"Richard III." am Hamburger Thalia-Theater

Wie ein sabbernder Hund

Das Thalia Theater, aufgenommen am 14.06.2014 in Hamburg.
Das Theater in Hamburg ist ein richtiges Bilderbuchtheatergebäude. © picture alliance / dpa / Thomas Warnack
Von Alexander Kohlmann · 29.10.2016
Ein mit wenig überzeugender Bosheit agierender Tribun, Kostüme aus der Mottenkiste und holprige Verweise auf Aktuelles - Antú Romero Nunes' "Richard III."-Inszenierung in Hamburg ist eine holprige Historienshow.
Nein, dieser Richard hat keinen speziellen Grund dafür böse, zu sein. Er ist es einfach. Wie ein Hund robbt der Schauspieler Jörg Pohl immer wieder über die Bühne, sabbernd und voller Freude über die eigene Intrige. Groß verstellen tut sich dieser Richard-Darsteller nicht. Er ist kein verschlagener Held wie Frank Underwood in der Netflix-Serie "House of Cards", sondern ganz offen gemein. Shakespeares Text trägt Jörg Pohl wie eine Waffe vor sich her, spricht ihn laut und unzweideutig, ohne jede Subtilität.

Eine Pause des Regie-Theaters

Tatsächlich könnte die Inszenierung von Antú Romero Nunes direkt aus dem Globe-Theater der Shakespeare-Zeit zu uns rübergeflogen sein, wenn mal von den anwesenden Frauen absieht. Nur mit einer riesigen Trommel und ein paar Tüchern im Gepäck erobert die Truppe die ansonsten leere Thalia-Bühne. Die Kostüme kommen aus der Mottenkiste, irgendwo zwischen elisabethanischen Anklängen und ganz heutigen Teilen. Kunstvoll zusammengesucht im Fundus der Jahrhunderte. Alle Figuren chargieren sich lustvoll durch den Text, da ist keine Zotte zu derb, keine Geste zu groß. Es geht hier nicht um die Identifikation mit irgendwelchen Rollen, sondern um die textnahe Realisierung des Shakespeare-Plots im Original-Format: keine Fremdtexte, keine Umstellungen, keine Brüche. Das Regie-Theater macht einmal einen Abend Pause.

Nach Pause - spätestens - fehlt dann das Konzept wirklich

Und eine Zeitlang macht diese ungezügelte Spielfreude frei von jedem konzeptionellen Überbau auch tatsächlich Spaß, wenn Richard III. minutenlang mit seiner künftigen Frau Anne in erotischen Verknotungen auf dem Boden ringt zum Beispiel, einer Lady, die zwischen Geilheit und Abscheu für das sympathische Monster schwankt, das keinen großen Hehl draus macht, dass er ihren Mann ermordet hat. Oder wenn der alte König mit dem Reh-Geweih vor Gram stirbt und Richard per Körper-Pumpe in einem Blutschwall aus seinem Mund badet, was der Tyrann begeistert hin-nimmt, sich geradezu suhlt im plätschernden rot.
Doch spätestens nach der Pause vermisst man dann doch so etwas wie ein Konzept, eine Idee, einen Zugriff. Die Figuren, die da auf der Bühne stetig weiter durch den Text stolpern und rollen, gehen einen nicht wirklich etwas an. Der Plot zerfällt ohne Fixpunkte. Denn das Publikum zur Shakespeare-Zeit war mit der Geschichte des britischen Königshauses hochvertraut. Sie wussten, wer Richard ist, so wie wir schon vor Beginn von "House of Cards" die Verstrickungen der westlichen Welt kennen und eine Ahnung haben, von den Washingtoner Hinterzimmern der Macht. Antú Romero Nunes verweigert uns in seinem Shakespeare einen solchen Zugriff - und als reine Historien-Show ohne jede Interpretationsleistung läuft dieses große Zeige-Theater ins Leere.

Bei den Flüchtlingen und dann in der Shakespeare-Vorzeit

Nur einmal wirft die Gegenwart einen Schatten in dieses fahrende Gaukler-Show. Als Richard ganz vorne an der Rampe direkt zu uns spricht, von Menschen aus den Süden, die zu uns kommen, uns überrennen wollen. Da müsse man sich doch schützen, sagt er, böse lächelnd.
Nicht mehr als ein Angriffspunkt ist für ihn das Spiel mit dem Schicksal von Tausenden. Das Ressentiment gegen Flüchtlinge benutzt er knallhart für die eigenen Interessen. Gruselig ist dieser kurze Einbruch unserer Welt. Aber er ist schnell vorbei, es wird getrommelt - und wir sind wieder weit weg - irgendwo in der Shakespeare-Vorzeit.
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