Roboter im Operationssaal

Von Lutz Reidt · 10.08.2011
In der Krebstherapie hängt der Operationserfolg davon ab, dass der Tumor möglichst vollständig entfernt worden ist, aber so viel wie möglich gesundes Gewebe erhalten bleibt. Wunschziel der Chirurgen ist es, ultrapräzise operieren zu können. Ein winziger Roboter soll in der Zukunft als Operationshelfer die Krebs-Chirurgie revolutionieren.
"Hier sieht man ja das normale Gehirn und auch gleichzeitig den Tumor; und man gibt eine Substanz - diese Substanz, die färbt Tumorzellen; dann erscheint das normale Gewebe dunkelblau und das Tumorgewebe dann eben so rosarot."

Die Neurochirurgin Dr. Cleopatra Charalampaki ist Spezialistin auf dem Gebiet der Hirntumore. Auf dem Bildschirm verfolgt sie gebannt eine Operation. Es ist eine Computer-Simulation, bei der dem Patienten der Großteil eines etwa sechs Zentimeter großen Tumors gerade entfernt worden ist.

Jetzt kommt Neuroboid zum Einsatz. Das ist ein kleiner Roboter, der aussieht wie ein winziges Endoskop - ein kleiner Stift, der dem Chirurgen bei der Feinarbeit helfen soll. Gemeinsam werden sie jetzt die noch verbliebenen Tumorzellen aufspüren und unschädlich machen. Deutlich erkennt der Chirurg auf dem Bildschirm kleine, weit verstreute Knötchen, die giftgrün aufleuchten:

"Diese Knötchen sind Tumorareale, die man so markieren kann mit einem Stoff im Tumorgewebe; und diese Areale werden dann von dem Neuroboid-System angesteuert, um sie dann eben auf zellulärer Ebene sich noch einmal anzuschauen, sie zu tasten, sie chemisch zu analysieren; um dann dem Chirurgen zu sagen: Ja, da ist noch Tumor - und da sind die Grenzen! Und soll ich jetzt diesen Tumor behandeln?"

Noch ist Neuroboid eine Fiktion. Eine Idee von Cleopatra Charalampaki. Die aus Griechenland stammende Ärztin arbeitet an der Klinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Graz.

Im Rahmen des Forschungsprojekts koordiniert sie einen Verbund von Medizinern und Ingenieuren, vorwiegend aus dem Bereich der Nano- und Medizintechnik, die gemeinsam diesen Mikroroboter für die Krebstherapie entwickeln. Neuroboid soll die Sinnesleistungen des Chirurgen um ein Vielfaches steigern:

"Und es soll so aussehen wie ein etwas längerer Stift, den man dann im Gehirn wandern lässt; dort, wo der größte Teil des Tumors entfernt wurde und da noch Reste vermutbar wären; und er soll dann eben diese Reste sehen; er soll sie chemosensorisch analysieren, dass es tatsächlich auch sich um einen Tumor handelt; und dann eben diese Differenzierung für den Chirurgen dann eben in einem Monitor am besten Bild gebend wiedergeben.”"

Der kleine Roboter wird die Krebszellen mikrometergenau entfernen und das gesunde Gewebe in einem Maße erhalten, wie es bislang nicht möglich ist. Das Interesse daran ist groß. Nicht nur bei den Neurochirurgen, sondern auch in den HNO-Kliniken, also bei den Ärzten, die Tumoren im Bereich der Schleimhäute von Hals, Nase und Ohren operieren - so etwa auch an den Stimmbändern:

" "Damit ich nicht zu viel Gewebe entferne, ist es für mich wichtig, am Stimmband zu erkennen: Wo beginnt der Tumor? Wo sind die Tumorgrenzen? Sodass ich möglichst schonend operativ einen früh entstandenen Tumor entfernen kann. "

Professor Bernhard Schick leitet die Universitäts-HNO-Klinik des Saarlandes in Homburg an der Saar. Wenn der Chefarzt das Stimmband eines Patienten operiert, verlässt er sich heute auf ein hochwertiges Mikroskop, das ihm sein Operationsfeld um das 20-fache vergrößert. Das Auge von Neuroboid hingegen soll den Blick des Chirurgen um das bis zu 1.000-fache schärfen. Dann operiert Bernhard Schick mikrometergenau auf der Ebene winziger Zellverbände:

"Die Qualität des Neuroboid-Projektes besteht darin, dass ich neben einer sehr hohen optischen Darstellung - auch dreidimensional - verschiedene Systeme zur Verfügung habe, die mir erlauben, normales Gewebe von krankem Gewebe zu unterscheiden. Und ein wichtiger Bereich des Neuroboid-Projektes ist es, dass wir die Vielzahl von neuen Informationen, die wir erhalten, auch auf einem Bildschirm optisch für uns darstellen können, dass sie dem Chirurgen eine wesentliche Hilfe darstellen, ob diese Informationen mit dem klinischen Befund übereinstimmend sind und an welcher Stelle er die Operation ausführt."

Der Chirurg bleibt also der Chef im Operationssaal, Neuroboid ist sein Assistent. Dessen Optik wird auf Laserstrahlen basieren, die ihre Funktion ändern können: Bei niedriger Intensität arbeiten sie wie ein Auge, und wenn das Auge die verbliebenen Tumorzellen identifiziert hat, wird der Laser durch eine höhere Intensität kurzerhand zum Skalpell:

"Diese Lasersysteme, die behandeln dann auch gleichzeitig den Tumor. In diesem Arbeitspaket werden auch Absaugmodule im Sinne von Mini-Pumpen angebracht, sodass man dann eben die oberflächlichen Schichten - also Schicht für Schicht - das, was der Laserimpuls getötet hat, dann auch abgesaugt werden kann."

Während der Operation soll Neuroboid das Gewebe auch eingehend analysieren. Um ihren Operationserfolg zu überprüfen, legen die Mediziner heutzutage zwar bereits während der OP erste Gewebeproben in spezielle Flüssigkeiten und untersuchen diese sog. Schnellschnitte. So erhalten sie erste Informationen. Wirklich aussagekräftige Resultate liegen ihnen aber er erst nach Folgeanalysen einige Tage später vor - wenn die Operation längst abgeschlossen ist:

"Das völlig Neuartige am Neuroboid-Projekt ist, dass wir Gewebe-Erkennung in den Operationsbereich integrieren; die Operation wesentlich präziser, wesentlich genauer ausführen können, während der Operation schon die Information erhalten, was wir erreicht haben; mit dem Ziel: so viel wie notwendig zu entfernen, aber möglichst so wenig, wie es notwendig ist - damit wir eine gute Funktion haben. Und wenn wir an das Stimmband denken, dann bedeutet Operation im Bereich des Stimmbandes: Der Erhalt einer möglichst guten Sprache."

Noch ist Neuroboid eine Fiktion. Doch die Forscher sind zuversichtlich, die ersten Prototypen im Verlauf der nächsten zehn Jahre testen zu können.

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