Roger Ballen-Fotos in Wuppertal

Ein Gruselkabinett aus Verwirrten und Vernachlässigten

Fotograf Roger Ballen wählt Motive aus, die oft erschrecken.
Das Von der Heydt Museum Wuppertal zeigt bis August 2016 Werke des Fotokünstlers Roger Ballen. © imago/CHROMORANGE
Von Michael Köhler · 23.05.2016
US-Fotograf Roger Ballen zählt zu den bedeutendsten Fotokünstlern unserer Zeit. Er porträtiert Menschen am Rande der Gesellschaft. Das Von der Heydt Museum Wuppertal zeigt nun Werke von ihm aus den Jahren 1969 – da war er gerademal 19 – bis heute.
Im Gruselkabinett des Roger Ballen gibt es nur Verwirrte und Vernachlässigte. Zahnlose Fratzen mit verrenkten Gliedmaßen. Höhlenexistenzen. Fiebertraumbilder. Wahnwesen. Geistig Kranke umarmen Wildschweinköpfe. Maskenmänner mit Krähe in der Hand, haben Vogelköpfe im Mund. Bizarr, das Innere nach außen kehrend. Regungslos. Labore des Leidens. Roger Ballens Schwarz-Weiß-Fotos geben den Blick auf Ungesehenes frei: Fantasien, Ängste, Mächte, Praktiken:
"Ich bin keiner, der die soziale, politisch-kulturelle Welt beschreibt, sondern jemand, der den inneren Geist, die Psyche beschreibt."
So lautet auch sein jüngstes Video, das in der Ausstellung neben 100 Fotografien großformatig zu sehen ist: "Theatre of Mind". Schön ist das nicht. Eher eine Art filmisch-fotografisches Stimmenhören. Beklemmende Albtraumbilder. Oft sind es gespenstische Stillleben, die der 1950 in New York geborene und in Johannesburg lebende Fotograf arrangiert.
Hausrat, Gegenstände, Spielzeug verändert seinen Sinn, wie die geknebelte Kinderpuppe am schematischen Christuskreuz aus Draht. Darunter steht G, O, D: God. Am unteren Bildrand liegt ein junger Mann, neben ihm ein kleiner Hund: "God"? Oder rückwärts gelesen "Dog"? Wer ist Hund, wer Gott? Wie lesen wir, was sehen wir, was wollen wir lesen und sehen? Was spricht uns an, was spricht in uns?

Roger Balles Bildwelten sind verstörend

Roger Ballen arbeitet nur mit Zustimmung der Dargestellten. Von den Leuten, mit denen er arbeitet, bekommet er zahllose SMS am Tag: Für sie ist er Arzt, Anwalt, Sozialarbeiter Psychologe, Finanzberater, die Wohlfahrt. Bevorzugt er also Arme, Ausgestoßene vom Rand der Gesellschaft?
"Ich ziehe das nicht notwendigerweise vor. Es ist, was ich die letzten Jahre gemacht habe. Da sind mehr Tieraufnahmen dabei als Menschen, mehr Zeichnungen von Menschen als Gesichter. Ich bin ja nicht in die Armen vernarrt. Für südafrikanische Verhältnisse sind die auch nicht arm. Sie haben fließend Wasser und Elektrizität. Interessant, dass Leute sagen, sie wären arm. Ihnen geht's besser als Dreiviertel der Bevölkerung."
Roger Balles Bildwelten sind verstörend. Harmlose Gegenstände werden bedrohlich. Draht, Abflussrohre, Bretter, verkehren ihre Bedeutung, werden anders benutzt. Der Draht hält nicht fest, sondern schnürt ab. Durch das Rohr fließt nichts, ein Arm steckt drin. Es wird alles Theater, Drama, Performance, Freak-Show. Beckett, Pinter, Ionesco sind für ihn wichtiger als Max Ernst, Jean Dubuffet oder outsider art: "Das Theater ist näher an meiner Fotografie als die Philosophie."
Da sitzt eine graue Taube auf dem Boden. Neben ihr liegt der Unterteil einer toten Taube, deren Oberteil wird von einer Art Krähenkopf besetzt. Was ist das? Überreste eines Kampfes, schamanisches Werkzeug, ein surrealistisches Stillleben? Die Taube ist eines der zahlreichsten Tiere Südafrikas. Die Koexistenz von Mensch und Tier ist jedenfalls nicht freundlich: "Das ist nicht friedfertig, überhaupt nicht. Naiv ist, wer das glaubt."
Im Gegenteil. Vielfach geht es bei Roger Ballens arrangierten Aufnahmen um Gewalt. Kuratorin Beate Eickhoff: "Vieles ist natürlich mit 'ner Gewalt, die wir in unserem normalen Leben nicht kennen, die aber da ist."
Roger Ballen: "Gewalt ist Teil der Natur auf unserem Planeten. Sagen Sie mir ein Tier, das davon frei wäre! Gewalt gehört zu uns."

Ballens Werke sind mit Bedacht inszenierte Kunst

Roger Ballen kennt den Vorwurf, seine Bilder würden kein Mitgefühl ausstrahlen, oder würden ihr Sujet benutzen: "So weit ich sehe, ist jeder Mensch auf der Erde ein Ausbeuter."
Kuratorin Beate Eickhoff sagt, es handle sich bei Ballens einzigartiger Fotografie nicht um Reportagen oder Schnappschüsse, sondern mit viel Bedacht inszenierte Kunst, ein "Theatre of Mind", ein Geistestheater. Die südafrikanische Gangsta-Rap-Techno-Rave Band "Die Antwoord" war so begeistert von Roger Ballen, dass sie was zusammen machen wollten. Heraus kam das berühmte Video, das inzwischen 80 Millionen Mal geklickt wurde:
"Im Jahr 2012 haben wir ein Video gemacht, "I fink you freeky", das zu einem der berühmtesten des letzten Jahrzehnts wurde."
Das war für Roger Ballen neu, junge Leute sahen das, lernten seine Ästhetik kennen. Umgekehrt wurde er sich der Kraft von Videos bewusst und machte Filme. In Wuppertal kann man das Oeuvre bestaunen. Zumutungsreiche und bildkräftige Kunst, die einen nicht unberührt lässt und dem Betrachter nachgeht wie ein Traum. Roger Ballen führt nicht vor, er führt auf. Er zeigt, was ist und was sein könnte, in harten Kontrasten, farblos, schwarz-weiss.
"Schwarz-weiß passt zu dem, was ich mache. Es ist rein, reduziert, minimal und gibt nicht vor, die Wirklichkeit abzubilden, zu verdoppeln."

Mehr Informationen zur Ausstellung auf der Website des Von der Heydt-Museums Wuppertal. Die Ausstellung "Roger Ballen - Fotografie und Film" läuft vom 22.5. bis 7.8. 2016. Informationen zu Roger Ballen gibt es auf seiner Website.

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