Roman "Die endlose Stadt"

Irritierende Fremde

Eine Bettlerin liegt auf einem Handkarren zwischen Fahrrädern und Müll in Mumbai vor der Haji Ali Moschee.
Eine Bettlerin liegt auf einem Handkarren zwischen Fahrrädern und Müll in Mumbai vor der Haji Ali Moschee. © imago/Indiapicture
Von Manuela Reichart · 07.03.2015
In Ulla Lenzes Roman "Die endlose Stadt" kreuzen sich die Wege einer Berliner Fotografin und einer deutschen Journalistin in Mumbai. Die Autorin erzählt eindringlich vom Reisen und Lieben in einer Zeit, in der die Fremde immer näher rückt.
Eine deutsche Journalistin mietet die Wohnung einer Berliner Fotografin in Mumbai, weil die der Liebe wegen zurück nach Istanbul will. Verwirrende Überschneidungen und die Frage nach der Fremde, der wir auf den Reisen in die Ferne ausweichen.
Anfang dieses Jahres schrieb die Schriftstellerin Ulla Lenze einen Zeitungsartikel über ihre ungewöhnliche Indien-Reise. Sie war als "Kulturschaffende" eingeladen worden, den Außenminister nach Delhi zu begleiten. Ihr Artikel endete mit dem Verweis auf ihren neuen Roman, der damit beginnt, dass eine Künstlerin Teil einer Delegation des Außenministers in Istanbul ist. Eigentlich – schrieb sie – sollte sie Minister Steinmeier von diesem seltsamen Zusammenspiel erzählen: "Es könnte bedeuten, dass die Literatur dem Leben immer ein bisschen voraus ist. Nun, ich erzähle es nicht."
Eine Fotografin, die Städte ohne Menschen fotografiert und eine Journalistin, die in der indischen Metropole auf der Suche nach Geschichten ist. Die eine kann von ihrer Kunst nicht leben, die andere sieht nur noch, was sie sehen will in der Fremde, um diesen Blick dann gegen ein gutes Honorar zu verkaufen. Die Lebenswege der beiden Frauen kreuzen sich zufällig: Die eine hat kostenlos eine Wohnung in Mumbai zur Verfügung gestellt bekommen, flieht aber den Ort und die damit verbundene Aufgabe, die andere wird immer mehr von Zweifeln geplagt angesichts ihrer Aufträge und den absehbaren Artikeln, die sie verfasst.
Verstörende Armut und Ausbeutung
Ulla Lenze, die Indien gut kennt und mit einem Stipendium in Istanbul war, erzählt auf eindringliche und dramaturgisch kunstvolle Weise vom Reisen und Lieben in einer Zeit, in der Entfernungen immer einfacher und selbstverständlicher überwunden werden, in der die Fremde immer näher rückt. Was versteht man, von dem was man in einer Stadt wie Mumbai oder Istanbul sieht, wie sehr ist man irritiert und verstört von Armut und Ausbeutung? Die beiden Protagonistinnen werden auf sich selbst zurück geworfen. Die eine verliebt sich in Istanbul in einen Mann, dessen Sprache und Herkunft sie nicht versteht, die andere hat eine Affäre mit einem, der in Indien allein einen Absatzmarkt sieht. Beide werden bei den Geliebten nicht bleiben können.
Außerdem gibt es noch einen reichen Manager und Kunstsammler, der die Künstlerin bewundert und ihr hilft, sie aber ebenso wenig versteht wie sie ihn, und den die Journalistinnen unter Vorspiegelung einer falschen Identität treffen wird. Vertrackte Verhältnisse und Begegnungen, an deren Ende niemand glücklich ist, aber wohl alle zurück nach Deutschland fliegen.

Ulla Lenze: Die endlose Stadt
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2015
317 Seiten, 19,90 Euro

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