Ritterromantik statt Industriebrache

Von Rainer Zerbst · 23.10.2009
Ritterromantik und antike Helden setzten sie dem Elend der Industrialisierung entgegen: die sogenannten Präraffaeliten wie beispielsweise der englische Maler Edward Burne-Jones. Seine Bilder, mit denen er die Welt verschönern wollte, sind nun in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen.
Als Entree zu einem Raum, der ganz der Suche des heiligen Grals gewidmet ist, hängt ein riesiger Wandteppich von Edward Burne-Jones. Er zeigt verklärte Figuren in langen Gewändern, die Anbetung der Könige, die auf einem Beet von Blüten und Gräsern einherschreiten - ein Bild, das nicht allein von Burne-Jones stammt, sondern eine Gemeinschaftsarbeit von ihm und seinem Freund William Morris war, zwei unzertrennliche Freunde, so Cristofer Conrad, der diese Ausstellung realisiert hat.

"William Morris war ab einem bestimmten Zeitpunkt jeden Sonntag bei den Burne-Jones zum Frühstück, das sah dann so aus, dass die beiden Herren sich in das Atelier des Malers zurückzogen, und dort wurde dann laut vorgelesen, und zwar von William Morris. Es wurde vorgelesen so etwas wie die Übersetzung von Mommsens 'Römischer Geschichte'."

Und diese Kooperation ist möglicherweise ein Grund, weshalb es Burne-Jones hierzulande nicht zu der Popularität brachte wie in England.

"Man hat keine Berührungsängste mit sehr stark durchgearbeiteten Oberflächen durch-designter Kunst. Das widerspricht der deutschen und kontinentalen Vorstellung von einer Genie-Tat."

Beide hatten sich in Birmingham kennengelernt, und beide sahen sich als Weltverbesserer, angesichts der Industriestadt Birmingham durchaus verständlich.

"Die Häuser waren geschwärzt vom Ausstoß der Schlote, es gab Alkoholexzesse und Gewaltexzesse unter den überwiegend irischen Gastarbeitern, also hatten die jungen Leute dort sehr früh Gelegenheit, die Kehrseite der Industrialisierung kennenzulernen, und sie wollten darauf reagieren, sie wollten dem etwas entgegensetzen. Die Kunst kam praktisch erst in zweiter Instanz als Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, dazu."

<im_53978>Der Prinz betritt den Dornenwald [NUR IN ZUSAMMENHANG MIT DER AUSSTELLUNG]</im_53978>Das Resultat: Bilder von makelloser Schönheit. Die Gestalten von edlem, hochgewachsenem Wuchs, die Gewänder mit ihrem Faltenwurf orientierten sich an den Gemälden des Spätmittelalters - auf jeden Fall Gemälden, die noch vor Raffael entstanden, daher der Name "Prä-Raffaeliten", den sich diese Künstler in England um ihren Wortführer Dante Gabriel Rossetti gaben.

Ihre Bilder leben von der eleganten Linie, der Harmonie in der Struktur. Aber nicht nur die Malerei vor Raffael faszinierte diese Künstler, und vor allem Burne-Jones, auch die Literatur des Mittelalters, ebenfalls aus dem Wunsch heraus, eine Gegenwelt zum düsteren 19. Jahrhundert zu zeichnen.

"William Morris und Burne-Jones faszinierte an diesen Mittelaltererzählungen die Möglichkeit, eine Schuld, die die Welt aus dem Gleichgewicht gebracht hat, abzutragen, und sie filterten aus den mittelalterlichen Büchern, die sie faszinierten, merkwürdigerweise oder vielleicht folgerichtigerweise immer dieses Moment der Schuld und Sühne heraus."

<im_53979>Sidonia von Bork [NUR IN ZUSAMMENHANG MIT DER AUSSTELLUNG]</im_53979>Daher der große Zyklus über König Artus und den Gral, daher Themen, die immer wieder Erlösung bringen, wie das Märchen von Dornröschen. Burne-Jones war dabei von den beiden der größere Künstler, William Morris der Tausendsassa, der die Welt ganz pragmatisch verschönern wollte: Er gründete eine Druckerei, um schöne Bücher unter die Leute zu bringen, oder eine Fabrik, die Stoffe mit floralen Mustern produzierte. Burne-Jones dagegen kam es auf die Klarheit des Bildaufbaus an. Kleine Gesten tragen Bedeutung - der Engel zum Beispiel, der Unbefugten mit einer leisen Handbewegung den Blick auf den Gralskelch verwehrt.

"Burne-Jones ist für meine Begriff ein Konzeptkünstler avant-lettre. Es geht ihm mehr um die Reinheit des Konzepts als um eine überzeugende oder überwältigende Durchführung, und es ist sicher bezeichnend, dass viele seiner Werke unvollendet blieben, die er praktisch in einer kleinen Gouache oder einen kleinen Zeichnung perfekt durchgedacht hatte."

Diese Neigung zu klaren Strukturen zeigt sich etwa bei einem Vergleich: Ein großes Gemälde zeigt König Artus im Schlaf - umgeben vom Hofstaat und natürlich herrlichen Blumen. Ein Entwurf dagegen zeigt den klaren Bildaufbau, in dem Artus' Bett im Oval umstanden ist von Wärterfiguren. Und das zeigt sich auch in seinen Zeichnungen, die erfreulich zahlreich in der Ausstellung zu sehen sind, und die etwa den großen Perseus-Zyklus, dessen Gemälde manchmal farblich überladen, übermächtig wirken, deutlicher vor Augen führen. Wenn uns das heute ein wenig an Ritterroman-Kitsch erinnert, mag das verständlich sein, dem Künstler Burne-Jones mit einem untrüglichen Auge für Symbolik und Struktur tun wir damit aber unrecht.