Roland Barthes

Mit Vorbehalt gegen die Macht der Sprache

Der französische Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes (1915-1980), aufgenommen am 21.6.1977.
Der französische Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes (1915-1980) © AFP
Von Hendrik Feindt · 12.11.2015
Philosoph, Schriftsteller, Linguist und Kulturkritiker: Vor 100 Jahren wurde im nordfranzösischen Cherbourg Roland Barthes geboren. Der Mitbegründer der Zeichentheorie löste bei seiner Antrittsvorlesung im ehrwürdigen Pariser Collège de France einen Skandal aus.
Indirekt, aber beharrlich, gehe es um Macht - unter dieses Zeichen stellte Roland Barthes 1977 seine Antrittsvorlesung im Collège de France, der ehrwürdigsten Bildungseinrichtung in Frankreich. Die Ansprache entfaltete einen strukturellen Vorbehalt gegen die Macht aller Rede, auch der eigenen. Denn Sprechen, als Vollzug von Sprache, sei weder fortschrittlich noch reaktionär, sondern ganz einfach, wie Barthes behauptet: faschistisch. Die Aussage erschien skandalös. Dabei ging es um die Suche nach Sprechweisen und Umgangsformen, die sich aus eingefahrenem Regelwerk lösen, auch aus Zwängen, die Syntax und Grammatik auferlegen.
Barthes war auf Empfehlung von Michel Foucault auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für literarische Semiologie, für eine Wissenschaft der sprachlichen Zeichen berufen worden. Zwei Jahre zuvor, 1975, erklärte Foucault, Barthes sei der wichtigste Vorreiter, um die jüngsten Erschütterungen in der Welt des Wissens zu verstehen.
Von Brechts Theater geprägt
Am 12. November 1915 wird Roland Barthes in Cherbourg an der Atlantikküste geboren. Sein Vater, Offizier der Handelsmarine, stirbt kurz darauf während eines Seegefechts. Mit seiner Mutter lebt er 62 Jahre lang bis zu ihrem Tod. Als er 25 und als er 40 Jahre alt ist, kommen zwei Vaterfiguren hinzu.
Der Sänger Charles Panzéra sei einer dieser zwei Väter gewesen; der andere Bertolt Brecht. Aus dessen Theater übernahm Roland Barthes Verfahren der Verfremdung und kritischen Distanznahme. Sie prägen seine kulturanalytischen Schriften, angefangen bei den "Mythologies" von 1957, in denen er "Mythen des Alltags" aufspürt - etwa das Beefsteak, die Tour de France oder waschaktive Substanzen - denn diese besagten viel über das kollektive Unbewusste der französischen Restauration nach dem Krieg.
Distanznahme prägt auch die Abhandlung von 1964 über die "Rhetorik des Bildes", "La Rhétorique de l'image", wo an nichts Banalerem als einer Reklame für Nudeln die Sprache der Werbefotografie offengelegt wird, und nicht zuletzt einen Aufsatz, der als meistkopierter Text im Umfeld des Mai '68 gilt: Barthes betitelte ihn "La Mort de l'auteur", "Der Tod des Autors". Mit anti-autoritärem Pathos verstand er es dort, den Leser als produktive Instanz der literarischen Kommunikation zu inthronisieren.
Panzéra lehrte ihn Gesang
Charles Panzéra lehrte Barthes zwei Jahre lang Gesang und schärfte den Sinn für eine körperliche Wahrnehmung aller zu analysierenden Gegenstände. Von daher sein Bekenntnis zu einer "Lust am Text", "Le Plaisir du texte", Titel einer Schrift von 1973, die den Leseakt als eine subtile Form der Erotik begreift; und von daher die Beharrlichkeit, mit der Barthes in seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen Buch, der "Hellen Kammer", "La Chambre claire", eine Theorie der Fotografie entwickelt, die das subjektiv Bestechende als die eigentliche Qualität von fotografischen Bildern hervorhebt.
Roland Barthes starb am 26. März 1980 im 65. Lebensjahr in Paris. Auf der Walze seiner Schreibmaschine fand sich das Fragment eines Textes, das mit einem Leitmotiv seines Schreibens beginnt, dem "unentwegten Scheitern, wenn man über das spricht, was man liebt".
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