Rollenklischees

Schluss mit der Prinzessinnen-Propaganda!

Ein Mädchenzimmer mit lauter Hello Kitty-Gegenständen.
Das Mädchenzimmer ganz in Rosa muss nicht sein, sagen Almut Schnerring und Sascha Verlan. © dpa / picture alliance / Imaginechina
Von Susanne Billig · 13.06.2014
Pinke Prinzessinnen hier, Mini-Superhelden da: Almut Schnerring und Sascha Verlan kämpfen in diesem Buch gegen die Rollenklischees im Kinderzimmer. Denn, so ihre These, die Geschlechtermythen des Alltags halten einer genaueren Überprüfung kaum stand.
Stell dir vor, du wachst morgen als Junge auf - was würdest du tun? Das wollte eine wissenschaftliche Studie in den USA von elfjährigen Mädchen wissen. Ihre Antworten: auf Bäume klettern, ordentlich Dreck machen, mal richtig laut sein. Und was täten Jungen im Körper von Mädchen? "Abhauen und mich verstecken!"
"Die Rosa-Hellblau-Falle" heißt ein neues Buch, geschrieben von Almut Schnerring und Sascha Verlan und ist eine Plädoyer gegen simplifizierende und biologistische Rollenklischees, die Kitas, Schulen, Kinderzimmer und vor allem die Köpfe der Erwachsenen erneut zu besetzen drohen.
In einer bunten Mischung aus engagierter Parteinahme und facettenreicher, solider Recherche nimmt das Autoren-Duo mit flotter Feder eine ganze Reihe an Aspekten unter die Lupe: die angeblich so unterschiedlichen technischen und sprachlichen Begabungen von Jungen und Mädchen, die massiven Geschlechtszuordnungen schon in Kindergärten, die rabiaten Werbestrategien von Spielzeugherstellern, die subtile Macht der Sprache. Opfer der Rolle rückwärts in Sachen Geschlechterpolitik sind Jungen, vor allem aber und wie gehabt: Mädchen und junge Frauen. Dass schon Kinder sich dieser Tatsache bewusst sind, macht die Studie aus den USA erschreckend deutlich.
Streifzüge durch das Schubladendenken
In ihren Streifzügen durch das moderne Schubladendenken lassen sich Autorin und Autor von Beobachtungen aus dem eigenen Familienleben inspirieren und interviewen Sprachforscherinnen und Marketingstrategen, Pädagogik-Expertinnen und Väter, die Röcke tragen. Dem fügen sie die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien aus den verschiedensten Fachbereichen hinzu. Gerade beim Tauchgang in die Forschung zeigt sich: Die gängigen Geschlechtermythen des Alltags halten einer genaueren Überprüfung meist nicht stand.
Ein schlichtes und eindrückliches Beispiel: Die Stimmen von Männern und Frauen liegen viel näher beieinander als gemeinhin angenommen. Weibliches Zwitschern und männlicher Brustton der Überzeugung - selbst solche biologisch scheinbar fest verankerten geschlechtsspezifischen Eigenarten erweisen sich wissenschaftlich als meistenteils anerzogen und nicht angeboren.
Wie unter einem Brennglas verdeutlicht dieses Beispiel, worum es Almut Schnerring und Sascha Verlan geht: Rollenklischees berauben Menschen des vollen Umfangs ihrer individuellen Möglichkeiten. Darum sollten pinksüchtige Prinzessinnen-Propaganda und steter Zwang zum Mini-Superhelden nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Einfache Lösungen greifen allerdings nicht, warnt das Buch: Denn was nützen mehr männliche Kita-Kräfte oder punktuelle Selbstbehauptungsseminare für Mädchen, wenn die Gesellschaft bis in die feinsten Verästelungen von Alltagskultur und Sprache die Klischees von Vorvorgestern zementiert? Mädchen wie Jungen brauchen, um reife, individuelle Persönlichkeiten ausbilden und damit das eigene Lebensglück zumindest potentiell verwirklichen zu können, einen freien, unverstellten Zugang auf das gesamte Spektrum der menschlichen Möglichkeiten.

Almut Schnerring/ Sascha Verlan: Die Rosa-Hellblau-Falle
Für eine Kindheit ohne Rollenklischees
Kunstmann Verlag, München 2014
256 Seiten, 16,95 Euro

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