Roman

Im Angesicht der Leichenstarre

Lernen von den Toten: Der Protagonist des Romans wird durch Zufall Hilfskraft in einem Bestattungsunternehmen.
Lernen von den Toten: Der Protagonist des Romans wird durch Zufall Hilfskraft in einem Bestattungsunternehmen. © dpa / Lukas Barth
Von Manuela Reichart · 11.03.2015
Die Freundin ist weg, Arbeit und Geld auch: Der 31-jährige Protagonist in Kai Weyands zweitem Roman "Applaus für Bronikowski" ist am Ende. Durch Zufall kommt er zu einem Job, der sein Leben verändert - in einem Bestattungshaus.
Immer noch nimmt der Protagonist seinen Eltern übel, dass sie ihn als Halbwüchsigen zurück ließen als sie auswanderten. Programmatisch hatte er sich damals einen neuen Rufnamen gegeben (NC für Non-Canadian) und allen Ehrgeiz fahren lassen. Er will nichts werden, keine Karriere machen wie sein Banker-Bruder, der besorgt und aus Pflichtgefühl einmal in der Woche anruft. An seinem 31. Geburtstag muss er sich eingestehen, dass "der Kurs seiner Lebensaktie wohl wirklich auf Ramschniveau gesunken" war. Seine Freundin ist weg, er hat keine Arbeit und kein Geld, um die Miete zu bezahlen. In dieser Lage macht er sich auf den Weg, um "Zeit zu vergeuden", herumzulaufen und sich umzuschauen. Der Mann ist ein Träumer, einer, der sich dem brüderlichen Prinzip der "Lebensoptimierung" verweigert und durch Zufall zu einem Job kommt, der seine Existenz, sein Denken und Fühlen verändert. Er wird Hilfskraft in einem Bestattungsunternehmen, lernt was "thanatopraktische Maßnahmen" sind, wie man die Leichenstarre löst und den Verstorbenen die letzte Würde lässt.
Ein Roman voll hinreißend grotesker Situationen
Der Freiburger Autor verfügt über die Fähigkeit, im besten Sinne filmisch, also bildhaft zu schreiben. Er erfindet hinreißend groteske Situationen, die direkt aus dem Leben gegriffen sind: Wenn der unschlüssige Flaneur etwa darauf dringt, von einer Bäckereiverkäuferin einen Kaufempfehlung zu bekommen oder sich über esssüchtige Kinobesucher wundert. Kai Weyand erzählt in diesem (seinem zweiten) Roman eine komisch-spannende und absurd-realistische Initiationsgeschichte: Ein freundlicher Tunichtgut, der sich selber ein wenig zu wichtig nimmt, lernt im Umgang mit den Toten sein Leben zu meistern. Er trifft eine attraktive Hinterbliebene und einen traurigen kleinen Jungen, und angesichts der gewöhnlichen Missachtung der Leichen durch die Lebenden wird aus ihm ein entschiedener und erwachsener Mann.
Was und wie die Arbeit eines Bestatters aussieht, worauf es ankommt und was zu vermeiden ist, das erfährt man in diesem ungewöhnlichen Roman, der auf Slapstick-Einlagen ebenso wenig verzichtet wie auf berührend genaue Schilderungen des kleinen, von seinen Mitschülern gequälten Jungen.
Am Ende kündigt der Hilfsbestatter die Stellung, in der er hätte reüssieren können, wenn er nicht allzu kreative Methoden zur Wunscherfüllung der Hinterbliebenen an den Tag gelegt hätte. Er geht in der Begleitung eines klugen dreibeinigen Hundes seiner Wege: "Die Sonne hatte sich durchgesetzt, der Himmel war blau, ein strahlender Dezembertag."

Kai Weyand: Applaus für Bronikowski
Roman, Wallstein Verlag, Göttingen 2015
188 Seiten, 19,90 Euro

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