Roboter kommuniziert mit Rattenzellen

Von Tobias Armbrüster · 30.09.2008
Roboter werden normalerweise von Mikroprozessoren gesteuert. Kybernetik-Forscher im englischen Reading haben jetzt einen Roboter entwickelt, der von tierischen Nervenzellen gelenkt wird. Die Zellen stammen aus der Hirnrinde von Ratten. Die Wissenschaftler erhoffen sich hierbei Aufschlüsse über Fehlfunktionen im menschlichen Gehirn, etwa bei Alzheimer oder Parkinson.
Das Gefährt im Labor bewegt sich in ruckartigen Bewegungen vor und zurück. Es steuert auf Holzwände zu, bleibt davor stehen und macht wieder kehrt. Der kleine, ein Kilogramm schwere Roboter auf drei Rädern hat eine Aufgabe zu bewältigen: Er soll jedem Hindernis ausweichen.

Gesteuert wird dieses spielzeuggroße Fahrzeug auf dem Holztisch aber nicht von einem Mikroprozessor, sondern von echten Gehirnzellen. Die wurden einer Ratte entnommen. Die Zellen schwimmen in einer Glasschale, sie sind nur durch ein Mikroskop zu erkennen – und sie lenken den Roboter mit ihren eigenen elektrischen Signalen. Professor Kevin Warwick ist der Leiter des Projekts.

"Wenn wir diese Gehirnzellen in der Petrischale ruckartig unter Strom setzen, dann senden sie eine bestimmte elektrische Spannung zurück. Genau wie im Gehirn. Diese Wechselwirkung machen wir uns hier zunutze. Das kleine Fahrzeug verfügt über mehrere Ultraschall-Sonden. Wenn die ein Hindernis erkennen, senden sie über mehrere Elektroden ein Signal an die Petrischale. Die Zellen in der Schale wiederum antworten ihrerseits mit einem Elektrosignal – und damit steuern sie dann den Roboter - links, rechts, geradeaus oder zurück."

Etwa einhunderttausend Gehirnzellen schwimmen in der kleinen Glasschale. Die Zellen sind sehr empfindlich, sie brauchen eine konstante Temperatur von 37, 4 Grad. Deshalb ist die Schale auch nicht im Roboter selbst eingebaut, sie lagert in einem Wärmeschrank in einer Ecke des Labors. Insgesamt 80 Elektroden am Glasboden registrieren dort die unterschiedlichen elektrischen Spannungsfelder zwischen den Gehirnzellen. Über eine Bluetooth-Verbindung werden diese Elektrosignale an den Roboter geschickt.

Die Gehirnzellen der toten Ratte sind auch in ihrer neuen Umgebung sehr aktiv. Die Biologin Imogen Dennis verfolgt jeden Tag am Mikroskop, wie sie ihre Struktur verändern.

"In den ersten zwei Wochen können Sie beobachten, wie sich die Zellen jeden Tag immer stärker miteinander verbinden. Was da zwischen diesen kleinen ovalen Körpern wächst, sieht ein bisschen aus wie Zweige an einem Baum. Am ersten Tag sind die Zellen noch völlig isoliert, aber mit der Zeit werden die Verbindungen immer dichter."

Die gestärkten Verbindungen in dieser Zellstruktur zeigen, dass die Gehirnzellen auch in der Petri-Schale aus den Erfahrungen lernen, die sie mit dem Roboter machen. Wenn das Gefährt mit den Ultraschallsonden eine nahende Wand erkennt und ein Teil der Zellen darauf immer mit der gleichen Stromspannung antwortet, dann nutzen die Wissenschaftler dieses Signal, um den Roboter nach rechts oder links ausweichen zu lassen. Die Gehirnzellen, die sich dabei nützlich machen, werden anschließend immer wieder stimuliert, wenn der Roboter auf eine Wand zufährt. Allerdings zeigt dieses Mini-Gehirn in der Petri-Schale durchaus menschliche Eigenschaften.

"Dieser Versuch würde natürlich genau so funktionieren, wenn man den Roboter von einem Computer steuern ließe. Der Unterschied besteht darin, dass dieser biologische Roboter nicht perfekt ist. Er zögert manchmal. Er kann manchmal auch besser sein als der Computer. Es hängt von der Tageszeit ab und von der Temperatur. Mit einem Computer hätten wir dagegen immer das gleiche Ergebnis."

In einem sterilen, gut belüfteten Seitenraum des Labors lagern Dutzende weiterer Glasschalen. Sie alle sollen irgendwann einmal den Roboter steuern. Die Zellen in den Gläsern hier müssen regelrecht gefüttert werden, erklärt Slawomir Nasuto, er ist Dozent an der Abteilung für Kybernetik.

"Diese Zellkulturen brauchen einen Cocktail, der ist der Flüssigkeit ähnlich, die auch unser Gehirn umspült. Einer von uns muss deshalb alle zwei Tage hier reinkommen und die Zellen mit der Nährlösung beträufeln."

Die Mitarbeiter des Projekts erhoffen sich von diesem Projekt nicht nur Aufschlüsse über die Steuerung intelligenter Systeme – das ist schließlich eins der wichtigsten Felder der Kybernetik. Das Projekt soll außerdem medizinische und biologische Erkenntnisse liefern. Der Versuch lasse schon jetzt wichtige Rückschlüsse für die Behandlungen von Krankheiten zu, sagt Kevin Warwick.

"Wir können zum Beispiel mit Hilfe des Nährcocktails bestimmte Nervenzellen abtöten und so mit diesem Roboter eine Art Schlaganfall simulieren. Anschließend lässt sich verfolgen, wie sich die übrigen Zellen der neuen Situation anpassen und Aufgaben beim Steuern des Gerätes übernehmen."

Eins der größten Hindernisse bei einem solchen Versuch ist die begrenzte Lebensdauer der beteiligten Gehirnzellen. Interessant wäre es für die Forscher, wenn sie die Entwicklung der Zellen über Jahre hinweg verfolgen könnten. Aber es gilt schon als Erfolg, wenn eine Zellkultur in der Petrischale für länger als drei Monate überlebt. - Danach muss der Roboter wieder mit einem neuen Gehirn anfangen.