Roman

Dem Leben abhanden gekommen

Morgennebel über Landschaft und Ort am Rande der Berge
Wolfgang Sofskys Protagonist "Weisenfels" lebt In einem kleinen, entlegenen Ort in den Bergen. © imago/imagebroker
Von Carsten Hueck · 06.12.2014
Eine einprägsame, anachronistisch anmutende Kunstfigur hat Wolfgang Sofsky mit dem gebrochenen Dandy Detloff von Weisenfels geschaffen. Mit den Reflexionen seines Protagonisten fordert der Autor das Bewusstsein des Lesers für sein eigenes Leben heraus.
Schauplatz dieses Romans ist ein kleiner, entlegener Ort in den Bergen. Er trägt, ebenso wie der Erzähler, der dort Kindheit und Jugend verbracht hat, keinen Namen. Allein die Familie von Weisenfels wird benannt. Sie hat diesen Ort über lange Zeit geprägt, der Graf von Weisenfels war der größte Arbeitgeber in der Region, er betrieb eine Kräuterschnapsfabrik, ein Hotel, ein Gestüt.
Als der Erzähler nach 30 Jahren auf Einladung seines alten Jugendfreundes Detloff von Weisenfels zu einem Besuch auf dessen Familienschloss kommt, hat sich alles verändert. Der Graf, Detloffs Vater ist längst tot, der Ort ist verödet, der nächste Supermarkt 25 Autominuten entfernt.
Die Szenerie, in die Sofsky seinen Roman bettet, passt eher ins 19. als in das 21. Jahrhundert. Sie erinnert an Erzählungen Adalbert Stifters, an romantische Schauergeschichten und Edgar Allen Poe. Es gibt malerische Landschaftsbeschreibungen und der Erzählton scheint aus einer vergangenen, empfindsamen Zeit herzurühren: der Tod "zaudert", eine "erlauchte" Gesellschaft findet sich ein, man bewundert "das Ebenmaß der Züge". Das Erzähltempo ist äußerst geruhsam, es scheint, als sei die Zeit selbst zum Stillstand gekommen und erinnere sich nur im Erzählen an ihre bereits vergangene Existenz.
Angesiedelt im Hier und Jetzt
Doch lässt Sofsky, der 1952 geborene Soziologe und politische Kommentator, keinen Zweifel daran, dass sein Roman ganz von dieser Welt und durchaus im Hier und Jetzt angesiedelt ist. Es geht darum, den Niedergang von Lebensart und Kultur, den Verlust von Sinnlichkeit, den Verfall eines tragfähigen Gemeinwesens zu markieren.
Für den namenlosen Erzähler ist die Rückkehr an den Ort seiner Jugend eine Begegnung mit der Vergänglichkeit alles Irdischen. Überall bemerkt der Erzähler Zeichen der Entropie. Die Mauern des Schlosses, die Jahrhunderte überstanden, haben plötzlich Risse bekommen, Mörtel und Putz bröckeln ab. Der umgebende Park ist verwildert. Der Hausherr, sein alter Freund - mittlerweile der einzige Bewohner des Anwesens - wirkt erschöpft.
Wie schon die Figuren seines Prosadebüts "Einzelgänger" ist auch Wolfgang Sofskys Detloff von Weisenfels ein dem Leben abhanden Gekommener. Die Räume seines Schloss hat er mit Idolen bevölkert - Masken, Fratzen, Skulpturen und Bildnissen aus allen Epochen. Zwischenwesen und Engel begleiten ihn mit ihren Blicken auf Schritt und Tritt.
Beklemmung, aber kein Grusel
Trotz der Beklemmung des Besuchers - eine Grusel forcierende Handlung entspinnt sich nicht. Damit enttäuscht der Autor Erwartungen derjenigen, die allzu schnell etwas zu kennen glauben. Eine Fratze macht noch keinen Schlossgeist. Im Gegenteil: Detloff und sein Freund unterhalten sich bei Whisky und Zigarren über Kunst und Leben. Der Adelige erweist sich als Kunstkenner und einsam-elitärer Kulturkritiker. Der Erzähler ist befremdet. Zwischen Bitterkeit und Begeisterung, irre und hellsichtig trägt ihm Detloff in den wenigen Stunden des Beisammenseins Beichte und Vermächtnis in einem an.
Wolfgang Sofsky hat mit dem gebrochenen Dandy Detloff von Weisenfels eine große und einprägsame, anachronistisch anmutende Kunstfigur geschaffen. Keine, mit der man sich leicht identifizieren kann. Doch mit den Reflexionen seines Protagonisten fordert der Autor des Lesers Bewusstsein für sein eigenes Leben heraus
Wer sich auf dieses Buch einlässt, auf seine kunstvolle Sprachform, das entschleunigte Erzähtempo, die Achtsamkeit Sofskys für Details und sein radikales Denken, wird vom einmaligem Lesen nicht genug haben.

Wolfgang Sofsky: Weisenfels
Matthes&Seitz, Berlin 2014
235 Seiten, 22,90 Euro

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