Rettung vor dem Sturm

Von Volker Trauth · 18.12.2010
Nach dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck erzählt Regisseur Armin Petras mit "Früchte des Zorns" anhand einer Familiengeschichte von einer Utopie und deren Zerstörung.
Petras bleibt enger als bei anderen seiner Romanbearbeitungen am Roman, bemüht sich, seinem Strom zu folgen, nicht dessen Verästelungen. Er hat die über 500 Seiten der Vorlage auf eine Spieldauer von 2 Stunden 45 Minuten gebracht. Gestrichen sind große Teile des Anfangs: die Rückkehr des Helden Tom aus dem Gefängnis, die Suche nach seiner Familie.

Gestrichen ist auch ein Teil der Personage: alle Brüder Toms sowie dessen Onkel John. Die zahlreichen Erzählertexte Steinbecks sind den einzelnen Spielern zugeordnet worden – so, dass sie den Meinungen und Absichten der bereits vorher im Spiel angelegten Figuren entsprechen. Die sich abwechselnden Polizisten, Lagerverwalter und Unternehmer werden von den Spielern der Familienmitglieder mit übernommen.

Gegen Ende dann einige aufwendige theatralische Hinzuerfindungen, denen sich der Regisseur bis dahin auf wohltuende Weise enthalten hatte. Er entwirft ein Bild von Utopie und Utopiezerstörung: die Familienmitglieder erscheinen im besten Zwirn, erzählen von ihren Wünschen als wären sie in Erfüllung gegangen, da kommt Sturm auf, Regenmassen ergießen sich über die Spieler, alles schwimmt davon.

Mit solchen kräftigen Bildern und Zeichen, mit deren Hilfe er die innere Welt der dramatischen Texte dem heutigen Lebensgefühl der Zuschauer erschließen wollte, hat Petras seine Karriere begonnen. Solche Bilder und Zeichen, die im erhellenden Spannungsverhältnis zum Roman stehen auch in dieser Inszenierung: Tom trägt die Schaufel, mit der er einst in Notwehr einen Mann erschlagen hat, gleichsam als Fluch und Verführung mit sich, sein Rückfall in die Gewalt ist immer gegenwärtig.

Aus dem Bühnenhimmel fallen Unmengen von Orangen und werden – als Metapher für den Rausch des Pflückens - von den Pflückern hin- und hergeworfen. Wenn die Zuwanderer von den einheimischen Kaliforniern als Urgrund des Übels diskriminiert werden, kriechen die mit Rattenmasken die Schräge herunter auf den Zuschauer zu.

Andere inszenatorische Verfahrensweisen kommen ins Spiel: die des jähen Bruchs und der Montage. Dem furioso von kollektivem Tanz und Gesang folgt unvermittelt das Entsetzen über den Krankheitsanfall der Großmutter, der Freude über das Erreichen des Gelobten Landes, die Trauer über einen Todesfall. Wenn sich das Liebespaar Rosa und Conny im weltenthobenen Pas de deux dreht, retten sich gleichzeitig die anderen Familienmitglieder dick vermummt vor dem nächsten Sturm.

Stärker als in anderen Petras-Inszenierungen ist das ein Abend der Schauspieler, die versuchen, die für sie wesentliche, prägende Grundhaltung der Figur herauszufinden und auszustellen. Julischka Eichel spielt als Mutter vor allem den Wesenszug, den Autor Steinbeck als "beherrscht" bezeichnet hat. Sie ist nicht die Klucke, das Muttertier, sondern die um Fassung bemühte unsentimentale Vorausdenkerin und Warnerin. In Erinnerung wird Regine Zimmermann als die schwangere Rosa verbleiben. Die ist von einer emphatischen Zukunftsgläubigkeit, von kindlich trotziger Glückssehnsucht – und unausgesprochen scheint die unterschwellige Angst vor der Katastrophe auf. Im zweiten Teil wird ihre Rosa zur tragischen Figur. Eine, die die Illusion verteidigt, auch wenn die Realität schon das Gegenteil verheißt. Insgesamt eine der besseren, weil behutsam der literarischen Vorlage folgenden Arbeiten von Armin Petras.

Homepage Maxim Gorki Theater "Früchte des Zorns"