Richter: "Ein Paradigmenwechsel"

Moderation: Christopher Ricke · 02.02.2007
Nach Ansicht von Wolfram Richter stellt die Gesundheitsreform einen Paradigmenwechsel in der Politik dar. Mit der Reform würden die Wettbewerbskräfte im Gesundheitswesen gestärkt, sagte der Professor für Volkswirtschaft vor der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag.
Christopher Ricke: Heute ist es endlich soweit. Heute entscheidet der Bundestag über das Wettbewerbsstärkungsgesetz, vulgo die Gesundheitsreform. Der Bundesrat will das in zwei Wochen tun, am 1. April soll die Reform dann in Kraft treten. Fast ein Jahr lang hat die Große Koalition gestritten, Kompromisse herausgehandelt, nachgegeben, sich eingelassen, und viele sagen jetzt, das ist kein Jahrhundertwerk, das ist Flickwerk, die nächste Gesundheitsreform kommt bestimmt. Es gibt nach wie vor viel Kritik. Kritisiert wird die Finanzierung. Man spricht über die Einsparungen, über die Beitragssätze, und auch über den mangelhaften Wettbewerb. Dabei war Wettbewerb doch das große Ziel. Zum Wettbewerb beitragen soll auch der Gesundheitsfonds, der kommen wird, nicht gleich, aber bald, und dieser Fonds hat einen geistigen Vater, das ist der Volkswirtschaftsprofessor Wolfram Richter. Guten Morgen Herr Richter!

Wolfram Richter: Schönen guten Morgen!

Ricke: Ist denn was übrig geblieben vom Wettbewerb, wird es jetzt besser werden?

Richter: Ja, ich denke, schon. Also für mich ist das schon eine ganz große Reform. Es wird nicht die letzte sein, die wir im Gesundheitswesen erleben. Aber es ist sozusagen ein Paradigmenwechsel in der Politik eingeschlagen worden.

Ricke: Dieser Paradigmenwechsel ist doch eigentlich nichts anderes als die Vereinigung zweier Dinge, die nicht zusammen passen, nämlich die Bürgerversicherung auf der einen Seite und die Kopfpauschale auf der anderen, zusammengeleimt durch den Fonds?

Richter: Das ist vielleicht der Charme der Reform, dass sie offen ist für eine Weiterentwicklung in diese beiden von Ihnen genannten Richtungen. Also darüber ist noch kein letztes Wort gesprochen, aber es ist ein wichtiger Schritt gemacht worden in der ganzen Politikgestaltung, und dieser Schritt ist wichtig. Ich würde ihn anders umreißen. In der Vergangenheit hat die Politik immer versucht, direkt ins Gesundheitswesen hineinzugreifen, also zum Beispiel Praxisgebühr. Die Politik hat versucht, den Kassen die Praxisgebühr per Gesetz vorzuschreiben, dass sie sie von ihren Versicherten nehmen sollten. In Zukunft will die Politik stärker auf Wettbewerbskräfte setzen.

Ricke: Aber wie soll dieser Wettbewerb funktionieren, wenn auf lange Sicht alle gesetzlich Versicherten den gleichen Beitrag bezahlen?

Richter: Ja, der Wettbewerb ist verlagert worden. In der Vergangenheit haben die Kassen, oder bis jetzt, genauer gesagt, bis 2009 konkurrieren die Krankenkassen über den Beitragssatz. In Zukunft konkurrieren die Kassen um ihre Mitglieder über eine andere Form. Sie bekommen für jedes Mitglied eine Pauschale aus dem Gesundheitsfonds, der weiterhin solidarisch finanziert wird, aber sie haben die Möglichkeit, jetzt Zu- und Abschläge zu erheben, und diese Zu- und Abschläge wachsen direkt den Versicherten zu. Also Wettbewerb findet jetzt an etwas anderer Stelle statt, und Ökonomen haben die Hoffnung, dass diese Form von Wettbewerb innovativer sich auswirken wird.

Ricke: Das Kern- und das Herzstück der Gesundheitsreform ist der Gesundheitsfonds, in den aus verschiedenen Quellen Geld fließt. Die Politiker haben sich aber nicht getraut, diesen Fonds gleich in Betrieb zu nehmen, sondern sie haben das verlagert nach 2009. Nun muss man sich nichts Böses dabei denken, wenn man darauf kommt, dass das etwas mit der nächsten Bundestagswahl zu tun haben könnte, dass das möglicherweise eine Erfindung ist, die dann unter einer anderen Regierung sehr schnell wieder gekippt wird. Sehen Sie dieses Risiko?

Richter: Nun, ich sehe natürlich auch den Zusammenhang, aber es gibt zunächst erst einmal gute Grunde, diese Reform nicht zum 1. April, also nicht den Gesundheitsfonds zum 1. April starten zu lassen. Damit dieser neue Wettbewerb richtig funktioniert, muss der so genannte Risikostrukturausgleich, kurz RSA, erst verfeinert werden zu einem so genannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.

Ricke: Oh bitte sagen Sie das noch mal!

Richter: Ja, die Fachleute sprechen einfach von einem Morbi-RSA.

Ricke: Und was kann der Morbi-RSA?

Richter: Ja, eine Kasse kann ja nicht davon leben, dass sie pro Versicherten eine feste Pauschale bekommt. Hinter den einzelnen Versicherten stehen ja gute oder schlechte Risiken, und da muss es dann einen Ausgleich geben, der schon heute existiert, der nur weiterentwickelt werden soll. Aber das ist nicht der Knackpunkt der ganzen Reform. Der Knackpunkt ist, wie gesagt, lässt sich an folgender Frage festmachen: Angenommen, eine Kasse würde heute auf die Idee kommen und würde ein Hausarztmodell anbieten ihren Versicherten. Dann würde ein Versicherter vor der Frage stehen, was kann ich dadurch sparen. Und angenommen, die Kasse könnte pro Versicherten 20 Euro sparen im Monat. Dann kommen diese 20 Euro bei dem Versicherten nicht an. Er würde diese Ersparnis mit seinem Arbeitgeber teilen, und wenn er dann Kleinverdiener ist, einen kleinen Beitrag zahlt, durch die Proportionalität der Beiträge spart er vielleicht fünf Euro für einen Komfort, der eigentlich 20 Euro wert ist. Er wird darauf nicht verzichten wollen, und unter dem neuen Modell wird die Kasse ihren Versicherten sagen, wenn ihr auf das Hausarztmodell eingeht, dann wird jeder 20 Euro sparen. Also die Kasse hat Menschen vor sich, die sich nach ihrem Einkommen nicht mehr unterscheiden, aber nach ihrem Risiko. Sie unterscheiden sich natürlich im Risiko, und dafür sorgt dann der Fonds vor, dass er diese Unterschiede ausgleicht.

Ricke: Der Fonds also durchaus als Motor des Wettbewerbs?

Richter: Ja.

Ricke: Vielen Dank, Professor Wolfgang Richter! Der Volkswirt ist der geistige Vater des Fonds in der Gesundheitsreform.