Roboter auf Fischfang

Von Lutz Reidt · 07.11.2012
Wohl schon zu Zeiten von Petrus war es der Traum eines jeden Fischers, unter Wasser zu sehen, wie sein Netz in der Strömung steht, wie sich die Fische in seinem Netz verfangen und welche Fische ihm durch die Maschen schlüpfen.
Von dieser Neugier angetrieben sind auch die Fischereitechniker der Neuzeit: Nachdem sie jahrzehntelang Netze konstruiert haben, die möglichst viel fangen, ist es heute ihre Aufgabe, Fanggeräte zu entwickeln, die selektiver vorgehen, die nur möglichst wenig Beifang zulassen. Um genau zu studieren, was beim Fischfang unter Wasser im Netz passiert, haben Rostocker Fischereiforscher einen Unterwasserroboter konstruiert, den sie in der Ostsee vor Rügen erstmals getestet haben.

Spiegelglatt wie ein Ententeich liegt das Graublau der Ostsee vor der Walther Herwig. Das gut 60 Meter lange Paradeschiff der deutschen Fischereiforschung ist unterwegs vor Kap Arkona. Strahlender Sonnenschein lässt das Wasser glitzern und funkeln, in der Ferne sind schemenhaft die Kreidefelsen an der Nordspitze von Rügen zu erkennen.

Die Postkartenidylle über Wasser interessiert jedoch niemanden auf der Kommandobrücke. Was unter Wasser geschieht, ist für Ulf Böttcher viel wichtiger. Der Elektroingenieur vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock sitzt vor dem Monitor und steuert einen neu entwickelten Unterwasserschlitten mit einer wuchtigen, beigegrauen Konsole auf dem Schoß durchs trübe Wasser:

"Ich habe hier zwei Joysticks, der eine zum Tauchen und zum Auftauchen. Und den zweiten für Backbord - Steuerbord. Das Ganze wird angetrieben über zwei Motoren, die dann eine Auslenkung entweder in die Horizontale oder in der Vertikalen bewirken. Für so ein Gerät, das nur im geschleppten Zustand funktioniert, ist das eigentlich ideal, um einen Antrieb zu kriegen. Es ist günstiger als wenn man Schrauben verwendet."

Der Schlitten ist eine stabile Kunststoffkonstruktion, knapp zwei Meter lang und anderthalb Meter hoch. Das Gefährt wird heute zum ersten Mal getestet. Eine darauf montierte Kamera sendet Bilder, in schwarz-weiß, gestochen scharf. Der Fischereibiologe Daniel Stepputtis sitzt neben Ulf Böttcher vor dem Monitor und steuert mit schwarzem Joystick die Kamera.

Alle Steuerbefehle laufen über ein bis zu 600 Meter langes Glasfaserkabel von der Kommandobrücke zum Roboter, die Bilddaten der Kamera nehmen den gleichen Weg zurück. Das Netz ist jetzt zirka 200 Meter vom Heck des Schiffes entfernt, die Kamera hat die Netzöffnung im Fokus:

"Netz haben wir gefunden, wir haben gerade das Kopftau gesehen, also die vordere Öffnung des Netzes. Im Trüben sehen wir hier die Auftriebskugeln, die oben, auf der oberen Seite der Netzöffnung angebracht sind, die das Netz nach oben hin offen halten."

Die Qualität der Schwarz-Weiß-Bilder ist bestechend. Die Forscher können genau genug erkennen, wie sich das Netz unter Wasser in der Strömung aufstellt und wie sich die Fische darin verhalten. Welche Arten in welche Richtung schwimmen. Und wo größere Maschen und Fluchtfenster zu platzieren wären, damit geschützte und unerwünschte Fischarten mühelos entweichen könnten.

Wenn die Fischerei weltweit eine Zukunft haben soll, dann braucht sie Netze, die selektiver, die genauer fangen und unerwünschten Beifang so gut es geht vermeiden. Die Bilder, die der Videoroboter liefert, sind eine optimale Grundlage dafür:

""Also, was wir jetzt hier sehen: Wir sehen einen Tunnel, wo das Netz ein bisschen anders konfiguriert ist; die Netzmaschen sind gedreht um 90 Grad, stehen also ein bisschen weiter offen, wenn da Zug drauf kommt; und da sehen wie ein paar Heringe, die es leider nicht geschafft haben, aus dem Netz zu entkommen; und wir sehen immer wieder Heringe, die vorne ins Netz ´reinkommen und dann durch die Maschen entkommen, die fliegen uns gerade entgegen; und ein paar stecken halt in den Maschen fest und haben es nicht geschafft. Wir sind sehr, sehr nahe dran am Netz; und die flattern wie kleine Fähnchen im Netz.”"

Die Köpfe der Heringe mit den Kiemen sind genau zu erkennen, aber auch - und das ist den Forscher besonders wichtig - die Strukturen des Fangnetzes im Detail:
""Genau. Also, diese Qualität ist gerade ziemlich berauschend. Die Netze sind gut zu sehen, die Fische sind gut zu sehen, man kann sehen, wie hier gerade zwei Teile vom Netz aneinander genäht sind mit einem anders farbigen Garn; das übliche Garn ist ziemlich hell, oder erscheint zumindest hell hier auf dem Bildschirm; und die Ansetznaht ist dunkel; das ist echt toll, oder?”"

Erstaunlich ist, dass Ulf Böttcher bei seiner Reise mit dem Schlitten am Netz entlang in 30 Metern Tiefe sogar ohne zusätzliche Beleuchtung auskommt:

""Diese Unterwasserkameras haben erstmal eine gute Auflösung und zudem sind sie auch noch sehr lichtstark, damit man auch in größeren Tiefen mit dem Restlicht, das da unten vorhanden ist, arbeiten kann. Das Problem ist: Wenn man Scheinwerfer verwendet und die dann vorausleuchten, ist das in etwa der gleiche Effekt als wenn man mit einem Auto mit dem Fernlicht bei Schneetreiben fährt; die Schwebekörper im Wasser reflektieren dann das Licht und verhindern, dass man überhaupt weit sehen kann."

Deshalb kommen auch keine Farb- oder HD-Kameras zum Einsatz, weil die eine zusätzliche Beleuchtung brauchen. Der Unterwasserschlitten wird wieder an Bord gehievt und für den nächsten Tauchgang präpariert. Der Videoroboter der Rostocker Fischereiforscher hat seine Bewährungsprobe mit Bravour bestanden. Weitere Forschungsfahrten sollen folgen, um die Erkenntnisse zu vertiefen, damit Fangtechniker neue Netze entwickeln können, die eine wirklich schonende Fischerei möglich machen - in der Ostsee vor den Kreidefelsen von Kap Arkona, aber auch anderswo auf den Meeren.
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