Roman

Aus Monstren werden Verbündete

Die Sultan Ahmet-Moschee im europäischen Teil von Istanbul
An der Schnittstelle von Europa und Asien lösen sich in Kanons Roman die alten Machtkonstellationen auf. © dpa / picture alliance
Von Thomas Wörtche · 24.07.2014
Eine Spionagegeschichte am Bosporus kurz nach dem 2. Weltkrieg, die als Liebesroman daherkommt. In "Die Istanbul Passage" schafft der US-Autor Joseph Kanon gekonnt eine düstere Atmosphäre vor historischem Hintergrund.
Istanbul, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. In der Metropole an der Schnittstelle von Europa und Asien lösen sich die alten Machtkonstellationen auf. Während einzelne Geheimdienste die Sachen packen und nach Hause gehen, werden schon die neuen Fronten des Kalten Krieges fühlbar. Dazwischen klemmt die Türkei, die sich jetzt nicht mehr mit Achse und Alliierten arrangieren muss, sondern zwischen den Siegermächten lavieren muss, zwischen dem Westen und dem Osten. Zudem ist Istanbul ein wichtiger Hafen für die zionistische Bewegung, die überlebende Juden aus den Balkan- und den Schwarzmeerländern per Schiff nach Israel schaffen möchte, was wiederum den Briten überhaupt nicht passt. Aus eigentlich klaren Fronten ergibt sich eine Art neue Unübersichtlichkeit.
Naiv-patriotischer Beitrag für eine gerechte Sache
In diese politische Lage montiert der amerikanische Autor Joseph Kanon, der bekannt ist für seinen kreativen Umgang mit historischen Stoffen, eine Liebesgeschichte, die eigentlich eine Spionagegeschichte ist. Oder eine Spionagegeschichte, die sich als Liebesgeschichte ausgibt. Leon Bauer, ein amerikanischer Geschäftsmann in der Tabakbranche, hat während des Krieges kleinere Kurierjobs für sein Land erledigt, sein naiv-patriotischer Beitrag für eine gerechte Sache. Seine deutsche Frau Anna hat zusammen mit dem Mossad le Aliyah Bet (dem Komitee für Illegale Einwanderung) und dem War Refugee Board versucht, so viele europäische Juden wie möglich zu retten. Als einer der zu diesem Zwecke angeheuerten rostigen Kähne, die "Struma", sinkt (historisch verbürgt), wird Anna katatonisch und muss in einer psychiatrischen Anstalt ohne große Aussicht auf Besserung gepflegt werden. Und als Leon Bauer versehentlich bei einer undurchsichtigen Aktion seinen Chef erschießt, wird seine Lage umso komplizierter, als er sich auch noch in die Frau des amerikanischen Botschafters verliebt. Die fatale Aktion steht im Zeichen der neuen Fronten zwischen den USA, den Briten und der UdSSR, bei denen Moral keine Rolle mehr spielt. Die Russen möchten an einem faschistischen ungarischen Scheusal in ihrem neuen Machtbereich ihre "Siegerjustiz" demonstrieren, der Westen braucht das Know-how eines der Schlächter der ungarischen Juden und ist bereit, ihn davonkommen zu lassen, wenn er nützliche Informationen liefert. Und der Mossad muss sich letztlich auf einen Deal einlassen, der das Scheusal mitten unter seine Opfer führt.
Der Plot ist salzsäureklare Realpolitik
Das ist düster, sehr düster. Kanon hat ein feines Händchen für die Atmosphäre der Zeit, manche Passagen erinnern an Eric Ambler. So wie der arme Leon Bauer ein Ambler´scher Held ist – völlig überfordert und doch irgendwie stur an seinem Konzept von Anstand festhaltend. Der Plot ist salzsäureklare Realpolitik – Mossad, Russen, Amis, Türken, Briten agieren ihren Interessen entsprechend knallhart. Aus Monstren werden Verbündete, Sekretärinnen sind wichtige Agenten und sadistische türkische Geheimdienstleute recht kluge Gesellen. Die Welt ist, damals wie heute, so komplex, dass einfache Zugänge hilflos scheitern müssen. Deswegen ist "Die Istanbul Passage" ein Roman für erwachsene Leser aus der Welt von heute.

Joseph Kanon: Die Istanbul Passage
Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel
C. Bertelsmann, München 2014
477 Seiten, 19,99 Euro

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