrieben. Und natürlich auch bebildert. Geschichten über Erlebnisgier, Fernweh und erotisches Begehren, über die Einsamkeit und den Tod. Leben ist Reise, heißt es an einer Stelle, und wir reisen mit Schleimes Figuren mal in fremde Länder, mal ins Sterben, in den Sex oder in Seelentiefen.
Erzählt, ohne zu bewerten
Leben ist auch Abenteuer. Immer wieder das Abenteuer des eigenen Körpers, den eine der Protagonistinnen einmal wöchentlich dem Mann vom Bau- und Planungswesen gewährt, um die Laube, in der das Kind so glücklich ist, einen Sommer länger bewohnen zu können; während eine Reisende sich für ein paar gute Mahlzeiten an zwei Einheimische verkauft oder verschenkt. Sie hat kein Geld mehr und ist hungrig.
Auch Sünden haben ihre Würde, heißt es in einer anderen Geschichte, auch sie seien Kinder der Welt. Würde ist ein gutes Stichwort für das Schreiben von Cornelia Schleime. Sie erzählt, ohne zu bewerten, mit Sympathie und Mitgefühl für boshafte Mütter und verzweifelte Töchter oder für Ausgemusterte einer reichen und schrecklich schnellen Gesellschaft.
Anrührend die Geschichte über den Mann, der Mühe hat nach seinen täglichen U-Bahn Fahrten durch die Stadt – er kennt alle Strecken und Endbahnhöfe – sein Haus und seine Wohnung darin wiederzufinden. Als ihm das immer seltener gelingt, sitzt er eines Tages traurig auf den Gleisen und fasst einen tröstlich-tödlichen Entschluss.
Manchen Texten fehlt literarische Reife
Die Geschichte über den Prenzlauer Berg dagegen – eine alte Frau erzählt, was sich dort alles verändert hat – meint man, schon mehrfach so ähnlich als Reportage gelesen zu haben.
Nicht immer wird aus Cornelia Schleimes Prosa ein Kunstwerk. Obgleich ihr schöne Formulierungen gelingen, lesen sich manche Texte doch so, als seien sie nur aufgeschrieben, ohne dass die Autorin sich der Mühe und der Wonne des eigentlichen Schreibens hingegeben hätte, ohne, dass ihre Worte literarisch eingepökelt wurden, wie Albert Vigoleis Thelen diesen Prozess einmal genannt hat.
Begierige Hoffnung durchzieht die Geschichten
Und doch gelingt es ihr, den Leser zu berühren und zu unterhalten, haben ihre Geschichten den Reiz des Unverstellten, den Reiz des Frechen und die Wärme des Mitgefühls. Und immer wieder betört die unbedingte Neugier.

Es ist der eigene Blick, mit dem man sehen kann, was man will, der eigene Körper, mit dem man machen kann, was man will, die eigene Traurigkeit, die sich mit einem verwebt.

1985 schrieb sie in einem ihrer Gedichte: "du wolltest die Welt austrinken". Und dieses Gefühl der begierigen Hoffnung, der Ungeduld auf neue Erfahrungen und der radikalen Selbstbestimmung durchziehen auch diese Geschichten.

Cornelia Schleime: Das Paradies kann warten
Fuchs & Fuchs Verlag, Berlin 2014
192 Seiten, 21,90 Euro

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