Roman

Die beerdigte Hand des Gitarristen

Der amerikanische Gitarrist Jimi Hendrix tritt am letzten Tag (06.09.1970) des dreitägigen Pop-Festival "Love and Peace" auf der Ostseeinsel Fehmarn auf. Es war sein letzter Konzert-Auftritt. Hendrix starb am 18.09.1970 in London im Alter von 27 Jahren.
Ein Bild von 1970 zeigt Jimi Hendrix von hinten - und seine legendäre rechte Hand. © picture alliance / Dieter Klar
Von Gregor Ziolkowski · 15.10.2014
Jimi Hendrix war nie in Lemberg. Aber seine Hand ist hier beerdigt worden - behauptet zumindest der Schriftsteller Andrej Kurkow in seinem Roman "Jimi Hendrix live in Lemberg". Der zeigt den ganz normalen Wahnsinn einer ukrainischen Provinzstadt.
Natürlich war Jimi Hendrix nie in Lemberg. Schon gar nicht zu einem Live-Konzert. Aber Andrej Kurkow hat eine verwegene Fantasie. Und da die Kunst für ihre Wirksamkeit nicht wirklich die leibhaftige Anwesenheit des Schöpfers braucht, ist es nicht einmal abwegig, Jimi Hendrix auch in Lemberg – bzw. Lwów oder Lwiw – zu vermuten.
Dort nämlich ist darüber hinaus eine Hand des Gitarrengiganten bestattet, jedenfalls glaubt das in diesem Roman die überschaubare Schar der ergrauten Hippies, die sich an seinem Todestag alljährlich auf dem Friedhof versammelt, um dem Idol zu huldigen. Dass da plötzlich beim dunkel-schaurigen Friedhofsritual ein pensionierter KGB-Hauptmann auftaucht, der nicht nur behauptet, einer der Drahtzieher der Hand-Überführung zu sein, sondern auch glaubhaft macht, dass er im Zuge seiner dienstlichen Verrichtungen ganz heimlich zum Hendrix-Hippie-Verehrer konvertiert ist, kommt daher als eine dieser dramatisch erzählten, dabei warmherzigen Ironien, die dieser Autor aufbietet: so grau die (verbliebenen) Haare, so blass die Erinnerungen an eine entschwundene Vergangenheit, die man irgendwann als überaus stürmische Gegenwart erlebt hat.

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Der Schriftsteller Andrej Kurkow© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Liebe in der Wechselstube
Es wimmelt in Andrej Kurkows "Jimi Hendrix live in Lemberg" von solchen Skurrilitäten. Da ist ein abgebrochener Medizinstudent, der eine unorthodoxe Methode entwickelt hat, Nierensteine zu entfernen. Dass er die Liebe seines Lebens in einer Geldwechselstube findet, in der die angebetete Angestellte ausgerechnet eine Allergie gegen Geldscheine durchleidet, gehört ebenso ins Arsenal jener Seltsamkeiten wie der in der Stadt umherstreifende Seemann, den ein Autor aus seiner Geschichte gestrichen hat und der nun wie ein Zombie seine Bestimmung sucht.
Dass in dieser meerfernen Stadt immer wieder jodhaltige Luft zu spüren ist, dass todessüchtige Möwen laut kreischend Menschen und Gebäude attackieren, all diese Merkwürdigkeiten verweisen auf eine Welt, die offenkundig aus den Fugen ist.
Vorahnung chaotischer Zustände
Im Licht der gegenwärtigen Verhältnisse in der Ukraine mag man diese Geschichte lesen als eine Vorahnung chaotischer, in jedem Fall unübersichtlicher, in mancher Hinsicht auch gewaltsamer Zustände, die im Moment des Entstehens dieses Textes kaum vorherzusehen waren. Eine derart metaphorische Lesart dieses Romans wäre aber vielleicht auch überspannt. Dieses Buch erzählt vom "ganz normalen Wahnsinn" des Lebens, wie er über eine ganz normale untere Mittelschicht in einer ukrainischen Provinzstadt gekommen ist.
Das alles ist verfasst mit sehr viel Liebe zum alltäglichen Detail und einem stillen Pathos, das sich ergibt aus einer genauen Beobachtungsgabe, einem feinnervigen Sinn für Humor, einer stillen Verneigung vor der Essenz des Menschlichen, das jeder Biografie eingeschrieben ist. In seiner Vielschichtigkeit und den Verzweigungen seiner Handlungslinien wird dieser Roman zu einem Text, von dem man bedauert, dass er irgendwann einfach so zu seinem Ende kommt.
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