"Rita in Palma" - Existenzgründung mit Vision

Von Mandy Schielke · 04.07.2012
Haute Couture aus Neukölln: Das kleine Modelabel "Rita in Palma" nutzt die traditionellen Fähigkeiten türkischer Frauen für feine Häkelarbeiten. Die 33-jährige Labelgründerin Ann-Kathrin Carstensen wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Preis für soziales Engagement ausgezeichnet.
Ann-Kathrin Carstensen: "Das ist ein Schleifenkragen, gerade in dieser Farbstellung, zartrosa mit Swarowski-Kristallen besetzt, ist das unsere Bridal-Collection - also Brautkollektion. Er hat etwas ganz Leichtes und Feenhaftes."

Die hauchfeinen Schals und Tücher mit filigranem Häkelkragen verströmen die luftige Stimmung eines warmen Sommerabends. Irgendwo am Meer. Unendliche Leichtigkeit...Das Modelabel "Rita in Palma" aus Berlin-Neukölln steckt dahinter.

Wer sich das aufwändige Maschenwerk um den Hals legt, steht automatisch ein bisschen gerader in der Welt. Davon ist die 33-Jährige Modemacherin Ann-Kathrin Carstensen überzeugt. Sie trägt ein wadenlanges Seidenkleid, ihre langen braunen Haare fallen glatt über die Schultern. In ihre hochwertigen Designideen hat sie eine ganz und gar nicht glamouröse Komponente integriert.

Frauen aus türkischen Migrantenfamilien realisieren die komplizierten "Rita in Palma"-Häkelideen. Nicht, weil es sich bei ihnen um billige Arbeitkräfte handelt, sondern weil sie die einzigen in Berlin sind, die diese feine Handarbeit überhaupt beherrschen.

"Ich habe schon während des Studiums mit einer griechischen Freundin aus Hamburg Häkelarbeiten gemacht, und deshalb wusste ich, dass es in der griechischen und auch in der türkischen Kultur verwurzelt ist und auch noch ganz intensiv praktiziert wird von den Frauen."

In Berlin, wo die Mehrzahl der Migranten türkisch ist, lag die Zusammenarbeit mit ihnen auf der Hand. Die türkische Knüpftechnik ist dabei so fein, dass die Häkelprodukte wie Spitze wirken.

Auf dem Sofa ihres Ateliers im Berlin Neukölln sitzen an diesen verregneten Nachmittag drei türkische Frauen und häkeln. Sie trinken Kaffee und unterhalten sich dabei.

"Ich schlage vor, dass wir das mit dem hier ausprobieren...wenn wir den eben noch einmal in lang machen für die Messe."

Die Designerin setzt sich zu den Frauen auf das Sofa aus weinrotem Samt und bespricht mit ihnen den Entwurf für einen feinen Häkelhandschuh.

"Inzwischen ist es so, dass sich die Frauen auch mit einbringen. Am Anfang habe ich das schon ausschließlich vorgegeben."

2010 hat Ann-Kathrin Carstensen ihr Modelabel gegründet, ist kreuz und quer durch die Stadt gefahren und hat in Handarbeitsclubs für ihr Label geworben. Mehrmals im Monat trifft sich nun eine Handvoll türkischer Frauen aus Wedding, Kreuzberg und Neukölln im Häkelsalon des Labels. So lernen die Migranten deutsch und die Designerin lernt türkisch.

"Im Winter 2010 habe ich einen Intensiv-Türkischkurs besucht. Drei Wochen, acht Stunden die Schulbank gedrückt. Ich kann Small-Talk und ich versteh immer mehr. Also, die Frauen müssen langsam ein bisschen aufpassen, wenn die quatschen und ich dabei bin. Ich mag die Sprache sehr, und ich hab das einfach so gemacht, weil ich das machen wollte und im Nachhinein ist das, glaube ich, auch ganz klug gewesen zu sagen, ich lerne auch eure Sprache und ich bin im Übrigen auch in der selben Situation wie ihr. Ich gründe aus Hartz IV. Das schafft auch Vertrauen."

Nach dem Modedesignstudium konnte die 33-Jährige in Berlin keine feste Anstellung finden - also sprang sie in die Selbstständigkeit. Dabei hatte sie sich ihren Lebenslauf nach dem Abitur ganz anders vorgestellt.

"Und zwar habe Medizin studiert in Hamburg. Mein Vater ist Arzt, ich bin mit diesem Beruf groß geworden und dachte, ich möchte das eben auch machen. Ich glaube, ich wäre auch eine ganz gute Ärztin geworden, aber ich habe mich dann anders entschieden. Bin sehr überstürzt nach Berlin gezogen und hab plötzlich gemerkt - nein, das ist es nicht."

Sie schreibt sich für Modedesign ein und spezialisiert sich auf Accessoires und Handarbeit. Ann-Katrin Carstensen, die in Hamburg mit drei Geschwistern aufgewachsen ist, sagt von sich selbst, dass sie eine soziale Ader hat. Mit ihrem Label "Rita in Palma" kann sie diese mit ihrer kreativen Ader verbinden. Der Labelname "Rita in Palma" ist dabei ein Kunstbegriff.

"Ich habe an dem Namen immer sehr gehangen, weil ich finde, der hat so etwas ganz Klangvolles, Sehnsuchtsvolles."

Die "Rita in Palma"-Kragen, Tücher und Schleifenketten verkaufen sich allesamt gut, sind inzwischen außer in Berlin auch in Hamburg, Frankfurt, neuerdings in Zürich und natürlich im Online-Shop von "Rita in Palma" zu haben. In einer Welt der Massenproduktion wächst die Sehnsucht nach Unikaten. Darauf vertraut Ann-Kathrin Carstensen. Fünf Frauen arbeiten inzwischen auf Honorarbasis für "Rita in Palma".

"Es ist natürlich für mich als Gründerin eigentlich die einzige Möglichkeit, viele Frauen zu bezahlen, weil ich mit kleinen Darlehen gestartet habe und jetzt gerade davor stehe, einen sehr großen Kredit aufzunehmen, den ich hoffentlich bekomme."

Langsam wächst und wächst das Unternehmen und doch ist das Ganze ein großes Wagnis, sagt die Modemacherin. In den Momenten, in denen Ann-Kathrin Carstensen ihre Existenzängste vergessen kann, träumt sie von ihrer Häkelmanufaktur. Kürzlich beispielsweise stand neben ihrem Ladenlokal ein großer Raum frei, der zuvor als Moschee genutzt wurde.

"Da stand ich dann schon immer mal vor dem Fenster und habe da die Häkelnadeln klappern hören."

Modelabel "Rita in Palma"