"Riesiges Ressourcenpotenzial angeknabbert durch den Skitourismus"

11.12.2012
Straßen, Parkplätze, Teiche für die Beschneiung der Pisten - die Alpenorte bemühen sich um Touristen. Dabei sei der Wettbewerbsdruck hoch, sagt Peter Haßlacher vom Österreichischen Alpenverein. Kein Wunder, dass der Umweltschutz dabei oft auf der Strecke bleibe.
Liane von Billerbeck: Berge, Gipfel, Nebel, Schnee, Eis, Bergeinsamkeit - tja, das war einmal. Die Berge in Mitteleuropa, besonders die Alpen sind längst durchzogen von Hunderten Skipisten-Kilometern. Dazu wurden auch für die Sommertouristen Mountain-Bike-Strecken, Klettergärten, Seilrutschen, Aussichtsplattformen, Hängebrücken, Wasser-Rafting, und, und, und gebaut. Die Marketingfachleute der Touristenorte in den Alpen, die überschlagen sich mit immer neuen Angeboten. Die Berge werden zum Abenteuerspielplatz. Die Berge sind übernutzt, sagen Umweltschützer. Wie aber lassen sich Tourismus und Naturschutz in Einklang bringen? Das will ich jetzt diskutieren mit Peter Haßlacher. Er ist Umweltbeauftragter beim Österreichischen Alpenverein. Ich grüße Sie!

Peter Haßlacher: Grüß Gott! Peter Haßlacher aus Innsbruck.

von Billerbeck: Die Alpen sind ja das attraktivste Wintersportgebiet in Mitteleuropa. Wie groß ist denn der Druck, immer noch neue Skigebiete zu erschließen?

Haßlacher: Er ist tatsächlich nicht geringer geworden. Diese ständige gegenseitige Aufschaukelung der einzelnen Täler, der einzelnen Kantone, Bezirke und Landkreise ist immer noch vorhanden, und es kommt immer wieder zu neuen und noch größeren Gebieten. Insbesondere merken wir derzeit, dass es Gebietszusammenschlüsse gibt, die riesige Areale zusammenschließen. Das kann ein Skifahrer ja gar nicht in wenigen Stunden oder auch Tagen bewältigen, aber das ist die Attraktion am Markt, wie viele neue Lifte und Seilbahnen gebaut werden, wie viele neue Pistenkilometer hinzugekommen sind - das ist dieser Wettbewerbsdruck, unter dem die Regionen in den Alpen derzeit stehen.

von Billerbeck: Was bedeutet das denn für die Berge, wie zum Beispiel die in den Alpen?

Haßlacher: Das ist tatsächlich so, dass derzeit immer stärker in höhere Regionen hinauf gebaut wird. Dass vor allem auch unter dem Eindruck Klimawandel schneesichere Regionen gebaut werden. Und das ist einfach ein Phänomen, dass man in immer neue Geländekammern, in immer neue Täler hinein kommt. Und wenn heute gesagt wird, ja, das konzentriert sich ja von den Pisten her nur auf einen ganz geringen Prozentsatz der Alpen - da hängt viel mehr dran an Straßen, an Parkplätzen, an Gipfelrestaurants, an großräumigen Beschneiungsteichen, die errichtet werden, an das Anzapfen von Bächen für die Beschneiung. Also da ist ein riesiges Ressourcenpotenzial angeknabbert durch den Skitourismus, und es scheint so, dass - vor allem im Winter - alles unter diese Maxime gestellt wird: Wir müssen uns im Winter das Geld verdienen, und da ist uns die Landschaft ziemlich egal.

von Billerbeck: Gibt es dadurch nicht auch neue Gefahren, wenn wir immer höher hinauf wollen in die Berge, also auf die Gletscher? Entstehen da nicht neue Katastrophen, Lawinen, Erdrutsche et cetera?

Haßlacher: Im Winter merken wir eigentlich da verhältnismäßig wenig. Aber im Sommer kommt es natürlich immer drastischer zum Vorschein. Je lockerer das Material, die Landschaft im Frühjahr und im Sommer wird, desto öfter kommt es zu großen Bergrutschen, die dann auch Bäche aufstauen, die auch Straßen und Wiesen, Almflächen, unter diesen Schutt hineinbringen. Und das ist ein zusätzliches Bedrohungspotenzial zum Klimawandel, zum Permafrost, das hinzukommt durch die Eingriffe des Skitourismus im Gebirge.

von Billerbeck: Nun denken wir bei Berg und Tourismus vor allem an den Wintertourismus, an Skilifte, an Pisten, die gebaut werden. Heißt das also, dass der Wintertourismus für die Sommertouristen die Berge zerstört, oder ist auch der Sommertourismus ein zusätzliches Problem für die Alpenregion?

Haßlacher: Also vor allem der Wintertourismus ist sehr infrastrukturintensiv, und da kommt es natürlich schon zu sehr vielen Eingriffen, zu schweren Eingriffen, und die wirken sich natürlich im Sommer besonders drastisch im Landschaftsbild aus. Und leider beginnt jetzt auch im Sommer der Trend, vor allem in den sehr intensiven Tourismusgebieten, dass man den Winter nachahmt und versucht, in die besonders attraktiven Gebiete, in die Schluchten im Bereich der Gipfel Plattformen, große Treppen oder Stiegen hinein zu hauen und so, ähnlich wie im Winter eben, die Landschaft im Sommer über die Infrastruktur attraktiv zu machen. Und das raten wir natürlich wirklich sehr, sehr intensiv ab, im Sommer ebenfalls diese Möblierung der Landschaft in den attraktiven Talschlüssen und in den Hochgebirgsbereichen zu machen. Die Wanderwege alleine, die Routen, die für Alpinisten im Gebirge geschaffen werden, die sind beileibe nicht mit einem derartig großen Eingriffspotenzial behaftet, wie es die Infrastrukturen im Winter sind.

von Billerbeck: In den Bergen gab es ja auch traditionell immer Wasserkraftwerke. Jetzt haben wir die Energiewende, es wird neu gedacht, und es geht auch darum, Windräder in die Berge zu setzen. Muss die Natur in den Bergen davor geschützt werden?

Haßlacher: Ja, das ist ein ganz neues Phänomen, mit dem wir uns auch beschäftigen müssen. Das hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben, aber mit dem Argument der Energiewende versuchen natürlich jetzt einige sehr, sehr findige Windkraftunternehmen, auch Gebirgsregionen energetisch zu nutzen. Und wir haben gerade in der Brenner-Gegend im Bereich des Übergangs Tirol Richtung Südtirol ein sehr, sehr interessantes Urteil bekommen, wo jetzt seitens der gerichtlichen Behörden festgestellt worden ist, dass einfach Windkraftparks in die Alpen nicht hineinpassen. Also da muss man schon sehr, sehr vorsichtig sein, denn es summiert sich eines ums andere. Es sind die Skigebiete, die errichtet werden. Es kommen Wasserkraftwerke, mit Tradition selbstverständlich genutzt, in die Alpentäler hinein, dann habe ich Windparks, dann Forststraßen, Almstraßen, Ausflugsstraßen hinauf in die Höhe. Und all diese verschiedenen Mosaiksteine, die hier zusammengefügt werden, ist dann einfach eines Tages zu viel. Und dadurch verliert eben die Hochgebirgslandschaft dann ihren besonders attraktiven Reiz. Deswegen müssen wir heute auch unter dem Gesichtspunkt der Energiewende schauen, wie man vorsichtig und genau diese neuen Projekte anschaut, beurteilt und dann auch genehmigt.

von Billerbeck: Peter Haßlacher ist mein Gesprächspartner, Umweltbeauftragter des Österreichischen Alpenvereins. Nun scheinen das ja gegensätzliche Paare zu sein. Auf der einen Seite der Tourismus, auf der anderen Seite der Naturschutz. Es gibt doch aber einen völkerrechtlichen Vertrag, die Alpenkonvention, beschlossen vor zehn Jahren, 2002. Wie hilfreich ist die?

Haßlacher: Die Alpenkonvention ist für uns tatsächlich, auch heute noch, das beste Instrument, um alpenweit verschiedene Fragen zu thematisieren. Das ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, wo heute Deutschland, Frankreich, Österreich, Slowenien, aber auch die Europäische Kommission eingebunden sind. Und hier kann man auf hoher Ebene diese Fragen thematisieren. Und allein die Androhung heute, diese Gremien der Alpenkonvention mit gewissen Entwicklungen zu befassen, hat schon eine gewisse abschreckende Wirkung mit sich gebracht. Leider, das bedaure ich immer sehr, dauert es wahnsinnig lang, um internationale Verträge auch im geografisch letzten Bezirk hier bekannt zu machen, dass auch dort die Behörden und Juristen diese an und für sich wichtigen Verträge und bei uns in Gesetze gegossenen Inhalte auch anwenden. Also, da braucht es sehr, sehr viel Informationsarbeit und Überzeugungsarbeit, und da hat man schon jetzt vor allem in der Bewerbung des naturnahen Tourismus, dass dieser gleichrangig stehen soll neben dem intensiven Tourismus, sehr, sehr viel erreicht. Und ich hoffe, dass es auf dieser Ebene weitergeht. Es ist jetzt auch Italien diesem Vertrag beigetreten, und allein die Schweiz als doch ein Musterland im Bereich des alpinen Umweltschutzes ist hier aus den bekannten Erwägungen, dass sie internationalen Verträgen nicht beitreten wollen, noch nicht beigetreten. Aber sonst ist das eine ausgezeichnete alpenweite Plattform.

von Billerbeck: Kurze Frage zum Schluss: Man verdient ja sehr viel Geld. Sind die Gemeinden da auf Ihrer Seite, wenn es um Naturschutz geht in der Alpenregion?

Haßlacher: Sehr, sehr unterschiedlich. Gemeinden, die auf unsere Vorstellungen, auf unsere Projekte nicht angewiesen sind, die werfen uns Verhinderertum vor, aber wir haben sehr, sehr viele Partner in den Gemeinden, vor allem in den kleinen Gemeinden mit großer Fläche und wenig Infrastruktur, mit denen wir gut zusammenarbeiten, und das ist auch, glaube ich, für uns in Zukunft der Schlüssel für eine gute, nachhaltige Alpenentwicklung.

von Billerbeck: Das sagt Peter Haßlacher, der Umweltbeauftragte des Österreichischen Alpenvereins. Ich danke Ihnen!

Haßlacher: Danke vielmals auch!

von Billerbeck: Und wir wollen mit Ihnen darüber auch diskutieren in unserer Hörerdebatte ab 15:50 Uhr. Naturschutz oder Erholung - was hat für Sie mehr Gewicht? Sie können uns anrufen kostenfrei aus dem deutschen Festnetz unter 0080022542254.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.