Rohstoffrausch in der Steppe

Von Nicole Graaf · 29.05.2012
In der Mongolei lagern Unmengen an Bodenschätzen: Gold, Kupfer, Steinkohle, Industriemetalle, Uran, seltene Erden. Wegen der miserablen Infrastruktur lohnte sich der Abbau für internationale Investoren bisher kaum. Doch seit die Weltmarktpreise für Rohstoffe immer weiter steigen, haben die großen Industrienationen das Steppenland als neuen Rohstofflieferanten entdeckt.
Die Gobi, im Süden der Mongolei. Kilometerweit nichts als ebene Steppe. Hier und da ein knorriger Baum. Vereinzelt eine Jurte, neben der Kamele grasen. Die Oyu Tolgoi-Mine ist bereits aus einigen Kilometern Entfernung zu sehen. Das blaue Stahlgerippe einer Lagerhalle zeichnet sich vor dem wolkenlosen Himmel ab. Noch ist die Mine im Bau. Ab 2013 sollen hier jährlich 460.000 Tonnen Kupfer und 330.000 Unzen Gold gefördert werden.

Im Kontrast zu der stillen Einöde ringsherum, herrscht auf dem Minengelände geschäftiges Treiben. Hunderte LKW, Geländewagen und Bagger fahren dort herum. Zwei Untertageschächte werden ausgehoben, jeder mehr als tausend Meter tief, daneben ein Tagebau im Ausmaß einer deutschen Kleinstadt.

Männer in blauen Overalls ziehen mit einer Seilwinde Arbeitsgerät an einer Lagerhalle hoch, um das Dach fertig zustellen. Daneben legen Ingenieure einen Graben für Kabel und Rohre an.

Das Areal, auf dem die Mine gebaut wird, ist mehr als halb so groß wie das gesamte Saarland. Am Rand steht ein provisorisches Camp für die Angestellten: rot-weiße Büro- und Wohncontainer, eine Jurtensiedlung, ein paar einfache Betonbauten.
Mehr als 14.000 Menschen arbeiten derzeit am Bau der Mine.

In einem der Büro-Container steht Uuganbayar an einem Beamer und führt neue Mitarbeiter in die Umweltbestimmungen ein. An weißen Tischen sitzen ein gutes Dutzend Männer und eine Handvoll Frauen, aufgereiht wie in einer Schulklasse. Alle tragen Fleecepullover mit dem orangefarbenen Kamel-Logo der Firma.

Die 33-jährige Uuganbayar hat Sinologie studiert und kam vor sechs Jahren als Übersetzerin zur Mine.

"Ich wusste zunächst gar nicht, dass das so ein gigantisches Projekt ist. Ein paar Freunde hatten mir geraten, mich hier zu bewerben. Sie sagten, das ist eine Riesenchance für dich, du kannst da sehr viel lernen."

Derzeit blickt das ganze Land auf Oyu Tolgoi. Es ist das größte jemals dagewesene Bergbauprojekt in der Mongolei und gilt als Vorreiter für weitere internationale Vorhaben. Sechs Milliarden Dollar investiert die kanadische Firma Ivanhoe in diese Mine.
Finanzanalysten schätzen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt der Mongolei bis 2020 verdrei- bis vervierfachen wird. Ein Drittel davon soll dann allein auf Oyu Tolgoi zurückgehen. Dem mongolischen Staat gehören 34 Prozent des Unternehmens. Darüber hinaus erhält er Steuern und Lizenzabgaben. Auch in der Bevölkerung sind immense Erwartungen mit Oyu Tolgoi verknüpft, sagt der 24-jährige Munkhdavaa. Er arbeitet als technischer Berater im Tagebau der Mine.

"Wenn unsere Regierung die Einnahmen richtig umverteilt, könnten wir Mongolen so reich werden wie die Leute in Saudi Arabien."

Munkhdavaa sitzt beim Mittagessen in der Großkantine. Auf seinem Teller dampfen mongolische Teigtaschen, garniert mit Karotten-Salat. Seine schwere blaue Arbeitsjacke hängt über der Stuhllehne. Er hat vor kurzem sein Ingenieursstudium in Ulan Bator abgeschlossen und erst vor ein paar Tagen seine Arbeit in der Mine aufgenommen.

"Ich find's super hier. Ich hatte gehört, dass die Bedingungen vorher sehr schwierig waren. Die Mitarbeiter schliefen in einfachen Jurten, es gab viel Staub von den großen Trucks. So was hatte ich eigentlich erwartet. Ich hätte nie gedacht, dass es jetzt so gut ist."

Das Camp für die Mitarbeiter gleicht einer Kleinstadt. Nach Feierabend können die Mitarbeiter Fußball, Basketball oder Tischtennis spielen. Es gibt eine Bar, einen Supermarkt, sogar eine kleine Bibliothek mit Computerraum. Dort werden Fortbildungskurse angeboten.

Munkhdavaa lebt während seiner vierwöchigen Schicht in einem der Wohncontainer. Er teilt sich sein Zimmer mit einem Kollegen. Zwei Betten aus hellem Holz stehen darin, ein Fernseher, zwei Schreibtische, beide mit Internet-Anschluss. Auf dem Flur sind Gemeinschaftsduschen -¬ ein Luxus, denn in der ländlichen Mongolei haben nur die allerwenigsten Haushalte fließend Wasser. Die meisten Menschen gehen nach wie vor in öffentliche Badehäuser. Munkhdavaa ist stolz auf seinen Job.

"Meine Eltern sind einfache Arbeiter. Mein Vater ist Feuerwehrmann, meine Mutter Hausfrau. Meine Schwester und ich haben studiert, deshalb haben wir jetzt beide einen guten Job gefunden. Meine Familie ist stolz auf mich. Wir sind Teil der Zukunft der Mongolei."
Dass der Bergbauboom einiges verändern wird, ist in der Umgebung von Oyu Tolgoi deutlich spürbar. Etwa 40 Kilometer entfernt von der Mine liegt Khanbogd - bisher ein verschlafener 500-Seelen-Ort. Kleine Backsteinhäuser und Jurten ducken sich hinter grobe Holzzäune.

Doch jetzt zieht die Mine Zuzügler an und sorgt für regen Durchgangsverkehr. Neue Häuser wurden gebaut. Mehrere Minisupermärkte haben eröffnet, ein paar kleine Restaurants und ein zweistöckiges Hotel. Drei mongolische Banken haben Filialen eingerichtet. Eine von ihnen thront in Form eines futuristischen Glaskastens auf einem Hügel über dem Ort¬.

Doch nicht alle in Khanbogd finden die Veränderungen gut. Manch einer fühlt sich von der Geschwindigkeit des Wandels überfordert, so wie die 39-jährige Oyunchimeg.

"Die Fremden bringen auch viele Probleme. Es gibt jetzt mehr Diebstähle und Einbrüche. Früher mussten die Leute nie ihre Tür abschließen. Selbst dann nicht,
wenn sie nach den Kamelen auf der Weide schauen gingen. Jetzt gibt es so viele Gerüchte. Ich hab von Leuten gehört, die versucht haben, Kinder von hier mitzunehmen. Es kann ja alles mögliche passieren."

Am Abend sitzt Oyunchimeg auf einem Plastikhocker in der Küche und rührt in ihrem Milchtee. Im Hintergrund dudelt leise der Fernseher. Die vierköpfige Familie teilt sich zwei kleine Räume in einem einstöckigen Haus. Sie schläft - wie auf dem Land üblich - im Wohnzimmer auf dem Boden. Die Decken werden tagsüber hinter einem abgewetzten, aber mit bunten Kissen liebevoll dekorierten Sofa verstaut. Fließend Wasser gibt es nicht. Es wird per Pferdekarren geliefert und in große Blechkrüge gefüllt.

Dass sich ihre Lebensbedingungen verbessern, darauf hofft auch Oyunchimeg, trotz ihrer Bedenken gegen die Umwälzungen, die die Mine mit sich bringt.

"Ich vertraue der Firma nicht mehr. Anfangs haben sie gesagt, Khanbogd wird eine Stadt, aber bis jetzt haben wir nicht einmal 24 Stunden am Tag Strom. Ich sehe das alles sehr zwiespältig. Wenn die Firma Geld hierherbringt und diesen Ort entwickelt, ist das gut. Aber wenn sie nur die Rohstoffe aus dem Boden holt und dann verschwindet, dann ist das sehr schlecht für unsere Zukunft und für die der nächsten Generation."

Ein derartiges Misstrauen teilen viele Mongolen. Sie wissen, dass durch die großen Bergbauprojekte sehr viel Geld ins Land fließt, aber sie finden, dass bisher zu wenig davon bei ihnen ankommt. Manche nehmen daher ihr Glück selbst in die Hand und graben auf eigene Faust nach Bodenschätzen, vor allem nach Gold.

Der mittlere Westen der Mongolei. In einer Senke im Grasland sind rund 100 Goldsucher bei der Arbeit. Die Motoren einiger Schütteltische rattern. Damit sieben die Goldsucher die ausgegrabene Erde vor. Der Hang ist mit Erdhaufen und tiefen Löchern übersät.
Auf der gegenüberliegenden Seite haben die Goldsucher ihre Jurten aufgestellt. Dazwischen stehen Motorräder, Kinder spielen und ein paar Hunde streunen herum.

Der 51-jährige Erdenee hockt an einem schlammigen Wasserloch. Er hat die vorgesiebte Erde in eine große Plastikwanne geschüttet. Nun gibt er behutsam ein wenig Wasser dazu und schwenkt sie hin und her. Ein paar winzige Goldkörnchen setzen sich am Boden der Wanne ab. Erdenees Frau pickt sie vorsichtig mit dem Finger heraus und gibt sie in eine kleine Plastikdose - darin der Fund eines Tages im Wert von etwa 20 Euro. Mit keinem anderen Job könnten sie so viel verdienen, sagen die beiden. Bevor sie Goldsucher wurden, lebten sie mit ihren sechs Kindern als Nomaden.

"Wir hatten über 200 Ziegen und Schafe, dazu ein paar Pferde und Kamele. Aber
2002 gab es einen sehr harten Winter. Es fiel so viel Schnee, dass fast alle unsere Tiere verhungerten. Sie fanden einfach kein Gras mehr. Deshalb sind wir hierher gekommen."

Damals verloren tausende Nomaden ihre Lebensgrundlage und wurden Goldsucher.
Die Arbeit ist hart: Um an die goldhaltigen Schichten zu gelangen, müssen sie fünf bis sechs Meter tief graben. Der Boden ist sandig und instabil. Immer wieder stürzen Schächte ein und begraben Menschen unter sich. Vor einem Jahr har es auch Erdenee
getroffen.
"Letzten Sommer stürzte ein Loch über mir zusammen. Zum Glück konnte meine Familie mich schnell genug bergen. Aber ich habe mir einige Muskeln verletzt und musste ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. Seitdem tut meine Schulter weh. Ich kann jetzt nicht mehr so tief unten graben."
Die wilde Goldsuche sorgt für gravierende Umweltprobleme. An manchen Orten graben tausende von Menschen und zerstören damit die empfindliche Steppe. Manche benutzen giftige Chemikalien. Mongolische Umweltschützer und Regierungskritiker finden solche Zustände unhaltbar. Einer von ihnen ist Ganbaatar, Chef des mongolischen Gewerkschaftsverbandes.

"Der Bergbau ist nur eine kapitalintensive Industrie. Wir brauchen aber Arbeitsplätze; dafür müssen wir verarbeitende Industrien aufbauen, zum Beispiel in der Metallverarbeitung. Wir wollen nicht den gleichen Fehler wie afrikanische Länder machen und nur Rohmaterial exportieren. Wir wollen ein wohlhabendes Land werden."

Von seinem Büro im Zentrum Ulan Bators aus schaut Ganbaatar auf den wuchtigen Regierungspalast, vor dem Dschingis Khan überlebensgroß in Bronze thront. Auf der anderen Seite ragt das Shangri-la Gebäude in den Himmel, ein gläserner Büroturm, erst 2010 erbaut. Eine der größten Banken hat ihren Sitz dort, ebenso eine Telekomgesellschaft. Im Erdgeschoss haben sich Boutiquen der Luxusmarken Zegna und Luis Vuitton eingerichtet. Dort kauft eine Handvoll Superreicher ein: jene, die im wilden Kapitalismus der 1990er Jahre durch gute Beziehungen zu Geld gekommen sind und jene, die am meisten vom Rohstoffboom profitieren.

Nicht einmal einen Kilometer entfernt liegen die Jurtenviertel – gewissermaßen die Slums der Hauptstadt. Dort leben die Menschen wie auf dem Land in Jurten oder kleinen Backsteinhäusern ohne Heizung und fließend Wasser. Den Gewerkschaftschef Ganbaatar bringt dieser krasse Unterschied zwischen Arm und Reich in Rage.

"Schau dir dieses Shangri-la an! Und gleich dahinten beginnen die Jurtenviertel. Unsere Parlamentarier, das sind Milliardäre. Wie kann das sein? Wir haben erst seit 20 Jahren die freie Marktwirtschaft. Und jetzt sind das schon Milliardäre. Ohne Transparenz sorgt der Bergbau bei uns nur für Korruption."

Tatsächlich steht die Mongolei derzeit auf Platz 120 von 182 auf dem internationalen Korruptionsindex, zusammen mit Staaten wie Bangladesch und Äthiopien.
Korruption und Umverteilung der Bergbaueinnahmen werden die großen Themen bei den anstehenden Wahlen sein. Im Juni wählen die Mongolen ein neues Parlament.

Der größte Teil der Mongolei besteht aus Steppe, ein sehr empfindliches Ökosystem, vor allem in der Gobi, die immer trockener wird. Viele fürchten, die Minenprojekte werden die Steppe weiter ausdörren, denn Bergbau verbraucht viel Wasser. Im Süden der Gobi, ganz in der Nähe der Oyu Tolgoi-Mine, lebt der Nomade Mendbayar mit seiner Familie. Gerade tränken sie die Kamele.

Mendbayar macht sich große Sorgen um das Wasser:

"Wir Hirten denken, dass die Oyu Tolgoi-Mine Auswirkungen auf unsere Brunnen haben wird. Wenn sie austrocknen, können nicht einmal mehr wir Menschen hier überleben."

Die Leitung von Oyu Tolgoi sagt, es gebe keinen Grund zur Sorge. Die Mine nutze ein sehr tiefes, unterirdisches Salzwasserreservoir; und das sei gar nicht mit den Wasserquellen an der Oberfläche verbunden. Tatsächlich schmeckt das Wasser dort salzig und ungenießbar. Das Trinkwasser lässt die Firma in Flaschen liefern.

Ein anderes Problem für den Nomaden Mendbayar ist der Flughafen, den Oyu Tolgoi neben der Mine baut. Auf dem Gebiet liegt eigentlich seine Sommerweide. Wo er seine Kamele, Ziegen und Schafe im nächsten Sommer grasen lassen wird, weiß er noch nicht. Immerhin hat die Firma eine Entschädigung versprochen, rund 12.000 Euro. Das ist in der Mongolei sehr viel Geld, Mendbayar zögert dennoch.

"Auch mit dem Geld wissen wir nicht, was die Zukunft bringt. Die Firma hat versprochen, dass sie nicht nur die Mine entwickelt, sondern auch hilft, den Lebensstil der Nomaden zu bewahren. Die Winter können brutal sein, manchmal sind auch die Sommer zu trocken. Wenn sie uns bei solchen Problemen helfen, könnte das funktionieren. Wir werden uns den Vertrag sehr genau ansehen. Wenn sie sich auf längere Sicht um uns kümmern, dann unterschreiben wir."

Dass die Zukunft der Mongolei eng verknüpft sein wird mit dem Bergbau, ist auch ihnen klar. Mendbayars Tochter Erdenchimeg möchte studieren:

"Irgendwas aus dem Bergbaubereich. Und dann möchte ich hier einen Job bei Oyu Tolgoi finden."