Roger Willemsens Lese-Vermächtnis

Melancholische Sicht auf blühende Landschaften

Roger Willemsen
Der Schriftsteller und Moderator Roger Willemsen © Deutschlandradio Kultur / Nicolas Hansen
Von Georg Gruber · 06.02.2017
Am 7. Februar 2016 ist der Schriftsteller und Moderator Roger Willemsen an Krebs gestorben. Das Label "Tacheles" hat aus diesem Anlass das Hörbuch "Deutschlandreise" wiederveröffentlicht.
"Am schönsten ist das Land als Versprechen weit weg, ein Weiler unter der Hügellinie, drei rote Dächer und eine Birke, ein Windstoß in den Sträuchern und eine Frau, die zum Wäsche aufhängen unter die Bäume tritt."
Was ist das für ein Deutschland, durch das Roger Willemsen da gereist ist? Ein anderes als heute? Sicherlich eines ohne Wutbürger, laute Populisten und Pegida. Aber – eine Idylle?
"Gute Menschen, die Milch aus zottigen Viechern melken und vor dem Essen beten. Das unausrottbar Schöne, doch, das gibt es, aber man darf ihm nicht zu nahe kommen."
Doch Willemsen kommt ihm nahe – und das Schöne schwindet wie ein Fata Morgana. Wochenlang reiste er quer durch die Republik, zuerst nach Osten, nach Rostock, nach Lichtenhagen, einem der frühen Schauplätze fremdenfeindlicher Ausschreitungen. Die Spaltung Deutschlands ist damals wie heute nicht überwunden, besonders deutlich ist das in Frankfurt/Oder zu spüren. "Ein Mahnmal für die Verlierer der Einheit" nennt Willemsen die Stadt. Den Bewohnern ist ihre Perspektivlosigkeit anzusehen, wenn sich an Kiosken treffen, Bier trinken, sich anschweigen.
"Ihre Kleider, das ist die Sprache, in der sie sich lesbar machen wollen. Dieser Garfield auf meiner Brust, sagen sie, das bin ich. Dieser "Palm Beach"-Paillettenschriftzug, er hat den Schwung meiner Fantasie. Manchmal steckt in der Kleidung mehr Utopie, als in der Rhetorik. Und die Mimik der Bitternis ist in den Blicken, bevor sie etwas erblicken. Eine Atmosphäre der Enttäuschung steigt von den Parkbänken auf, hängt über den Balkons, dampft aus den leerstehenden Wohnräumen."

Geschärfter Blick, empathische Annäherung

Der Blick des Autors ist scharf, seine Sätze wohlformuliert, die Stimme weich. Manchmal kann das auch überheblich klingen, aber er leidet, an dem was er sieht, an den verbauten Städten, am Anblick der Shoppingmalls, die sich überall breit machen. Trotzdem spürt man immer wieder auch sein Mit-Leiden mit den Menschen, die, so scheint er zu denken, doch viel mehr Möglichkeiten hätten, ihr Leben zu gestalten. Auch im Westen des Landes – wo er in Frankfurt am Main, in der Finanzmetropole, in einem Bistro ein Bewerbungsgespräch mit anhört:
"Ich blicke auf ihren Arbeitsplatz, sechs Tische in der Sonne, zwölf drinnen zwischen dem roten Holz und den schwarzen Marmorleisten. Beginnt in diesem Augenblick ein neues Leben? Stumpft an dieser Kulisse künftig über Jahre ein Blick ab, wie ein vom Wasser gerundeter Stein? Und welcher Blick in welche Welt?"
Willemsen interessierte sich für das normale Leben, er ließ sich treiben mit offenen Augen und Ohren, beobachtete den deutschen Alltag. Und fand, wenn auch nur wenige Momente, in denen Idyll und Wirklichkeit zusammen fallen.
"In die Alpen, über die Dörfer, wie schön es ist. Die Alten sitzen noch wirklich vor den Türen, die Wanderstöcke aus Wurzelholz mit den Metallspitzen klackern beim Gehen auf dem Asphalt. Und wenn man nur in einem Gasthof sitzen bleibt und wartet, dann beginnen die Geschichten. Ich bin jetzt nicht weit vor Obersdorf, hinter der Theke der örtlichen Schenke steht eine begnadete Zapferin, die alles gleichzeitig kann: Sie ist gesund und braun und laut und warmherzig. Wenn sie lacht, drehen sich alle im Schankraum um und blicken der Pointe hinterher."
Deutschland hat sich verändert in den 15 Jahren seit seiner Reise, die Unzufriedenen sind lauter geworden, die Stimmung ist dunkler. Doch Willemsens Reiseerfahrungen sind auch heute noch hörenswert: Wegen seiner genauen Beobachtungsgabe, seinem Blick auf die Menschen, wegen den kleinen alltäglichen Geschichten, die er im Vorbeigehen auffing. Und wegen seiner Art zu Erzählen - wenn man ihm auf diesem Hörbuch zuhört, merkt man wieder, wie sehr seine Stimme fehlt.
"So bleibt am Ende das schöne Bild, bleibt die Landschaft, so nutzlos wie sie ist, fordert sie ein anderes Verhalten, als fast alle übrigen Lebensbereiche. Sie sondert keine Signale ab, keine Botschaften, keine Kaufanreize. Ihr Einfluss auf den Menschen ist nicht mehr groß. Was soll man nur mit ihr machen?"
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