Roman

Ein unwahrscheinliches Verhältnis

Soldaten der Roten Armee sitzen nebeneinander bei einer Veranstaltung - zu sehen sind nur ihre Beine und Füße.
Die Rote Armee war in den Fall der 20-jährigen Mörderin Piroska Jancsó involviert, recherchierte Rubin. © dpa picture alliance / Frank Leonhardt
Von Jörg Plath · 08.11.2014
Szilárd Rubin hat mit "Eisengel" einen fesselnden Roman über eine zweifache Mutter und fünffache Mädchen-Mörderin geschrieben - angelehnt an einen wahren Fall. Der ungarische Autor ist fasziniert von dieser Frau. Ein doppelbödiges Leseerlebnis.
Anfang der 1950er-Jahre verschwinden in Törökszentmiklós, 120 Kilometer westlich von Budapest, nacheinander fünf Mädchen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. Die Polizei ermittelt unwillig, erst ein weiterer Mordversuch ein knappes Jahr nach dem Verschwinden des ersten Mädchens – seit Monaten herrscht in der Kleinstadt Panik – bringt die Ermittler auf die richtige Spur. Im September 1954 wird die 20-jährige Piroska Jancsó für fünf Morde, einen Mordversuch, fünffachen Raub und einmaligen Diebstahl zum Tode verurteilt. Die Täterin ist zweifache Mutter, zierlich und ausnehmend schön. Eine Studie nennt sie den "Vampir von Törökszentmiklós".
Szilárd Rubin hört 1966 erstmals von ihr. Er gerät aus unklaren Gründen, jedoch mit einer plötzlich grotesk schwarz geschwollenen Zunge in das Kriminalmuseum von Törökszentmiklós und vor die Fotografie der fünffachen Mörderin. Es erinnert ihn an das Firmungsfoto seiner Geliebten, die sich von ihm bereits getrennt hat, mit ihm jedoch noch schläft. Er glaubt sofort, mit Piroska, zu deutsch Rotkäppchen, ein "unwahrscheinliches Verhältnis" zu haben.
Anders lässt sich das Hingezogensein zu einer Toten wohl kaum bezeichnen. Jahrzehntelang, fast bis zu seinem Tod im Jahr 2010, kämpft Rubin mit der Geschichte des schönen Mädchens, der liebenden zweifachen Mutter und grausamen fünffachen Mörderin. Sie sei so schwer zu schreiben wie die Geschichte einer Heiligen, heißt es in der Mitte von "Eisengel". Dass der unvermittelte und gewagte Vergleich der Mörderin mit einer Heiligen den Leser nur kurz stutzen und dann gespannt weiterlesen lässt, sagt alles über die Qualität des Buches.
Versuch eines Dokumentarromans
Rubin erzählt in kurzen, atmosphärischen Szenen, hin- und herspringend zwischen damals und heute, zwischen Recherchen, Zeugenaussagen und Erzählversuchen. Er recherchiert zunächst in Törökszentmiklós die letzten Stunden der Opfer, dann das Leben Piroskas und ihrer Mutter. Im dritten Teil imaginiert der Autor Piroskas Besuche als Prostituierte in einer Kaserne der Roten Armee, einen ihrer Morde, die Kindheit des einstigen Heimkindes und ihre letzten Stunden vor der Exekution. Im Nachwort sieht er die junge Frau etwas überraschend als Opfer des KGB.
Szilárd Rubin versucht, einen Dokumentarroman zu schreiben, ohne alle Tatsachen zu kennen: Er erhielt zu wichtigen Unterlagen keinen Zugang und wurde durch seine Recherchen verdächtig, denn die Rote Armee war in den Fall involviert. Sinistre Anspielungen durchziehen daher den Roman, der ohnehin durch die seltsame Faszination des Erzählers doppelbödig wirkt. Mit der hitzigen Obsession für eine so schöne wie gefährliche Frau, mit einer Atmosphäre voller Angst vor Staatssicherheit und KGB sowie manch groteskem Erlebnis des schwarzzüngigen Erzählers schließt "Der Eisengel" an die "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" an, jenen großartigen Roman, mit dem Rubin noch kurz vor seinem Tod triumphal wiederentdeckt wurde.

Szilárd Rubin: Der Eisengel
Aus dem Ungarischen von Timea Tanko
Rowohlt Verlag, Berlin 2014
222 S., 19,95 Euro

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