Roman

Dressiert wie Hunde

Roter Chili liegt zum Trocknen aus.
Von Chili kann die Protagonistin in "Finnisches Feuer" nur träumen. Es ist in ihrer Welt verboten. © picture alliance / dpa / Alexandra Schuler
Von Marten Hahn · 18.07.2014
Johanna Sinisalo zeichnet in ihrem neuen Buch das Bild eines Finnlands, das seinen Bürgern das Recht auf Selbstbestimmung entzieht. Entstanden ist ein unterhaltsamer, feministischer und politischer Roman im Finnish-Weird-Stil.
Finnland, wie man es sich vorstellt: ein Hedonistenstaat. Jeder hat ein Handy, man kann seinen Individualismus ausleben, sogar Dinge tun, die nicht gut für einen sind. Im "eusistokratischen" Finnland der Autorin Johanna Sinisalo ist all das jedoch undenkbar. Handys gibt es dort nicht, stattdessen überall Kameras. Alkohol und andere Rauschmittel sind verboten, auch Capsaicin, also Chili. Der Staat hat seinen Bürgern das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstzerstörung genommen – im Sinne des Allgemeinwohls.
Johanna Sinisalo verpasst ihrer Heimat in "Finnisches Feuer" eine hässliche Fratze. Skandinavischer Wohlfahrtsstaat? Emanzipation? Pustekuchen. Frauen werden bei ihr domestiziert und dressiert wie Hunde. Der Staat unterscheidet in seinem natürlich gut gemeinten, doch menschenverachtenden System der Bevormundung zwei Klassen: gefügige, sexuell aktive, gebärfreudige Elois und untaugliche – selbstdenkende - Morlocks. Eine literarische Spur, die direkt zu H.G. Wells „Zeitmaschine" zurückführt.
Über Genre-Grenzen hinweggesetzt
Sinisalo, geboren 1958, schickt die Leser an der Seite einer "Capserin" – einer Capsaicin-Abhängigen – durch diese alternative Realität. Die Autorin selbst ist seit Jahrzehnten Chili-Enthusiastin. Fragt man sie per E-Mail nach der eigenen Schärfe-Toleranz, erhält man die Antwort: rund zwei Millionen Scoville. Das erfordert die Fähigkeit, Gerichte zu verspeisen, die mit Naga-Morich-Chili verfeinert wurden - ohne dabei gleich zu verglühen. Sinisalos Beschreibungen von Schmerz und Genuss beim Chili-Verzehr fallen entsprechend lebhaft und authentisch aus.
Wie so oft ignoriert die Autorin alle Genregrenzen. Damit hat sie es in Finnland zu einem gewissen Kultstatus gebracht. Sie gilt als Vorreiterin der boomenden literarischen Bewegung "Suomikumma" – Finnish Weird. Unter diesem Begriff versammeln sich finnische Autoren, die mit nicht-realistischen Genres experimentieren und deren Bücher weder in die Schublade Fantasy, Horror noch Science-Fiction passen, sondern irgendwo dazwischen liegen.
Schmackhaft wie Erdbeer-Habanero-Chili-Soße
Was macht Finnland so "weird", so komisch, so anders? Sinisalo glaubt, der Mangel an literarischer Tradition sei dafür verantwortlich. So etwas befreie. Und an dem reichen Fundus an Sagen und Mythen, an dem Mix aus skandinavischen und slawischen Einflüssen. Dazu ein Schuss Naturverbundenheit: Fertig ist Finnish Weird.
Mithilfe guter alter Verfremdungstechniken schärft "Finnisches Feuer" den Blick auf das, was uns alltäglich erscheint: auf den Gesundheitswahn, den Schönheitswahn, den Gebrauch von Make-up. Schaut man nach der Lektüre des Buches auf das Cover einer beliebigen Frauen- oder Programmzeitschrift, stellt man erschrocken fest: Unser Frauenbild ist näher am Eloitum, als wir dachten.
Sinisalo genügen einige kleinere, oft dezente Wendungen, um eine Welt so nah und doch so fern der unseren entstehen zu lassen. „Finnisches Feuer" ist keine schwer zugängliche Genreliteratur, sondern ein unterhaltsamer, feministischer, politischer Roman – schmackhaft wie eine delikate Erdbeer-Habanero-Chili-Soße.

Johanna Sinisalo: Finnisches Feuer
Verlag Klett-Cotta/Tropen, Stuttgart 2014
318 Seiten, 21,95 Euro

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