Reuter: In Bagdad war es unendlich viel gefährlicher

Christoph Reuter im Gespräch mit Susanne Führer · 03.06.2011
Der bisherige Stern-Korrespondent Christoph Reuter hat als einziger Deutscher zweieinhalb Jahre dauerhaft in Afghanistan gelebt. Nun verlässt er das Land. Das "Tragische", so sein Resümee, sei, dass man das Gefühl habe, es hat sich seit 2008 gar nicht so viel im Land verändert. Er selbst konnte friedlich in Kabul leben.
Susanne Führer: Seit knapp zehn Jahren sind deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert und seitdem gibt es regelmäßige journalistische Berichte aus und über das Land. Die meisten deutschen Korrespondenten sind allerdings nur zeitweise dort: Sie reisen für ein paar Tage oder Wochen nach Afghanistan und verlassen es dann wieder. Einen ständigen deutschen Journalisten gab es allerdings in Afghanistan, Christoph Reuter vom "Stern" - gab es, denn Christoph Reuter hört auf, er wird in Zukunft für den "Spiegel" aus dem Nahen Osten berichten. Noch ist er aber in Kabul. Guten Morgen, Herr Reuter

Christoph Reuter: Guten Morgen!

Führer: Sie verlassen nach zweieinhalb Jahren Afghanistan, weil Sie Arbeitgeber und Arbeitsort wechseln. Sind sie froh, dass Sie weggehen?

Reuter: Nein, das komische war, in den letzten Momenten, letzten Wochen hier, wird man doch wieder etwas sentimental und freut sich über die kleinen Dinge, die schön sind hier, aber insgesamt gesehen - ja, doch, ist es die richtige Entscheidung, zu gehen, und macht sich das Gefühl breit, dass man sich wiederholt in seinen Geschichten, dass das Land nicht vorangeht, dass es stagniert, nicht besser wird, und das in anderen Teilen der Welt doch die Dinge sich markanter und nachhaltiger verändern.

Führer: Afghanistan, das ist für uns ja - ich nenne mal so ein paar Begriffe, die einem so einfallen: rückständig, unwegsam, hoffnungslos, gefährlich, lebensgefährlich, drei Anschläge gab es jetzt innerhalb weniger Tage auf die Bundeswehr. Vier Soldaten sind gestorben - was ist Afghanistan für Sie? Stagnation, haben Sie gerade erwähnt.

Reuter: Ja, weil man das Gefühl hat, die Afghanen selbst können sich nicht entscheiden, was sie eigentlich wollen. Sie sind so sehr damit beschäftigt, gegeneinander zu kämpfen: Paschtunen gegen Tadschiken, gegen Usbeken, Stamm gegen Stamm, Clan gegen Clan, dass sie selbst die ausländischen Truppen in diese Auseinandersetzungen mit hineingezogen haben, aber nicht eine Vorstellung davon entwickeln, was für einen Staat sie eigentlich wollen. Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben - es ist auch viel von den Ausländern vermasselt worden, aber letzten Endes hat man das Gefühl, die Afghanen selbst wissen nicht, was sie wollen, und bringen es auch nicht zustande, einen Staat aufzubauen, eine Idee davon zu haben, wie man glücklich miteinander leben könnte - all das, was im Moment in verschiedenen Staaten Nordafrikas in rasender Geschwindigkeit entsteht.

Führer: Wie nahe sind Sie den Menschen in Afghanistan eigentlich gekommen, Herr Reuter?

Reuter: Sehr! Wenn man hier wohnt, und sich bemüht, aus diesem Ausländer-Ghetto auszubrechen, wenn man viel im Lande unterwegs ist und auch Zeit hat, einfach mal Tage in den Bergen zu sein, in kleinen Dörfern, wenn man sich für andere Geschichten interessiert als nur für das Militär, kriegt man sehr viele Dinge mit.

Führer: Haben Sie auch afghanische Freunde gewonnen?

Reuter: Oh, ja, klar! Viele!

Führer: Wie haben Sie denn gelebt? Sie waren ja wie gesagt der einzige, der da zweieinhalb Jahre da gewohnt hat, so mitten unter allen anderen - oder ist es doch zu gefährlich dafür?

Reuter: Nein, nein, es geht ... man hat ja in Deutschland immer die Vorstellung davon, es gebe nur Krieg und Anschläge - in Wirklichkeit gibt es eine große Skala von Grautönen, und man kann durchaus in Kabul - so wie wir das gemacht haben - ein Haus mit Garten und relativ friedlich leben, Anschläge habe wir erlebt nur in der Form, dass es ein, zwei Mal in der Ferne geknallt hat, Erdbeben waren häufiger!

Führer: Hatten Sie eigentlich auch zu Taliban Kontakt?

Reuter: Ja, auch. Und in der ersten Zeit ging es auch noch leichter, dass man direkt sich mit Taliban trifft, nachdem allerdings mehrere Kollegen entführt worden sind, haben wir das so geregelt, dass afghanische Kollegen, afghanische Mitarbeiter mit den Taliban Gespräche geführt haben, mit Fragen von uns, und ich nicht selber zu Taliban gegangen bin.

Führer: Der Journalist Christoph Reuter ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Er war der letzte ständige deutsche Korrespondent in Afghanistan und verlässt jetzt das Land. Herr Reuter, Sie haben vorhin gesagt, nicht immer nur Geschichten über das Militär. Aber Sie hatten doch sicher auch Kontakt zur Bundeswehr, denn die Berichterstattung, die hier interessiert, ist ja immer sehr eng an die Bundeswehr gekoppelt. Ich hatte es erwähnt, in den letzten Tagen gab es allein drei Anschläge auf die Bundeswehr. Wie eng waren Ihre Kontakte dahin?

Reuter: Na ja, da die Bundeswehrkontingente ja alle vier Monate wechseln, war es schon deswegen nötig, alle zwei, drei Monate für ein paar Tage zumindest nach Kundus ins Lager zu fahren, ab und zu auch mal nach Mazar, und nach Faizabad im Osten, um einfach die Leute kennenzulernen, die da sind, die Veränderungen mitzukriegen, aber auch Kontakte zu haben, dass, wenn etwas passiert, man anrufen kann und nicht vor lauter Unbekannten steht. Insofern war der Kontakt schon relativ eng und auf die Dauer war es kurios, weil man hatte das Gefühl, man ist so alt, wenn man Leute trifft, die seit zwei Monaten vielleicht im Land sind und einen dann fragen, wie lange man hier sei, und sagt zwei Jahre, und die gucken einen an wie ein Auto!

Führer: Millionen Afghanen leben ja nun schon wesentlich länger im Land!

Reuter: Ja, aber Ausländer bleiben oft nicht so lange. Das sind ziemlich wenige, die freiwillig bleiben. Und für die Soldaten, die meistens nach vier Monaten froh waren, wieder gehen zu können, die fanden das sehr seltsam, teils mutig, teils verrückt, dass man sagt, man lebe in Kabul ohne bewaffnete Wächter, und man tue das seit ein, zwei, zweieinhalb Jahren.

Führer: Heißt das, dass Sie Ihre Arbeit nie als gefährlich empfunden haben?

Reuter: Doch, aber man kann das ja ein bisschen steuern. Was ich nicht machen würde, ist, mit dem Auto Kabul in Richtung Süden verlassen, zum Beispiel. Oder ohne zu klären, wie sicher ist die Route, hat es Anschläge gegeben, sind irgendwelche Taliban-Gruppen unterwegs, zum Beispiel, durch die Provinz Barlan, südlich von Kundus, zu fahren. Wir haben uns immer - also, ich und mein afghanischer Assistent - versucht, vorsichtig zu bewegen und zu gucken, kann man da hin, kann man da nicht hin, und sind nicht blindlings in Gegenden gefahren, wie Kandahar, Helmand im Süden oder Provinzen im Osten, die von den Taliban kontrolliert werden. Insofern hatte ich jetzt nicht das Gefühl, mich unkontrollierbaren Risiken auszusetzen, und letzten Endes war es in Bagdad zum Beispiel - oder im Irak - nach 2004 unendlich viel gefährlicher als in Afghanistan.

Führer: Gab es andere Hürden für Ihre Arbeit als Journalist?

Reuter: Ja, zum Teil. Das Problem ist, wenn man allzu detailliert vor allen Dingen über die Korruption in der Regierung berichtet, oder der herrschenden Familie und Geschäftsanteile, die auf seltsamen Wegen zustande gekommen sind an der Kabulbank, oder Drogenfunde bei Verwandten des Präsidenten, bekam man relativ schnell Anrufe, dass man solche Geschichten doch unterlassen sollte in Zukunft.

Führer: Und Anrufe, die ernst zu nehmen waren!

Reuter: Ja! weil sich natürlich auch ...

Führer: Also, ich meine jetzt, wo tatsächlich eine Drohung dahintersteht, also eine Gefahr, oder?

Reuter: Ja, also im Zweifelsfall hätte es für mich als Ausländer geheißen, dass man ausgewiesen wird, aber es hat eben auch afghanische Kollegen gegeben, zum Beispiel einen Journalisten, der für BBC berichtete, der, nachdem er über Korruption bei der Polizei berichtet hatte, nach offizieller Darstellung von den Taliban ermordet wurde. Aber die Recherchen vom Kollegen haben ergeben, dass er höchstwahrscheinlich von Polizisten umgebracht wurde.

Führer: Wie hat sich Afghanistan eigentlich in den zweieinhalb Jahren verändert, in denen Sie da waren, oder hat sich das Land eben gar nicht verändert in diesen zweieinhalb Jahren?

Reuter: Ja, das tragische ist, dass man eher das Gefühl hat, es dreht sich im Kreis. Man lernt immer neue NATO-Sprecher und ISAF-Generäle kennen, die sagen: Dieses Jahr müssen wir den Durchbruch schaffen und das "Window of Opportunities", das Fenster der Möglichkeiten schließt sich demnächst. Und dann kommt der nächste und wiederholt das, und man hat das Gefühl, es verändert sich eigentlich gar nicht so viel. Die Fronten sind relativ stabil: Taliban beherrschen den Süden und weite Teile des Ostens, NATO-Truppen - trotz ihrer Aufstockung - haben zwar kleine Inseln erobern können, zum Beispiel in Helmand, aber richtig verändert hat sich die Lage seit 2008 kaum.

Führer: Haben Sie sich verändert in der Zeit in Afghanistan?

Reuter: Ja, man muss ein bisschen aufpassen, manchmal, dass man nicht zynisch wird angesichts der Lügen von beiden Seiten; der Lügen der Afghanen über die Ausländer oder über ihre Versuche, Drogenhandel und Korruption zu bekämpfen, und auf der anderen Seite der Lügen der Internationalen, die nun mal hier sind, und ihre Mission schön reden müssen, weil sie nicht wissen, wie sie da raus kommen. Das hat auf die Dauer etwas ziemlich zermürbendes.

Führer: Herr Reuter, welche schönen Erlebnisse verbinden Sie eigentlich mit Afghanistan?

Reuter: Oh, es ist eine wunderschöne Landschaft, morgens in Kundus aufzubrechen mit dem Auto und durch die Täler von Barlan über den Salang-Pass durch diese grünen Schluchten nach Kabul zu fahren ist wunderschön, afghanische Freunde zu treffen, die oft viel herzlicher und großzügiger sind als Menschen in diesem abgeschliffenen Mitteleuropa, ist hinreißend. Es ist sehr intensiv gewesen hier! In den schönen Erlebnissen wie in den negativen.

Führer: Sagt Christoph Reuter, der inzwischen ehemalige Korrespondent des "Stern" für Afghanistan, noch aber ist er in Kabul, deswegen war die Telefonleitung auch nicht so besonders, ich hoffe, das entschuldigen Sie. Und ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Reuter!

Reuter: Ja, gerne!
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