Revival

Alte Lieder im neuen Mantel

Das Berliner Trio Tsching
Das Berliner Trio Tsching © Pressefoto / Tsching / Inna Lartschenko
Von Vincent Neumann · 20.08.2014
"Hejo, spann den Wagen an", "Taler, Taler, Du musst wandern" – diese Stücke gehörten bislang nicht unbedingt zum Stammrepertoire eines jungen, experimentierfreudigen Ensembles. Auf dem neuen Album des Berliner Trios "Tsching" aber feiert das deutsche Volkslied jetzt ein Revival.
"Wir haben ja immer das Problem, dass wir gefragt werden: Welchen Stil spielt Ihr? Und wir sagen dann immer: 'Balkan, Tango, Swing." Aber keiner dieser Stile trifft es eigentlich so richtig. Und 'Tsching' ist eigentlich der Stil, den wir wirklich spielen."
Genauso kreativ wie bei dieser stilistischen Wortschöpfung geht es auch zu in der Musik von Franziska Kraft, Ben Aschenbach und Helmut Mittermaier. Schon auf seinem ersten Album schaffte das Berliner Trio vor drei Jahren einen ganz eigenen, sehr internationalen Musik-Mix, der nun, für das neue Projekt „VagabundenSuite", um eine deutsche Note erweitert wurde.
"Wir mögen halt einfach diese Musik: Tango, Balkan – und das mit dieser alten deutschen Volksmusik zusammenzuführen, das war halt einfach so eine Herzensangelegenheit. Das war auch nicht einfach. Also, wir haben viel verworfen, viel probiert ..."
"Oft ist es auch mühsam; also man probiert was, und es klappt nicht. Dann probiert man das Zweite, und bis es dann wirklich groovt, das ist gar nicht so einfach, weil wir halt keinen Bass und kein Schlagzeug haben, sondern das eben mit diesen drei Instrumenten zum Laufen bringen müssen. Aber es wird natürlich sehr viel improvisiert bei uns."
Und genau dabei ergeben sich diese "Tsching"-typischen, kulturübergreifende Treffen zwischen einem Bauern, der gerade seine goldnen Garben vom Feld holt, und einem betrunkenen Seemann. Oder man begegnet einer schönen Russin, die "Im Frühtau zu Berge" wandern geht – ein Lied, das im Übrigen ohnehin schon einen Migrationshintergrund hatte.
"'Im Frühtau zu Berge' kommt eigentlich aus Schweden, die Melodie. Das heißt, das sind auch schon Lieder, die andere Kulturen eingebracht haben, oder die dann übernommen wurden."
Dass die Verbindung aus alten Volksliedern mit Jazz-, Tango und Balkan-Elementen funktioniert, hat viele Gründe: die Experimentierfreude des Ensembles, die unglaublich flexible Besetzung aus Cello, Gitarre und Saxofon, die ohnehin irgendwo zwischen Klassik und Jazz pendelt, und auch diese Selbstverständlichkeit, mit der das Trio "Tsching" für sich neue musikalische Räume erschließt.
"Also im Prinzip passt es auch insofern gut zusammen, weil ja diese ganze World Music, die sogenannte, und der Jazz, sich sowieso aus ganz vielen verschiedenen Stilen und Einflüssen zusammensetzen. Und das ist jetzt einer, den es vielleicht noch nicht so lange gibt, aber das ist einfach einer von vielen möglichen."
Möglich gemacht auch durch die Ausdauer, mit der Stücke auch auf der Bühne immer noch weiter entwickelt werden.
"Auch bei Konzerten entstehen dann manchmal Sachen, die wir dann wieder aufnehmen ins Arrangement. Eigentlich sind sie meistens noch gar nicht richtig fertig, sondern entwickeln sich von Konzert zu Konzert immer weiter."
"Toll dabei ist halt, dass die Leute die Stücke kennen. Also das ist natürlich auch ein großer Unterschied, wenn wir jetzt eigene Stücke schreiben – auf der ersten CD sind ja einige eigene Stücke – dann hat man einfach nicht diese Referenz; dann können das schöne Stücke sein, aber jetzt beim Volkslied ist es so, man spielt es, sagt vielleicht vorher: ‚In dem Stück ist jetzt ein Volkslied versteckt'. Dann hören alle mit ganz wachen Ohren, und nachher wird es dann aufgelöst; also das ist ein sehr spannender Vorgang im Konzert. Es gibt halt viel zu entdecken, und die Leute verbinden alle was damit."
"Es gibt halt Stücke, die einfach eine bestimmte Stimmung haben. 'Brunnen' ist eher ein melancholisches Lied – das wird man in einer bestimmten Stimmung hören wollen. Und wenn man jetzt was braucht, was ein bisschen los geht, dann wird man halt eher 'Schöner Land' hören oder so etwas."
Man sollte nicht den Fehler machen, das Trio "Tsching" und seine "VagabundenSuite" als verkopftes Crossover-Projekt abzutun. Man kann eine Menge raushören, man kann auch immer wieder auseinanderdividieren, in welche Regionen dieser Welt das jeweilige Volkslied versetzt wurde; viel wichtiger ist allerdings der homogene, stimmungsvolle und leicht verspielte Gesamteindruck des Albums – ein Album, dass nämlich nicht in erster Linie im Kopf, sondern aus dem Bauch heraus entstanden ist.
"Wir haben weder den ironisch-parodistischen Ansatz, noch diesen total ernsten, sondern versuchen, sowas dazwischen zu gehen – also schon zum Teil die Stücke zu ironisieren, aber dann eben auch wieder Momente zu entdecken, wo das Volkslied wirklich so eine wunderbare Schönheit hat. Also das ist eigentlich die Message."

Tsching: "VagabundenSuite"
Franziska Kraft – Violoncello
Helmut Mittermaier – Sopran- und Tenorsaxophon
Ben Aschenbach – Konzert- und Baritongitarre
Studio-Digipak

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