Roberto Bolaňos Gedichte

Phantasmagorie und Wirklichkeit

Der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño, 1953 - 2003; Archivbild
Der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño, 1953 - 2003; Archivbild © imago/ZUMA Press / Verlag Hanser
Von André Hatting · 24.04.2017
Der Band "Die romantischen Hunde" mit den gesammelten Gedichten Roberto Bolaňos macht Appetit auf das erzählerische Werk des chilenischen Schriftstellers. Für die deutsche Ausgabe wäre allerdings ein Vor- und Nachwort wünschenswert gewesen, sagt unser Rezensent.
Exilerfahrungen in Mexiko, der Autor als Rockstar, ge- oder erträumte Begegnungen mit Schriftstellern der eigenen Lesebiografie: Roberto Bolaňos Gedichte erzählen die Lebensgeschichte ihres Autors. Es ist die Geschichte eines Mannes, der 1973 Pinochets Chile verlässt und über Mexiko schließlich in Spanien ankommt, aber nie mehr bei sich selbst. Und es ist die Geschichte eines Autors, der für eine neue lateinamerikanische Literatur steht nach dem magischen Realismus eines Márquez oder der politischen Lyrik eines Neruda, einer Literatur der Verlorenen und des Verlusts von Träumen, Sehnsüchten – und der Rastlosigkeit:
"Jener verlorenen Dichter
Im starren Morast
Verlieren wir uns im Nichts
Dort, wo man nur die Schritte hört
Von Parra
Und die Träume jener Generationen
Die unter die Räder kamen
Und vergessen wurden."

Poesie im Parlando

Roberto Bolaňos Gedichte kommen mal im Parlando der narrativen Poesie daher wie im ersten Teil des Bandes oder als poèmes en prose, die auf jeglichen Zeilenfall verzichten. Oft sind es Erinnerungen an verstorbene Schriftstellerfreunde oder Situationsbeschreibungen des eigenen Elends im Exil, multiperspektivisch in einem "Kaladeidoskop" (Herbst in Gerona) aufgesplittet und ins Phantasmagorische gesteigert, aber immer wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt: "Die reale Situation: Ich lebte allein in meinem Haus, war achtundzwanzig und gerade zurück aus der Provinz […]."
Verglichen mit Roberto Bolaňos experimentierfreudiger Prosa kommen die Gedichte verblüffend schlicht daher:
"Aber so waren wir Neochilenen,
Reine Inspiration
Und von Methode keine Spur."
Das aufschlussreiche Geständnis aus dem Langgedicht "Die Neochilenen" lässt offen, wie viel es von Bolaňos Lieblingsstilmittel, der Ironie, in sich trägt oder wie sehr Bolaňo ganz bewusst formale Unbekümmertheit für seine Poesie in Anspruch nehmen möchte.

Begleitstimme zum erzählerischen Werk

Unabhängig davon, wie wichtig er selbst seine Lyrik genommen haben mag, sie wirkt eher wie die Begleitstimme zu seinem erzählerischen Werk. Die romantischen Hunde funktionieren daher am besten als Appetitanreger, der Lust macht, die großartigen Romane des RB (wieder) zu entdecken, vor allem sein posthum erschienenes Werk "2666". Es teilt das undankbare Schicksal vieler Giganten der Weltliteratur von Krieg und Frieden über Mann ohne Eigenschaften bis Unendlicher Spaß, das Mark Twain wunderbar auf den Punkt gebracht hat: "Ein Klassiker ist ein Werk, das jeder gelesen haben möchte, aber niemand lesen will."
Noch besser hätte dieses amuse gueule funktioniert, wenn sich die beiden Übersetzer und Bolaňo-Kenner die Mühe gemacht hätten, uns wenigstens etwas zu unterstützen. Es gibt kein Vorwort, kein Nachwort, keine Anmerkungen zu den zahlreichen Personen oder zum Entstehen der Texte. Wenn der Verlag auch noch fälschlicherweise behauptet, diese Auswahl sei die "erste deutsche Gesamtausgabe von Bolaños Gedichten", ist das doppelt merkwürdig.

Roberto Bolaňo: "Die romantischen Hunde. Gedichte"
aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg und Christian Hansen
Hanser Verlag, München 2017
176 Seiten, 20 Euro

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