Roman

Alles echt, so ziemlich

Im Ostseebad Rerik kämpft sich am Mittwoch (09.02.2011) über dem Salzhaff die Sonne durch ein Wolkenloch. Foto: Bernd Wüstneck/mbv
Die Hauptfigur Henry Hayden lebt mit seiner Frau an der Ostsee-Küste - fast sorgenfrei. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Von Knut Cordsen · 15.05.2014
Der vermeintlich erfolgreiche Schriftsteller Henry Hayden schwängert aus Versehen seine geliebte Cheflektorin - und ein alter Schulfreund rückt dem Lügner gefährlich nah. Ein respektabler Psychothriller.
„Schriftsteller sind Entertainer: Sie genießen es, Dinge in reizvoller und amüsanter Form darzubieten, damit Zuschauer oder Leser überrascht aufblicken, Anteil nehmen und ihren Spaß an der Darbietung haben.“
Das hat Patricia Highsmith geschrieben, in ihrem Werkstattbuch "Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt". Scheint so, als sei Sascha Arango ein Unterhalter ganz im Sinne von Highsmith. Sein amoralischer Held Henry Hayden will einem mitunter wie ein Geistesverwandter des legendären, in Sachen Mord und anschließender Vertuschung weiß Gott talentierten Tom Ripley vorkommen.
Die betrogene Ehefrau schreibt seine Romane
Doch der Reihe nach. Am Anfang des Thrillers ist die Welt des 44-jährigen Maserati-Fahrers und Millionärs Henry Hayden noch in Ordnung. Er lebt mit Martha an der Ostsee-Küste und kennt keine Sorgen außer der einen, dass er seiner Frau nun, da seine Geliebte Betty Hansen von ihm schwanger ist, wohl gestehen muss, welch intime Liaison er seit Jahren mit seiner Cheflektorin pflegt.
Henry ist nämlich Schriftsteller. Beziehungsweise: Er ist es nicht. Er gibt nur erfolgreich vor, einer zu sein. In Wahrheit schreibt die von ihm dauerbetrogene Martha jene Romane, die unter seinem Namen zu Bestsellern werden und ihn zu einem vermögenden Mann gemacht haben. Das wiederum weiß Betty nicht, der er erfolgreich vorgaukelt, er freue sich über ihre Schwangerschaft.
Henry, "das gefühllose Ungeheuer", steckt also in der Bredouille und versucht, sich auf seine eigene lügenhafte Weise von allen Problemen zu befreien. Dass er dabei zum skrupellosen Mörder wird, den dann ein "Gewissensdämon" in Gestalt eines Marders plagt, der sich im Gebälk seines Herrenhauses eingenistet hat, verrät nicht zu viel von der spannungsreichen Handlung.
Der bedrohte Lügner
Angedeutet sei lediglich noch, dass obendrein ein Schulfreund dem Hochstapler auf die Schliche zu kommen droht und ihm penetrant nachstellt. Bald ist Henry in einem Netz von Lügen gefangen, doch statt sich darin zu verstricken, knüpft und webt es Henry immer enger, um seine ganz eigene und für Ahnungslose durchaus glaubhafte Version der Geschichte zu spinnen, getreu dem Leitsatz: "Die Lügner unter uns werden wissen, dass jede Lüge ein Quantum Wahrheit enthalten muss, um überzeugend zu sein. Ein Spritzer Wahrheit ist oft genug, aber er muss sein, wie die Olive im Martini."
Der 54-jährige Sascha Arango hat einen respektablen Psychothriller geschrieben, dem man einzig vorwerfen mag, dass sein Autor eine Vorliebe für merkwürdige Namen hegt: Awner Blum! Honor Eisendraht! Charles Moreany! Klingt das nicht etwas arg bemüht? Aber für solche Seltsamkeiten entschädigt Arango dann sofort wieder mit Sätzen wie diesem: "Verbrechen aufzuklären ist eine ähnlich beschwerliche Arbeit wie Verbrechen zu begehen, mit dem Unterschied, dass die Pausen bezahlt werden."
Auch an diesem Beispiel sieht man, wie akkurat Arango sich an den Rat von Patricia Highsmith aus "Suspense" gehalten hat, der da lautet: "Der Ton sollte leicht sein."

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen. Roman
C. Bertelsmann, München 2014
300 Seiten, 16,99 Euro