Risiko des Missbrauchs höher als bei Schusswaffen

Mathias John im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.05.2009
Sogenannte nicht-tödliche Waffen sind alles andere als harmlos: Mathias John, Rüstungsexperte von amnesty international, fordert eine kritische Überprüfung von Elektroschockern und ähnlichen Waffen. Allein in der USA seien in den letzten sieben Jahren über 300 Menschen beim Einsatz von Elektroschockern ums Leben gekommen. Das Risiko des unverhältnismäßigen Einsatzes sei höher als bei Schusswaffen.
Liane von Billerbeck: Im Studio begrüße ich jetzt Mathias John, den Rüstungsexperten der deutschen Sektion von Amnesty International. Guten Tag!

Mathias John: Guten Tag!

Von Billerbeck: Die sanfte Mine, eine Waffe, die lähmt, aber nicht tötet. Müssen Sie bei Amnesty nicht fast froh sein darüber?

John: Ja, im Grundsatz könnte man annehmen, dass wir über solche neuen Waffen froh sein sollten, weil es weniger zu Todesfällen kommt. Aber wie bei vielen solchen neuen Entwicklungen gibt es damit natürlich massive Probleme, und wie unsere Untersuchungen seit langen Jahren gezeigt haben, gibt es auch sehr viele Todesfälle, gerade im Zusammenhang mit diesen neuen Elektroschockwaffen.

Von Billerbeck: Wie ist eigentlich Amnesty zu diesen neuen, angeblich nicht-tödlichen Waffen gekommen?

John: Amnesty International arbeitet jetzt schon seit längerer Zeit zu dieser Thematik. Anfang/Mitte der 80er-Jahre haben wir begonnen, den internationalen Rüstungsmarkt genauer zu betrachten und zu sehen, wo sind Rüstungsgüter im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen. Und da ist dann auch ziemlich schnell offensichtlich geworden, dass sogenannte nicht-tödliche Waffen - damals waren das noch ganz normale handbediente Elektroschocker - weltweit von den Folterregimen sehr gerne benutzt worden sind, weil diese eben keine besonderen Spuren hinterlassen haben wie alte Foltermethoden. Und da haben wir uns genauer mit solchen Praktiken, Entwicklungen und neuen Waffensystemen befasst.

Von Billerbeck: Wie kommt es eigentlich zu solchen Todesfällen bei diesen Tasern, bei diesen Elektroschockwaffen?

John: Bei diesen Elektroschock-Distanzwaffen hat Amnesty ja seit 2001 bis Ende letzten Jahres in den USA alleine über 300 Todesfälle im Zusammenhang mit deren Einsatz festgestellt und untersucht. Das sind sicherlich nicht alle, aber das sind die, wo wir Daten zugänglich hatten. Und es lässt sich nicht tatsächlich sagen, dass in jedem Fall dieser Einsatz von diesen Elektroschockern der Grund für den Todesfall ist. Häufig sind dann auch noch andere Vorschädigungen der betroffenen Opfer ein Grund mit, aber es ist schon zu sagen, dass eben dieser Elektroschockeinsatz sicherlich mit dazu beigetragen hat.

Und das ist eben unsere große Sorge, dass immer noch nicht endgültig klar und ausreichend untersucht ist, wie die tatsächlichen gesundheitlichen Auswirkungen dieser Elektroschocker sind. Es kommt immer noch im Zusammenhang mit solchen Geräten zu Todesfällen, und da ist eigentlich auch ein breiter Einsatz nicht akzeptabel.

Von Billerbeck: Nun haben Sie von Todesfällen in den USA gesprochen. Wie ist denn eigentlich die Situation in Deutschland? Diese eben vorgestellten Taser -"Behördengerät" nannte es da der Waffenhändler - die sind ja bislang nur für Spezialkräfte zugelassen. Welche Erfahrungen gibt es hierzulande damit?

John: In Deutschland sind eben solche Elektroschockwaffen wirklich nur bei Sondereinheiten bisher im Einsatz und häufig auch nur im Probeeinsatz, und wir sind sehr froh darüber, dass das eine derartige Begrenzung bisher erfährt, dass dort sehr sorgfältig auch geschaut wird, was passiert damit, wo werden die eingesetzt.

Trotzdem ist nach unserer Kenntnis auch in Deutschland schon in einigen Fällen es zu Fehlern bei dem Einsatz gekommen, dann haben die Geräte nicht funktioniert. Also in einem Fall war es jemand, der sich umbringen wollte, der sollte damit von diesem Taser abgehalten werden, und da funktionierte das Gerät nicht, und er hat sich trotzdem umgebracht. Und das zeigt auch, dass diese Geräte auch fehleranfällig sind. Und deswegen fordern wir auch für Deutschland, wie überall für diesen Einsatz, dass das wirklich nur ein letztes Mittel sein kann, wenn es ganz konkrete Bedrohung für Leib und Leben der Opfer und anderer Opfer oder der Polizisten gibt, die es einsetzen.

Von Billerbeck: Nun würde ja die Industrie wahrscheinlich sagen, okay, da sind Fehler an dem Gerät, wir sind dabei, sie zu verbessern, diese Geräte. Von heute an bis Mittwoch findet in Ettlingen ein Symposium statt, veranstaltet vom Fraunhofer Institut. Wer trifft sich dort eigentlich?

John: Da treffen sich vor allen Dingen in Ettlingen bei diesem Kongress Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Praxis dieser sogenannten nicht-tödlichen Waffen forschen, die neue Entwicklungen betreiben in diesem Gebiet, weil es eben auch Anforderungen gibt, nicht nur von der Polizei, auch vom Militär, zunehmend solche Waffensysteme, die zwischen dem klassischen Schlagstock und der klassischen Schusswaffe liegen und weniger Todesopfer mit sich bringen sollen, zu entwickeln.

Von Billerbeck: Im Beitrag war die Rede von Stromschlägen, von speziellen Minen. Wir wissen von Luftdruck und Lärm, der als Waffe eingesetzt wird, um Menschen kurzzeitig zu lähmen. Wer fördert eigentlich hierzulande die Forschung an solchen angeblichen nicht-tödlichen Waffen?

John: Die Finanziers dieser gesamten Forschungen sind teilweise im Dunkeln. Das Fraunhofer Institut ist ein öffentlich gefördertes Forschungsinstitut, da nehme ich dann an, dass dort auch Mittel des Bundes und gegebenenfalls der Länder rein fließen.

Von Billerbeck: Aber woher die Drittmittel kommen, weiß man nicht?

John: Das ist uns jedenfalls nicht bekannt. Wahrscheinlich fördert auch entsprechende Industrie so etwas. Es gibt ja auch Entwicklungen bei Rüstungsfirmen selber, die in diesem Bereich der nicht-tödlichen Waffen mit hineingehen wollen. Und ich nehme an, dass auch die Drittmittel eher aus solchen Bereichen kommen können.

Von Billerbeck: Die werden Ihnen dann vermutlich auf dem Symposium begegnen?

John: Wahrscheinlich schon, vielleicht auch mit Ausstellungen, wo sie ihre neuesten Geräte dann auch vorstellen und sicherlich auch Kunden werben wollen. Also die Teilnehmer kommen ja auch aus Ländern, wo die Menschenrechte nicht unbedingt immer so geachtet werden, wie sie geachtet werden sollten. Und wir befürchten, dass es da vielleicht dann auch eine Marktausweitung gibt.

Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, nicht-tödliche Waffen. Ein Symposium des Fraunhofer Instituts befasst sich dieser Tage damit. Bei uns im Studio ist der Rüstungsexperte Mathias John von Amnesty International. Bei einer Pistole weiß man ja, was ein Schuss daraus bedeutet. Die sogenannten nicht-tödlichen Waffen, die täuschen aber Harmlosigkeit vor. Sind sie dadurch auf perfide Weise fast gefährlicher als konventionelle?

John: Ich denke nicht, dass diese sogenannten nicht-tödlichen Waffen dann in den Auswirkungen wirklich sehr viel gefährlicher sind. Auch das ist wieder eine Frage der Ausbildung derjenigen, die sie anwenden. Das Risiko des Missbrauchs, das Risiko des unverhältnismäßigen Einsatzes ist an der Stelle häufig höher als bei Schusswaffen. Und das sehen wir natürlich auch bei den vielen Fällen in den USA, wo dann ein Polizist dann doch noch mal den nächsten und noch mal einen und noch mal einen Elektroschock dem Opfer gibt, obwohl der schon völlig paralysiert am Boden liegt und dadurch dann eben auch möglicherweise die Todesfälle entstehen und schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen. Und solcher Missbrauch, solcher unverhältnismäßiger Einsatz, das muss einfach ausgeschlossen werden.
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