Robert Wyatt wird 70

Politische Lieder von erhabener Schönheit

Wyatt tourte mit Soft Machine u. a. als Vorgruppe der Jimi Hendrix Experience 1968 durch die USA.
Robert Wyatt als Schlagzeuger der Band "Soft Machine" in 1967 - die Band ist als Vorgruppe der Jimi Hendrix Experience 1968 durch die USA getourt © Imago / Zuma / Keystone
Von Klaus Walter · 28.01.2015
Robert Wyatt ist ein Mann mit vielen Gesichtern: Pionier des britischen Jazz-Rock, Sänger herzzerreißender Balladen, Agitator, Englands bester Schlagzeuger, Womanizer, liebender Ehemann, Trinker, Organist, Kommunist. Eine Hommage zum 70. Geburtstag.
"Not nit not, nit no not, nit nit folly bololy ..."
Mit diesen Worten beginnt "Alifie" von 1974, ein Schlüsselsong im Leben des Robert Wyatt, und ein Schlüssel zur Welt des Robert Wyatt.
Robert Wyatt Syn: "Folly bololy, ich weiß nicht, was es bedeutet, aber es ist absolut die Wahrheit."
Ja, manchmal fehlen die Worte für die Wahrheit.
"Ich glaube, viele Wörter existieren noch gar nicht, ich kann es kaum erwarten, bis es die endlich gibt. Ich wollte sogar schon mal ein Wörterbuch der nicht existierenden Wörter machen".
In diesem Buch würde dann vielleicht auch das Wort "Alifie" stehen.
"Alifie ist eine Wortschöpfung aus: Alife, also: lebendig, wenn auch nicht ganz korrekt geschrieben. Und aus: Alfie. Alfie ist der Kosename von Alfreda Benge, sie malt die Plattenhüllen von Robert Wyatt, sie ist seine Managerin und Alfreda Benge ist seit 40 Jahren die Ehefrau von Robert Wyatt. Und seine Speisekammer."
Alifie meine Speisekammer, Alifie meine Speisekammer, Alifie meine Speisekammer, Alifie meine Speisekammer ...
Nach einem Sturz ist er gelähmt
"Du bist meine Speisekammer"? Es gibt charmantere Komplimente. Aber: Erstens ist Robert Wyatt Marxist und zweitens hat er Humor. Also weiß er mit Bertolt Brecht:
"Chor mit Ernst Busch: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."
Alifie ist ein eigenartiger Song voller Widersprüche und damit ein Spiegelbild seines Schöpfers. Wyatt bezeichnet seine Frau als Speisekammer, typisch für seinen Galgenhumor. Oder besser: Fenstersturzhumor.
John Peel Syn: "Freitagnacht ist Robert Wyatt, einer unserer besten Freunde und der beste Schlagzeuger des Landes bei einer Party aus dem Fenster gesürzt und hat sich das Rückgrat gebrochen. "
John Peel, der berühmte englische Radio-DJ, verkündet die schreckliche Nachricht. Nach dem Sturz vom 1.Juni 1973 ist Robert Wyatt von der Hüfte abwärts gelähmt. Von nun an teilt sich sein Leben in Vorher - Nachher. Davon kündet auch eine aktuelle Werkschau auf zwei CDs. Sie heißt "Different every time", jedes Mal anders. Selten war ein Titel passender.
Vor dem Sturz war der Schlagzeuger Wyatt in Bands wie Soft Machine und Matching Mole dem Fortschrittsparadigma des Jazzrock verpflichtet.
Wyatt und sein unmännliche, weiche Stimme
Die Zeit vor dem Fenstersturz kommt auf "Different every time" sehr knapp weg. Nach dem Unfall wird der Sänger Wyatt zusehends politischer. "The Age Of Self" ist Wyatts Erwiderung auf Margaret Thatchers Credo: "There is no such thing as society", es gibt keine Gesellschaft, wir sind alle bloss Individuen. Sie sagen, die Arbeiterklasse sei tot, singt Wyatt 1985, "wir sind alle nur noch Konsumenten". Willkommen im Ego-Zeitalter, im age of self.
Die zweite CD der Werkschau ist den Kollaborationen und Gastspielen gewidmet und zeigt die enorme Bandbreite des Robert Wyatt. Und einmal mehr den politischen Kämpfer. "Venceremos", wir werden siegen, singt Wyatt 1984 als Gast der Band Working Week. Der Song ist Victor Jara gewidmet, dem ermordeten chilenischen Protestsänger.
"Venceremos", ein linkes Selbstermutigungslied der alten Schule, vorgetragen von Robert Wyatt mit seiner so unmännlichen, weichen Stimme. Viele der politischen Songs von Wyatt leben von diesem eigenartigen Kontrast: zwischen kämpferischen Inhalten und und einem Vortrag, der an seinen eigenen Botschaften zu zweifeln scheint. Das gilt auch für seine Interpretation von "At last I am free", der Freiheitsbeschwörung der Disco-Gruppe Chic.