Röper befürchtet "journalistischen Einheitsbrei"

Horst Röper im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 21.11.2008
Horst Röper hat angesichts von drohendem Stellenabbau in den Medien vor einem dramatischen Verlust journalistischer Qualität gewarnt. Die Meinungsvielfalt sei in Deutschland längst in Gefahr, sagte der Zeitungsforscher.
Birgit Kolkmann: Als nach dem Platzen der Börsenblase 2002 es auch die Medien traf (vor allem im Printbereich), gingen die Anzeigen dramatisch zurück. Viel Personal musste entlassen werden. Im Journalismus sah es nicht gut aus, wenn es um Jobs ging. Jetzt passiert infolge der Finanzkrise das Gleiche. Automobilindustrie und Finanzbranche inserieren als Großkunden deutlich weniger. Den Verlagen fehlen Millionen.

Drei große Verlagshäuser haben jetzt angekündigt, Stellen einzusparen: der WAZ-Konzern im Westen circa 300 Stellen (etwa ein Drittel der Belegschaft), im Norden Gruner + Jahr, die alle Wirtschaftspublikationen künftig in Hamburg unter einem Dach produzieren wollen, und im Süden die "Süddeutsche Zeitung", die 15 Millionen einsparen will. Ohne Kündigungen geht das nicht. – Wie das einzuschätzen ist, möchte ich den Zeitungsforscher Horst Röper fragen. Guten Morgen in der "Ortszeit"!

Horst Röper: Ich grüße Sie!

Kolkmann: Herr Röper, nach sechs Jahren schon die zweite Krise. Wie schlimm ist das, was da auf dem Zeitungsmarkt passiert?

Röper: Es ist schlimm, insbesondere aus Sicht der Beschäftigten und natürlich auch aus Sicht der Leser. Wie schlimm es für die Verlage tatsächlich kommen wird, das wissen wir ja noch nicht. Im Moment sprechen wir ja eher von einer angenommenen Krise, von einer erwarteten Krise im nächsten Jahr. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres haben Anzeigen schon nachgelassen, Anzeigenbuchungen nachgelassen, aber das ist nicht so dramatisch, wie jetzt die Reaktionen von Verlagen ausfallen, die offensichtlich auch für das nächste Jahr Grausames erwarten.

Kolkmann: Diese Ankündigungen von Entlassungen, zum Beispiel beim WAZ-Konzern circa 300 Stellen, ein Drittel der Belegschaft, das ist doch ein Riesenschlag ins Kontor. Kann man auf diese Weise noch qualitätsvollen Journalismus machen?

Röper: Der WAZ-Konzern behauptet ja. Ich sehe das anders. Ich glaube nein, denn wenn es so käme, wie das jetzt bislang beim WAZ-Konzern aussieht, dann würde mit einem Drittel der Redakteure, die es bislang für die vier großen Zeitungen hier in NRW gibt, ja auch eine Vielzahl von Lokalteilen eingestellt, und das wäre sicherlich dann in der Summe der größte Konzentrationszeitungsmarkt Deutschlands, den wir je erlebt haben. Also es geht hier schon um Größenordnungen, die erschreckend sind.

Kolkmann: Nun haben ja vor allen Dingen die Wirtschaftszeitungen in den vergangenen Jahren stark zugelegt. Der Gruner + Jahr Verlag ist da ja in verschiedener Hinsicht engagiert – zum Beispiel "Capital", zum Beispiel die "Financial Times Deutschland". Aber alle Produkte, die mit Wirtschaft zu tun haben, sollen künftig unter einem Dach in Hamburg produziert werden. Da müssen dann auch Stellen weg oder?

Röper: Ja, in der Tat. Das ist ja so angekündigt. Es wird Stellenstreichungen auch da geben. Man bedient sich da wieder einer Methode des Umzugs, die wir oft erlebt haben, nicht nur im Medienbereich. Bisher sitzen die Wirtschaftsredaktionen von Gruner + Jahr in Köln, jedenfalls für die Zeitschriften, und die Redaktion der "Financial Times" in Hamburg. Nun werden sie dort zusammengelegt. Wenn Umzüge anstehen, zieht natürlich nicht das gesamte Personal mit, so dass sich ein Teil der Problematik sozusagen von selbst erledigt, aber für die Betroffenen ist es natürlich das Gleiche.

Also wir werden auch da Arbeitsplatzabbau erleben und in der Folge dann eine Gemeinschaftsredaktion, und das gibt es erstmalig so in Deutschland, eine Gemeinschaftsredaktion, die für eine Tageszeitung arbeiten wird, eben die "Financial Times Deutschland", und daneben eben auch für Zeitschriften. Das ist eine sehr ungewöhnliche Konstruktion, zeigt aber eines auf, was die Verlage eben in Summe jetzt immer mehr anstreben, nämlich journalistische Leistungen nicht mehr an ein Produkt zu koppeln, sondern sie quasi für alle möglichen Kanäle zu nutzen, hier eben für Tageszeitungen und Zeitschriften, natürlich auch für Internet-Angebote, und das setzt sich ganz offensichtlich in der Branche fort.

Kolkmann: Glauben Sie, wenn die Großen dieses schon so vormachen, dass die Kleinen sich daran ein Beispiel nehmen werden?

Röper: Ja, das ist die Gefahr, und das entspricht dem, was wir in anderen Wellen der Konzentration in Deutschland erlebt haben. Das macht natürlich aufmerksam, wenn gerade die Großverlage hier offensichtlich eine Krise erwarten und sich darauf versuchen, nun mit Kostenreduktion einzustellen. Das wird adaptiert werden von kleineren Häusern, auch – so ist zu befürchten – von Häusern, die das betriebswirtschaftlich gar nicht nötig haben, denn jede Krise ermöglicht es Unternehmern auch, so genannte Mitnahmeeffekte einzulösen. Also weil Öffentlichkeit und auch Belegschaft solche Streichungen derzeit eben eher akzeptieren als in besseren Zeiten, wird vollzogen.

Kolkmann: Glauben Sie, dass es auch Folgewirkungen für die elektronischen Medien geben wird?

Röper: Ja. Ich denke, auch damit müssen wir rechnen. Wir haben ja schon den Fall Pro7/Sat.1. Bei einzelnen privaten Fernsehsendern ist die wirtschaftliche Situation ja äußerst angestrengt. Auch da erleben wir ja derzeit schon Stellenabbau. Das gilt so sicherlich nicht für die RTL-Gruppe. Der geht es wirtschaftlich sehr gut. Aber hier und da wird es auch im elektronischen Bereich zu solchen Stellenkürzungen kommen, wo möglich auch beim privaten Hörfunk. Also insgesamt erleben wir derzeit eine dramatische Veränderung, die dahin geht, eben immer weniger originär journalistische Leistungen für das eigene Medium produzieren zu lassen und immer mehr Leistungen einzukaufen beziehungsweise für mehrere Medien erstellen zu lassen. Das ist der Kostenansatz.

Kolkmann: Dann ist die Meinungsvielfalt vielleicht doch schon in Gefahr oder?

Röper: Sie ist längst in Gefahr, denn Meinungsvielfalt heißt ja gerade, dass wir über unterschiedliche journalistische Quellen verfügen. Wenn der WAZ-Konzern nun behauptet, es sei doch wirtschaftlich unsinnig, dass beispielsweise zu einem Fußballspiel vier Sportredakteure von seinen einzelnen Titeln führen, dann reiche doch auch einer, weil deren Berichte doch ohnehin gleich seien. Da muss man sich natürlich fragen, warum hat man sich das denn über Jahrzehnte erlaubt. Diese Berichterstattung ist natürlich nicht einheitlich, und es kommt gerade auf diese unterschiedlichen Blickwinkel von Journalisten an. Das macht Vielfalt aus. Wenn da künftig eben nur noch ein Journalist von solchen Ereignissen für mehrere Zeitungen berichtet, dann haben wir einen Einheitsbrei, einen journalistischen Einheitsbrei. Von Vielfalt kann nicht mehr die Rede sein.

Kolkmann: Lohnt sich vor diesem Hintergrund noch, Journalist zu werden?

Röper: Jungen Journalisten oder jungen Aspiranten kann man das derzeitig sicherlich nicht empfehlen. Das Berufsbild, das Berufsfeld ist ausgedünnt. Wir haben ohnehin schon eine sehr große Arbeitslosigkeit unter Journalisten und wenn die Stellenstreichungen so weitergehen wie bislang, wie in den letzten Wochen, dann grassiert Arbeitslosigkeit.

Kolkmann: Vielen Dank – Horst Röper, der Zeitungsforscher, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.