Ritualbegleiter Markus Grünling

"Manche haben mit Kirche nix am Hut und suchen was"

Ein Brautpaar posiert für Hochzeitsfotos im Hafen von Ushuaia auf Feuerland
Ein Brautpaar posiert für Hochzeitsfotos im Hafen von Ushuaia auf Feuerland. © dpa / picture alliance / Jan Woitas
Markus Grünling im Gespräch mit Anne-Francoise Weber · 17.04.2016
Geburtsfeiern nach Maß, Trauungen nach Wunsch - Markus Grünling, freier Theologe und Ritualbegleiter aus Mannheim, bietet Zeremonien an. Der ehemalige Priester erklärt, warum Rituale für uns Menschen wichtig sind.
Anne-Francoise Weber: Wenn sich zwei fürs Leben zusammentun, wenn ein Kind geboren wird und eine Familie auf den Kopf stellt, wenn wir einen nahen Menschen verlieren, dann sind das Momente, die wir gern feierlich begehen. Rituale helfen, die Besonderheit dieser Lebenseinschnitte festzuhalten und zu bewältigen. Wie aber funktioniert das, wenn man mit den herkömmlichen christlichen Riten von Trauung, Taufe, Trauerfeier nichts mehr anfängt? Natürlich gibt es zum Beispiel die standesamtliche Hochzeit, die Jugendweihe, die Trauerfeier in der städtischen Friedhofshalle, aber diese Feiern wirken oft nüchtern und können die Emotionen weniger gut auffangen als wirkliche Rituale. Deswegen gibt es auch die Möglichkeit, ein eigenes Ritual zu finden und dabei professionelle Hilfe zu Rate zu ziehen. Zum Beispiel die von Markus Grünling, freier Theologe und Ritualbegleiter in Mannheim. Seit 2003 bietet der ehemalige Priester eigene Zeremonien an: Geburtsfeiern, Trauungen, Beerdigungen, aber auch Jubiläen oder Riten des Loslassens. Ich habe vor der Sendung mit Markus Grünling gesprochen und ihn erstmal um ein Beispiel gebeten – wie sieht eine von ihm gestaltete Geburtsfeier aus?
Markus Grünling: Ganz verschieden, je nach Paar, aber im Prinzip geht es darum, das Kind aufzunehmen in die Gemeinschaft, der Familie, der Eltern, der Mutter. Es ist so, dass sich die Eltern wiederfinden, wenn das Kind größer ist, das Kind, und die Verwandten außen herum. Es ist sehr gemischt, es gibt keine Regel für alle.
Weber: Wie kann man denn überhaupt so ein Ritual designen? Gibt es Bestandteile, die da auf jeden Fall reingehören – Musik oder ein gemeinsam gesprochener Text - oder ist das wirklich komplett frei und komplett abhängig von den Kunden?

"Es geht darum, mit dem Paar zusammen etwas zu entwickeln"

Grünling: Ich würde sagen das Ritualdesign ist ein sehr schlechter Ausdruck. Ich will mal die Frage eher ein bisschen umdrehen: Es gibt verschiedene Worte für das, was wir machen. Die einen sagen, Ritualdesigner ist ein Quatsch, man kann keine Rituale designen. Die anderen sagen freier Redner. Ist auch schwierig, weil es ist mehr als eine Rede, so ein Ritual. Wir nennen uns freie Theologen, das spricht eher unseren Beruf an. Es gibt so ein Wort wie Zeremonienleiter. Da geht es eher um… Die wird ja nicht geleitet, so eine Zeremonie. Ich würde sagen, Ritualbegleiter wäre ein gutes Wort. Es geht darum, mit dem Paar zusammen etwas zu entwickeln, wo sie sich wiederfinden. Da sind bestimmte Elemente, die vorkommen können, aber es ist eine sehr offene Geschichte. Das Ritual macht eher was mit uns, als wir mit dem Ritual – ich will es mal so formulieren.
Weber: Aber ein Ritual ist eigentlich etwas, was immer wiederholt wird, was von Generation zu Generation weitergegeben wird, mit dem man sich also in eine Traditionslinie stellt, manche Handlungen vielleicht auch einfach macht, weil die schon immer gemacht wurden, ohne sie jetzt genau rechtfertigen zu können. Funktioniert das dann, ein Ritual für einen Anlass, für eine bestimmte Gruppe von Menschen zu entwerfen und nur ein einziges Mal durchzuführen?
Grünling: Zu Ihrer Frage ja und nein. Ein Ritual hat eine lange Wurzel in die Vergangenheit, aber Rituale passen sich an an die Zeit. Es gab einen Sonderforschungsbereich in Heidelberg zum Thema Ritualdynamik. Das waren mehrere verschiedene Universitätsabteilungen, die da geforscht haben, um zu zeigen, Rituale sind dynamisch, die passen sich an. Sprich es gibt Elemente, die sind lange tradiert, da kann man relativ genau schauen, wie lange, und es gibt aber immer Elemente, die daran neu andocken. Ich sage jetzt mal Lieder von heute, unsere Sprache, aber auch andere Gestaltungsmöglichkeiten, die zum Beispiel an den Ringtausch andocken, um ein Element zu nennen.
Weber: Und mit welchen Wünschen kommen die Menschen zu Ihnen? Geht es darum, dass sie sich in der Kirche nicht mehr oder noch nie wohlgefühlt haben? Geht es darum, dass sie etwas Persönlicheres haben wollen, als nur ein Ritual, was eben für jeden abgehalten wird, der sich jetzt in der Kirche trauen lässt? Was ist da so der Grundimpetus?

"Erleben manchmal kirchliche Riten als relativ unpersönlich"

Grünling: Auch da wieder ganz gemischt. Ich will mal sagen, so 70 Prozent hätten einfach gerne etwas Persönliches auf sie zugeschnitten. Die erleben manchmal kirchliche Riten als relativ unpersönlich. Manche haben mit Kirche nix am Hut und suchen was, und viele haben auch eine Idee – die sagen, das ist unserer Ort, das ist unsere Musik, würden da gerne was machen und suchen jemanden, der das mit ihnen zusammen verwirklicht.
Weber: Sie haben selbst katholische Theologie studiert und waren zehn Jahre als Priester tätig. Warum haben Sie sich entschieden, diese Rituale zu verlassen und eigene anzubieten?
Grünling: Na ja, da traf ich eine hübsche Frau, da war die Frage, was mach ich dann. Da hatte ich so einen richtigen Übergang bei mir selber drin drei Jahre, was sich da entwickelt. Irgendwann war es dann klar, dass ist die Frau, die zu mir passt, und dann musste ich schauen, was mache ich hinterher. Über eine Freundin meiner Frau habe ich erfahren, dass es so etwas wie freie Theologen gibt, habe mich dann da sozusagen selbstständig gemacht, und dann nach zwei Jahren bin ich eingetreten bei den freie-theologen.de, so einer Website.
Weber: Und können Sie sich als freier Theologe auch darauf einlassen, eine Feier ganz ohne Bezug auf Gott oder auf irgendein höheres Wesen abzuhalten, oder ist bei Ihnen trotzdem noch diese Verbindung zum christlichen Glauben immer da, und müssen Sie die auch als Zeremonienmeister irgendwie da einbauen?

"Ein Ritual hat eine Tiefenwirkung für Menschen"

Grünling: Ich höre immer gerne "jenes höhere Wesen, das wir verehren", aber okay. Zeremonienmeister ist auch so ein Wort. Also die allermeisten meiner Paare, um die 90 Prozent haben keinen Bezug zu explizit religiösen Sachen, aber natürlich hat so ein Ritual eine Tiefenwirkung für Menschen. Also wenn zwei Ja sagen, wenn ein Kind geboren wird, jemand stirbt, wenn man etwas feiert, 25- oder 50-jährige Gedenktage – da hat es eine sehr tiefe Bedeutung für die Menschen, egal wie sie es ausdrücken. Ich als Theologe sage dann für mich persönlich natürlich, es hat etwas zu tun mit dem, was ich als Gott bezeichnen würde, aber für viele Menschen ganz verschieden, aber man spürt innerhalb der Feier des Rituals, wie das Leute mitnimmt und verändert vor allem.
Weber: Wir haben in einem Beitrag unserer Sendung gehört, wie ein Pfarrer einer Frau, die sonst nicht in die Kirche geht, sagt: stehen Sie im Gottesdienst einfach auf, wenn alle aufstehen, dann machen Sie es richtig, also da können Sie gar nicht viel falsch machen. Das funktioniert nicht bei einem Ritual, was neu erfunden wird, da wissen nicht die einen Bescheid, und die anderen können sich dranhängen, sondern es muss irgendwie dann doch viel mehr gesteuert werden. Ist das nicht auch schwierig?
Grünling: Ich sage mal, ich nenne mich dann eher Moderator. Es wird moderiert, nicht gesteuert, und es ergibt sich. Das ist so eine Wechselwirkung. Ich sag mal: Bei einer Hochzeit, da tanzt ein Paar rein, alle stehen auf und klatschen, da muss man nicht viel dazu sagen. Oder nach dem Trauversprechen, dem persönlichen, da stehen alle auf und klatschen. Es gibt Dinge, die ergeben sich von selber. Manchmal lernt man von den Paaren, mit deren Ideen, von den Mitfeiernden. Teilweise sage ich auch, jetzt stehen alle auf oder wie auch immer. Es ist aber eine Mischsache.
Weber: Gibt es dann auch manchmal Kunden, wo Sie sagen: Leute, also so, wie ihr euch das denkt, ich glaube, das funktioniert nicht? Sie haben einfach mehr Erfahrung mit Ritualen als dieses Paar, das da zum ersten Mal eine Trauung feiert und sich irgendwelche Gedanken gemacht hat. Kann das passieren, dass Sie sagen: Nein, also so kann ich mir das eigentlich gar nicht vorstellen, dass das andere verstehen als Ritual?

"Ich lerne sehr viel von den Paaren"

Grünling: Eigentlich nicht. Es geht eher umgekehrt, dass ich als Pfarrer hierher kam mit einer relativ klaren Idee und jetzt viel von Paaren gelernt haben, die gesagt haben, wir würden es gerne so und so machen. Ich sage dann immer: Guckt genau, es kann dieses oder jenes bedeuten, aber ich habe viel gelernt, dass Paare gesagt haben, das machen wir jetzt mal so. Ich hätte gedacht, na ja, das klappt nie, aber es war sehr überzeugend. Also eher umgekehrt – ich lerne sehr viel von den Paaren, von deren Ideen.
Weber: Jetzt will anscheinend auch die katholische Kirche von Ihnen lernen: Sie sind kommende Woche bei einer Fachtagung eingeladen zum Thema "Postmoderne Rituale als Herausforderung für die kirchliche Kasualpraxis". Das wird veranstaltet von der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt. Eigentlich ist das doch ziemlich erstaunlich, dass man Sie als ehemaligen Priester einlädt, da von Ihren Erfahrungen zu erzählen. Steht dahinter der Wunsch, die katholischen Rituale, also die sogenannten Kasualien, stärker an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, um die Menschen dann auch vielleicht mehr in der Kirche zu halten?
Grünling: Ich denke, der Wunsch nach Offenheit, zu hören, was tut sich, was gibt es eigentlich da, und natürlich ganz sicher – das wissen die Kirchenhistoriker auch, es hat sich auch in der Kirchengeschichte viel geändert in Ritualen –, und natürlich geht es um eine Anpassung, wenn man sagt: Die Menschen haben das Gefühl, sie sind damit, mit den Kasualien auch so beheimatet, wie sie es gern hätten. Also eine Neugier, eine Art Wissenwollen, was machen denn die anderen und sicher auch ein Austausch.
Weber: Sie bieten auch Feiern zu einer Trennung an. Das ist in der katholischen Ehelehre nun gar nicht vorgesehen, dass sich Menschen trennen. Jetzt gibt es aber das neue Schreiben vom Papst Franziskus, das doch gezeigt hat, dass in der katholischen Kirche ein gewisses Bewusstsein dafür da ist, dass das Leben nicht immer so läuft, wie die katholische Lehre es vorsieht. Glauben Sie, dass die katholische Kirche irgendwann auch so ein Ritual anbieten könnte?
Grünling: Gibt es schon. Es ist immer so die Frage, was ist offiziell, und ich habe viele Freunde, die noch Pfarrer sind. Klar bieten die teilweise sowas an, dass sie sagen: Wenn da eine Trennung passiert, und da kommt jemand zu ihnen, ein Paar, die hätten gern noch mal was, um gut gehen zu können, weiß ich schon von ehemaligen Kollegen, die sowas anbieten.
Weber: Und wenn Sie jetzt bei der Tagung sein werden, da sitzen wahrscheinlich vor allem Priester und Kirchenfunktionäre – was ist Ihre wichtigste Botschaft, die Sie da anbringen möchten?

"Heute geht es eher um Beziehungen"

Grünling: Ich muss sagen, die katholische Kirche geht davon aus, dass ein Ritual wirkt von sich selber, ex opere operato heißt der Fachausdruck. Das war früher so, wenn die ganze Gesellschaft in einem großen Rahmen war. Das hat sich heute geändert. Heute geht es eher, finde ich, um Beziehungen. Die Rituale, die ich moderiere, leben davon, ob ich es schaffe, eine Beziehung aufzubauen zu den Menschen hin, mit denen das Ritual gefeiert wird. Wenn ich ein Bild nehme – es ist sieben Achtel des Eisbergs, ist das Gespräch mit dem Paar, und ein Achtel dann die Zeremonie, das Ritual. Und dass die Kirche da ein bisschen lernt, mehr darauf zu schauen, ob eine Beziehung da ist zu den Mitfeiernden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Weber: Das Bild mit dem Eisberg müssen Sie mir noch mal erklären: Sieben Achtel der Arbeit mit dem Paar ist das oder des Rituals letztlich oder …?
Grünling: Ja, sieben Achtel des Rituals besteht aus den Gesprächen mit dem Paar, mit den Eltern, mit den Trauernden, und ein Achtel ist das Ritual, das basiert auf der Beziehung, die geschaffen wurde in dem Gespräch, in den Gesprächen mit den Leuten, die um ein Ritual bitten.
Weber: Das heißt, dass Sie letztendlich dem Ritual gar nicht so viel Bedeutung zumessen, wenn Sie sagen, das Gespräch macht doch den größeren Teil aus.
Grünling: Im Gegenteil, das Ritual hängt nicht in der Luft, sondern basiert auf der Beziehung, und wenn die Beziehung funktioniert, zumindest zwischen dem Paar, dem Paar und mir, dann können die anderen sich einklinken. Ein Ritual hat eine sehr große Eigenkraft, aber wenn keine Beziehung herrscht zwischen dem, der es moderiert und denen, die drin sind, kann auch der Funke schlecht überspringen zu den Mitfeiernden. Also es hängt zusammen, aber das Ritual selber schätze ich sehr, sehr hoch, eine große Kraft.
Weber: Und können Sie auch noch die Rituale der katholischen Kirche schätzen und eben doch auch sagen, das hat auch was, die gleiche Trauung zu haben wie die Großeltern, oder würden Sie sagen, das ist passé, weil die Menschen heute viel individueller denken und sich nicht mehr in so eine Traditionslinie einschreiben können?

"Es wird schwierig für Leute, die wenig Bezug haben"

Grünling: Auch da muss man differenzieren: Ich würde sagen, für Leute, die einfach da eine Herkunft haben, die religiös verankert sind und die jemand kennen, der das für sie gut macht, ist absolut perfekt. Es wird schwierig für Leute, die wenig Bezug haben und niemanden kennen. Dann kann es einfach so ein bisschen formal werden.
Weber: Und dann ist der Versuch, das eben aufzubrechen mit einem persönlicheren Ritual, wo nicht so viel festgelegt ist und wo mehr Selbstbestimmung von den Paaren oder den Betroffenen kommt.
Grünling: Ja, wenn einfach mehr Offenheit da wäre von den Pfarrern oder anderen, die so was machen, dass man sagt: das ist eine Art Kundenverhältnis, das geht da um eine Beziehung, wo man hinsieht, was wollen denn die, um zusammen zu gucken, wie kann man das denn in so einen Rahmen bringen, dass alle zufrieden sind. Das machen viele – weiß ich –, aber lang nicht alle.
Weber: Vielen Dank, Markus Grünling, freier Theologe und Ritualbegleiter in Mannheim!
Grünling: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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